Natur

Wie die heilende Kraft des Waldes genutzt werden kann

Wie die heilende Kraft des Waldes genutzt werden kann

Wie die heilende Kraft des Waldes genutzt werden kann

Dörte Rahming/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Heilwälder eignen sich gut für die Therapie von Reha-Patienten. Foto: TMV

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Für Patienten eignen sich Kur- und Heilwälder in Mecklenburg-Vorpommern hervorragend. Was solche speziellen Naturregionen auszeichnet und warum sie der Gesundheit zuträglich sind, lesen Sie hier.

Blätter rauschen, Vögel zwitschern. Die kühle Luft duftet, der Wind lässt nach, Ruhe kehrt ein. Wer hierherkommt, spürt sofort, dass Stress am Waldrand zurückbleibt.

Diese gefühlte Wirkung auf Menschen ist längst wissenschaftlich bewiesen – ebenso wie die Tatsache, dass Bäume untereinander und mit ihrer Umgebung kommunizieren. Sie nutzen dafür sogenannte Terpene, und genau diese speziellen Duftstoffe kann auch das menschliche Immunsystem aufnehmen. Sie reduzieren Stresshormone, der Puls wird ruhiger. Und der Wald wirkt auch auf die Psyche, vor allem durch das kräftige Grün und die Aufmerksamkeit für das, was man gerade hört, sieht oder riecht.

In Deutschland findet der Wald als Heilmittel immer mehr Akzeptanz. Mecklenburg-Vorpommern ist dabei Vorreiter und nutzt seine natürlichen Gegebenheiten mit Küste, Seen und Waldgebieten. Da sind zum einen die sogenannten Kurwälder, also solche, denen allgemein eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wird.

Doch die Konzepte in MV gehen viel weiter: In ausgewiesenen Heilwäldern können Patienten schneller genesen. Von speziell ausgebildeten Therapeuten begleitet, nutzen sie die Möglichkeiten der Natur. Besonders Menschen mit Herz- oder Atemwegsproblemen oder orthopädischen Erkrankungen profitieren davon, aber auch psychosomatische oder neurologische Beschwerden werden im Heilwald gelindert. Und möglicherweise gibt es auch positive Effekte für Post-Covid-Patienten.

Kriterien für wirksame Therapien

Der Gedanke, den Wald in Heilungsprozesse einzubeziehen, ist nicht neu. „Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat man Patienten mit Tuberkulose oder Rachitis in den Wald gebracht“, sagt Prof. Karin Kraft. Die Medizinerin hat den Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Rostock inne und ist maßgeblich an der Ausweisung von Heilwäldern beteiligt.

Denn dafür gibt es zahlreiche Kriterien. Es beginnt mit dem Makroklima und der relativ hohen Luftfeuchtigkeit, an den Binnenseen genauso wie an der Ostsee. Dazu kommt das lokale Klima, in dem es möglichst wenig Feinstaub geben soll.

Ein Heilwald kann also nicht in der Nähe von Autobahnen, Industriebetrieben oder Tierzuchtanlagen ausgewiesen werden.

Ein weiterer Punkt ist das Gelände selbst. Auf leichten Steigungen und verschiedenen Böden zum Beispiel lässt sich gut trainieren. Orthopädische Patienten brauchen verschiedene Untergründe, um zu trainieren. Menschen mit Atemwegserkrankungen sollen das richtige Luftholen erlernen – „das fällt vielen im Wald leichter als in einer Sporthalle“, so die Expertin.

Hinzu kommen Faktoren wie Sonnenscheindauer und Windrichtung, Temperatur und Vegetation. „Am besten ist Mischwald. Und die Temperatur im Wald ist im Winter drei Grad höher als auf freien Feld, im Sommer dagegen durch das Blätterdach der Bäume bis zu fünf Grad kühler.“

Besonders wichtig sind Sinneseindrücke. „Das Plätschern eines Baches wirkt beruhigend, wir mögen den Duft eines Waldes direkt nach dem Regen, und man kann auch mal einen Tannenzapfen in die Hand nehmen“, sagt Prof. Kraft. Laute Geräusche dagegen sind unerwünscht, weil sie Stress auslösen. „Aber wenn ein Ast knackt oder ein Specht an den Stamm klopft – das tut gut, denn wir nehmen das mit der sogenannten entspannten Aufmerksamkeit wahr.“

Und nicht zuletzt spielt es eine wichtige Rolle, dass Heilwälder erreichbar sind. „Viele Nutzer sind eingeschränkt, sie brauchen also einen Parkplatz und Wege, die weitgehend ohne Hindernisse sind.“ Ideal sei, wenn es in der Nähe eine Rehaklinik gibt, dann können deren Patienten die natürlichen Angebote unkompliziert nutzen.

Gesetzesänderung für die Gesundheit

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat die Projekte für Kur- und Heilwälder von Anfang an unterstützt, dafür wurde 2011 sogar das Landes-Waldgesetz angepasst. Im September 2017 wurde Europas erster Kur- und Heilwald in Heringsdorf auf Usedom eröffnet – 192 Hektar Outdoor-Gesundheitsraum in der einzigartigen Kombination aus See- und Waldklima. Verändert wurde in der Natur nur wenig, dafür das historische Wegenetz genutzt. Die Gemeinde hat das Gelände barrierefrei gestaltet, es gibt Sitzgelegenheiten an windstillen Plätzen, an den Wegrändern Markierungen für Sehbehinderte. Auf den Geräten einer Motorikstrecke aus Naturmaterialien können die Besucher die gesamte Muskulatur ihres Körpers stärken. Auf Tafeln werden die Möglichkeiten erklärt. Die vier ortsansässigen Reha-Kliniken, die Schule und das Seniorenheim nutzen das Gelände. Und inzwischen sind auch spezielle Therapien für Kinder, zum Beispiel mit Adipositas, möglich.

Zwei weitere Heilwälder sind in MV bereits ausgewiesen, andere schon geplant. Karin Kraft erstellt die medizinischen Gutachten und legt fest, welches Gebiet sich für welche Indikationen eignet. Das Waldgebiet muss – in Abstimmung mit der zuständigen Forstbehörde – strukturiert werden. Unter anderem werden Baumstümpfe als Sitzgelegenheiten gebraucht, ebenso weitläufige Wege für verschiedene Gruppen.

Mit dem viel zitierten Waldbaden haben diese Angebote nichts zu tun. Seit einigen Jahren werden in MV jedoch spezielle Waldtherapeuten ausgebildet. Sie kommen aus ganz Deutschland und sind zum Beispiel Physiotherapeuten oder Altenpfleger, Mediziner oder Psychotherapeuten.

Zertifikate europaweit

In Rostock gibt es inzwischen ein internationales Heilwaldbüro, angesiedelt bei der BioCon Valley GmbH, dem Dachverband der Gesundheitswirtschaft im Land. „Wir haben einen standardisierten Ablauf entwickelt, um solche Wälder zu zertifizieren“, sagt Leiterin Dr. Stefanie Frech. „Nun geht es darum, ihn in Deutschland und Europa, aber auch weltweit anzuwenden.“ Oft werden Heilwälder in der Nähe von Reha-Kliniken eingerichtet. „Aber es gibt auch Kommunen oder Privatpersonen, die ihr Gelände auf diese Art für Rehabilitation und Prävention nutzen wollen.“

Zwei Gutachten werden erstellt, die einerseits die Eignung des Waldstücks aus Sicht der Forst und andererseits aus Sicht der Medizin bewerten. Das Zertifikat gilt zunächst für fünf Jahre. So können die Patienten sicher sein, dass ihre Therapie eine gute Qualität hat. Waldgebiete werden vergleichbar und eignen sich dann auch für wissenschaftliche Studien.

Derzeit gibt nur in Rheinland-Pfalz einen weiteren Heilwald, ein anderer in Hessen soll demnächst zertifiziert werden. Auch in Österreich wurde im vergangenen Jahr der erste eröffnet. Weitere Kontakte hat die Zertifizierungsstelle bereits nach Slowenien, Portugal und Litauen.

Und für alle Menschen, ob mit oder ohne Erkrankung, gilt der Satz von Karin Kraft: „Es ist immer besser, in den Wald zu gehen, als es nicht zu tun. Ich habe noch niemanden gesehen, der kranker herausgekommen als hineingegangen ist.“

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