Wohin mit dem Atommüll?

Wie die Bürgerbeteiligung bei der Endlagersuche ausgebremst wird

Wie die Bürgerbeteiligung bei der Endlagersuche ausgebremst wird

Ausgebremste Bürgerbeteiligung bei der Endlagersuche

SHZ
Sterup
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Suche nach Atommüll-Endlager: Die Bürgerbeteiligung wird heftig kritisiert. Foto: Sebastian Kahnert/dpa/shz.de

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Ein Jahr lang hat Ingrid Lohstöter die Suche nach einem Atommüll-Endlager begleitet. Ihr Eindruck: Die Bürger werden von den zuständigen Behörden eher behindert als informiert und ernst genommen.

Vor einigen Jahren hatten die Bürgerinitiative „Angeliter bohren nach“ und Ingrid Lohstöter sich hartnäckig und erfolgreich gegen geplante Ölbohrungen zur Wehr gesetzt. Als nun Ende 2020 die Bundesgesellschaft für Endlagerung in einem „Zwischenbericht“ 90 Teilgebiete in Deutschland veröffentlichte, die für die Lagerung von hoch radioaktivem Atommüll in Frage kommen, erwachte der Kampfgeist erneut.

Gesucht wird ein Standort für den radioaktiven Atommüll

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Gesucht wird ein Standort, in dem der Müll für eine Million Jahre so sicher wie möglich gelagert werden kann. Und Angeln, genauer das Gebiet um Sterup, steht auf der großen Liste. Diesmal war jedoch nicht Widerstand angesagt, sondern eher Vorsicht und Kontrolle. „Wenn Sterup tatsächlich der sicherste Ort für den Müll in Deutschland ist, müssen wir damit leben“, sagt Ingrid Lohstöter. „Aber wir müssen sicher gehen, dass alle Schritte und Fakten nachvollziehbar sind – damit die Standort-Enscheidung toleriert wird und es keinen ’Krieg’ gibt wie einst in Gorleben.“

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Die Ausgangsposition schien gut, denn das eigens geschaffene Standortauswahlgesetz sieht eine umfassende und systematische Beteiligung der Öffentlichkeit, Transparenz und Partizipation in einem Dialog vor. Das System wurde als wegweisend in seiner Offenheit und Bürgerbeteiligung angepriesen – und war in dieser Beziehung wohl auch als Gegenentwurf zu den Vorgängen geplant, die sich 1977 rund um Gorleben ereignet hatten.

150 Videokonferenzen in einem Jahr

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Gut ein Jahr ist seitdem vergangen – und Ingrid Lohstöter hat in dieser Zeit nicht nur an rund 150 Online-Konferenzen teilgenommen, sondern auch viele Verbindungen geknüpft, Fachbegriffe nachgeschlagen, Berge von Akten gelesen und Fragen gestellt.

Die sogenannte Fachkonferenz Teilgebiete, in deren drei Beratungsterminen zwischen Februar und August 2021 sich jeweils etwa 1000 Einzelpersonen, Wissenschaftler, Verbände und Kommunen beteiligt hatten, waren selbst organisiert. Ansprechpartner war die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die jedoch bei den Teilnehmern stark in die Kritik geriet. So wurden offenbar geowissenschaftliche ortsspezifische Daten nicht ausgewertet und durch allgemeine Referenzdaten aus Kartenmaterial und Literatur ersetzt.

Schockiert von gravierenden Fehleinschätzungen

Dies führte zu irrwitzigen Fehlern: Ganze Regionen wurden von der BGE als endlagertauglich ausgewiesen, obwohl das angebliche „Wirtsgestein“ wie Salz, Ton und Granit dort gar nicht existiert. „Dieses Vorgehen und die gravierenden Fehleinschätzungen haben mich schockiert, denn schließlich geht es ja nicht um die Aussaat einer Blumenwiese, sondern um gesundheitsgefährdenden, hochradioaktiven Atommüll“, sagt Ingrid Lohstöter.


Auch wurden Fragen monatelang nicht und dann meist unzureichend beantwortet, was auch Ingrid Lohstöter erfahren musste. Andere Teilnehmer kritisieren zu kurze Redezeit, eine harsche Moderation und die Vermeidung von strittigen Themen. Die Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ bringt es für sich auf den Punkt: „Unter dem Strich verkommt die Fachkonferenz Teilgebiete zu einer Simulation von Beteiligung, die bei denen, die sich darauf eingelassen haben, große Kräfte und zeitliche Ressourcen gebunden hat, ohne dass dies eine relevante Wirksamkeit in Hinblick auf das Suchverfahren selbst entfaltet.“


Fragen wurden monatelang nicht beantwortet

Auch wurden Fragen monatelang nicht und dann meist unzureichend beantwortet, was auch Ingrid Lohstöter erfahren musste. Sie bekennt: „Wir haben es als frustrierend erlebt, dass wir Beschlüsse fassen, Gespräche führen, Wünsche und Anregungen äußern und es dann völlig im Belieben der Bundesgesellschaft für Endlagerung und dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) liegt, ob sie darauf antworten, etwas umsetzen – oder eben nicht, wie meist.“

Das Gesetz lässt in der wichtigsten Phase keine Bürgerbeteiligung zu

Die erste Phase der Bürgerbeteiligung ist inzwischen abgeschlossen. Am 7. September wurden die Beratungsergebnisse der Fachkonferenz an die BGE zur Überprüfung ihrer bisherigen Arbeit übergeben und damit die Fachkonferenz aufgelöst. Die Bürgerbeteiligung soll erst wieder einsetzen, wenn die große Zahl der in Frage kommenden Regionen, 54 Prozent des Bundesgebiets, auf eine Handvoll Standortregionen (1 bis 2 Prozent) eingegrenzt ist. Ausgerechnet in dieser wegweisenden Phase sieht das Standortauswahlgesetz keine formelle Beteiligung der Bürger mehr vor.


„Aber wir können doch nicht fünf oder sechs Jahre aussetzen – dann finden wir doch nie wieder den Anschluss an die Informationen und Ergebnisse“, sagt Ingrid Lohstöter. Inzwischen sind sich nach monatelangen Forderungen, Initiativen und Gesprächen alle Verfahrensbeteiligten einig, dass von der sogenannten Öffnungsklausel des Standortauswahlgesetzes Gebrauch gemacht werden und neue Beteiligungsformate geschaffen werden sollen. Gestritten wird noch um das Wie. Bisher will das BASE als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung die bisherige Selbstorganisation der Öffentlichkeit verhindern, die eine Bestimmung des Inhalts, der Fragestellungen und die Anhörung unabhängiger Wissenschaftler in den Konferenzen beinhaltet und garantiert hat. Zurzeit finden darüber Gespräche statt.

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