Schleswig-Holstein

Warum Beton auch in Niedrig-Energiehäusern der Klimakiller ist

Warum Beton auch in Niedrig-Energiehäusern der Klimakiller ist

Warum Beton der Klimakiller ist

Karl Urban/shz.de
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Bilanz zu bezahlbarem Wohnraum Foto: dpa

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Die Bauwirtschaft muss umdenken. Trotz Passivhaus-Standards sind Wohnsiedlungen wahre Betonwüsten, deren Bau immense Mengen CO₂ freisetzt. Dabei sind alle nötigen Technologien und Konzepte fürs klimafreundliche Bauen längst verfügbar.

Eine neue Wohnsiedlung wird gebaut, gut gedämmt und gilt damit als energiesparend nach Passivhaus-Standard. Doch oft ist die Lebensqualität mäßig: zu viel Beton und gesichtslose Fassaden, zwischen denen sich im Sommer die Hitze staut. Solche Viertel gibt es überall.

Es ist geradezu paradox: Moderne Wohnviertel können mit der richtigen Technik zwar schon heute klimaneutral beheizt werden. Aber für die Herstellung der Betonteile, vom Fundament bis zum Tragwerk, das das Gebäude statisch stabil macht, wird noch immer viel Beton verbaut. Damit einher gehen große Mengen an CO₂. „Das Problem am Massivbau ist leider, dass wir beim Beton die prozessbedingten CO₂-Emissionen haben“, sagt Sebastian Lederer. Er ist gelernter Schreiner mit abgeschlossenem Architekturstudium.

Lederer ist Mitglied der Architects for Future: Die Organisation, die den Fridays for Future nahesteht und sie in Baufragen berät, fordert seit Jahren mehr Klimaschutz in der Bauwirtschaft. Dazu gehören recht einfache Maßnahmen: Weniger Bestandsbauten abreißen, im Neubau mehr nachwachsende und recycelbare Baustoffe verwenden sowie Lebensräume für Mensch, Tier und Pflanzen schaffen und erhalten.

Bauingenieur: „Beton effizient zu verwenden, war niemals irgendein Kriterium“

Sebastian Lederer ist mittlerweile nicht mehr allein: Auf dem Deutschen Bautechniktag forderten viele Experten aus der Branche, dass sich etwas ändern müsse. Zu ihnen gehört auch Christian Glock, der 18 Jahre beim Baukonzern Bilfinger gearbeitet hat, bevor er vor fünf Jahren in die Wissenschaft wechselte.

Inzwischen forscht er als Professor für Massivbau an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität in Kaiserslautern: „In meinem Berufsleben war das Kriterium, Beton effizient zu verwenden, niemals irgendein Kriterium. Da sehe ich eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was die Branche tun müsste, und dem, was getan wird.“

Glock verfasste kürzlich mit mehreren Kollegen eine Streitschrift, die vom Thinktank des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA) veröffentlicht wurde, einem Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. Die Aussagen der Streitschrift sind gesalzen: Der Immobilien- und Bauwirtschaft fehle es an Visionen, Verantwortung und Zielen für eine lebenswerte Stadt. Eigentumsstrukturen, Regelwerke und ökonomische Interessen führten zu vielfältigen Brüchen und schwachen gestalterischen und dysfunktionalen Lösungen.

Kurz: Für die Stadt der Zukunft in einer immer wärmeren Welt existiere in der Branche keine Idee. Der Gebrauch klimaschädlicher Baustoffe werde genauso wenig in Frage gestellt wie der Bedarf riesiger Tiefgaragen in Zeiten sich ändernder Mobilität.

Der Gebäudesektor hat die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes nicht erfüllt

Aktuelle Emissionszahlen des Umweltbundesamtes für das Jahr 2022 bestätigen diese Sicht: Zwar erreichte Deutschland knapp sein Emissionsziel, was jedoch hauptsächlich auf Einbrüche in der Industrie zurückzuführen ist. Nicht erreicht wurden die Klimaziele dagegen im Gebäude-Sektor, wo die Emissionen um viereinhalb Millionen Tonnen überschritten wurden. Damit hat der Gebäudesektor gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes verstoßen.

Christian Glock fordert in dieser Lage nicht nur mehr Forschung. Denn für weitere Grundlagenforschung fehle schlicht die Zeit. Stattdessen möchte er eine Rückbesinnung auf die frühere Baupraxis. „Überspitzt gesagt, lasst uns gucken, was wir in der Nachkriegszeit gemacht haben und lass uns das wiederholen“, fordert der Forscher und ergänzt:

Bauen mit weniger Material: Lernen aus der Vergangenheit

In den 1950er-Jahren war das Material knapp, entsprechend wurde bestehender Bauschutt wiederverwertet und sparsam mit dem Zement umgegangen. Decken aus Rippenbeton oder aus sogenannten Kassetten waren filigraner und sparten dadurch viel Material ein.

Gebäude aus jener Zeit bringen die Planer von heute immer wieder ins Staunen: Als die Bauverwaltung der Stadt Tübingen 2015 ihr eigenes Technisches Rathaus sanieren und mit ressourcenschonendem Recyclingbeton erweitern wollte, erlebten die Fachleute eine Überraschung. Denn schon 1954 war der Ursprungsbau mit Beton aus zerkleinertem Ziegelschutt errichtet worden, der vermutlich aus zerbombten Gebäuden stammte.

Die heutige Baubranche muss schon lange nicht mehr an Material sparen – denn Baumaterial ist leicht verfügbar und vor allem billig. Das erklärt, warum auf Baustellen eher geklotzt als gekleckert wird. Selten berücksichtigen oder begrenzen Bauherren und ausführende Baufirmen die sogenannte graue Energie, also CO₂-Emissionen, die bei der Herstellung und dem Transport von Zement und Beton entstehen.

Dabei liegen klimafreundliche und ressourcenschonende Methoden längst auf dem Tisch: Verbaute Betonteile könnten viel dünner sein. CO₂-ärmere Rezepturen für Zement sind längst auf dem Markt. Auch eine breite Palette nachwachsender Baurohstoffe ist verfügbar – von Holz und über Lehm als Ersatz von Beton und Putz bis zu Stroh als Dämmstoff. All das müsste nun die Nische verlassen. Doch weiterhin werden solide Altbauten einfach abgerissen, im Neubau dicke Geschossdecken betoniert und nur sieben Prozent aller Baustoffe recycelt.

CO₂-Preis allein reicht nicht: Politik muss der Baubranche Grenzen auferlegen

„Es gäbe den Ansatz, das Ganze über den Preis zu regeln“, sagt Sebastian Lederer. Die Umweltfolgekosten im Betonbau müssten stärker eingepreist werden, denn Zertifikate an Zementwerke wurden von der Politik in den letzten Jahren häufig kostenlos ausgegeben. Christian Glock bleibt da allerdings skeptisch. Er habe mit seinen Kolleginnen am Beispiel von massiven Betondecken analysiert, ab welchem CO₂-Preis die Wahl der Baumaterialien spürbar beeinflusst werden würde.

Demnach kann der Markt die Bauwirtschaft trotz aller Bekenntnisse lange noch nicht zur Klimaneutralität zwingen. Dabei bestehen gerade bei Geschossdecken klimafreundliche Lösungen: Ein Verbundsystem aus Holz und dünnen Betonlagen kann eine vergleichbare Tragkraft erreichen, doch es gibt kaum Anreize, das auch zu tun.

Viele der Experten auf dem Deutschen Bautechniktag fordern deshalb mehr politische Vorgaben, für den Erhalt von Bestandsbauten oder für ein politisch vorgegebenes CO₂-Budget beim Neubau in den Innenstädten, das auch die immensen Emissionen der Zementherstellung berücksichtigt.

Ohne stärkere Regeln, das glaubt auch Sebastian Lederer von den Architects for Future, wird es nicht gehen. „Wir müssen parallel dazu schauen, was es kostet, nichts zu tun“, sagt er. Die Städte bräuchten einen Umbau, hin zu wasserdurchlässigen und -speichernden Flächen gegen den Starkregen, mit mehr Grünflächen gegen die Hitze und ausgerichtet auf eine Mobilität, die nicht das Auto, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

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