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Touristische Radwege: So groß sind die Mängel in SH

Touristische Radwege: So groß sind die Mängel in SH

Touristische Radwege: So groß sind die Mängel in SH

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Nicht wenige Stolperfallen enthalten Radwege in Schleswig-Holstein - wie hier an der Geltinger Bucht auf dem Ostseeküstenradweg Foto: Staudt/shz.de

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An der Ostsee, an der Nordsee, entlang des Ochsenwegs, der Unterelbe und der einstigen Grenze zur DDR: Diese fünf Routen für Radurlauber sind Prüfer im Auftrag des Verkehrsministeriums abgefahren. Sie haben eine lange Liste von Verbesserungsvorschlägen mitgebracht. Sie umzusetzen, würde mindestens 7,5 Millionen Euro kosten.

Damit Schleswig-Holstein als Urlaubsland für Radfahrer attraktiv wird, muss es eine Schippe drauflegen: Von den fünf wichtigsten touristischen Fernradwegen im Land sind je nach Route 20 bis 26 Prozent nur mäßig und drei bis acht Prozent schlecht befahrbar. Das hat ein Test im Auftrag des Verkehrsministeriums ergeben.

1350 Kilometer haben Prüfer des Planungsbüros „Lebens Raum Zukunft“ aus Kiel unter die Lupe genommen: den Ostseeküsten- und den Nordseeküstenradweg, den Ochsenweg, den Elberadweg und den „Iron Curtain Trail“ entlang der einstigen Grenze zur DDR. In Tagesetappen von jeweils rund 50 Kilometern sind sie die Strecken abgefahren.

Schon allein die Qualität des Belags haben die Gutachter nach fünf Kategorien bewertet. Unter anderem ging es dabei um zerstörten Asphalt mit großen Löchern und Rissen, grobes Kopfsteinpflaster, schlecht verlegte Platten, grob recycelten Beton oder nur aus Gras bestehende Abschnitte. Ob die Breite eines Radwegs ausreicht wurde ebenso geprüft wie Kollisionsrisiken mit Fußgängern. Die Testradler protokollierten den Fahrfluss störende Schranken oder Poller. Ein weiteres Augenmerk galt der Beschilderung, Rastplätzen und sonstiger Infrastruktur.

Alle zehn Sekunden hat eine Kamera am Lenker automatisch ein Foto gemacht. Damit sind Mängel nun so akribisch dokumentiert wie noch nie: Unterteilt nach 1700 Abschnitten, listet „Lebens Raum Zukunft“ in Wort und Bild für die fünf Routen genau auf, was gut und was schlecht ist. Für jeden Abschnitt gibt es einen Steckbrief mit detaillierten Informationen; mit Geodaten hinterlegt und damit für die für den Unterhalt zuständigen Gemeinde und Städte schnell auffindbar.

Der Elberadweg schneidet besonders mau ab

Am mauesten schneidet der Elberadweg ab. Von ihm lassen sich 34 Prozent nur mäßig oder schlechter befahren. Beim Ostseeküstenradweg und dem Iron Curtain Trail gilt das für je 26 Prozent, beim Nordseeradweg und Ochsenweg für 23 Prozent.

Blickt man auf die alleruntersten Kategorien, ergibt sich folgendes Bild: Abschnitte mit einer schlechten oder unbefahrbaren Belagsqualität haben die Prüfer als „Mängelstrecken“ definiert. Am Ochsenweg summieren sie sich auf 31,9 von insgesamt 346 Kilometern.

An der Ostsee machen sie 21 von 446 Kilometern aus, an der Nordsee 21 von 361 Kilometern. Überproportional schlecht schneidet der 117 Kilometer kurze Elberadweg ab mit 17,9 mangelhaften Kilometern; gut da steht der Iron Curtain Trail mit 4,8 Kilometer Mängelstrecke bei 81 Kilometern Gesamtlänge.

Infotafeln nur in einem einzigen Kreis - aber eh nicht lesbar

An „punktuellen Mängeln“ haben die Prüfer am meisten am Ostseeküstenradweg entdeckt: 211. Dabei geht es etwa um ungünstig positionierte Poller, Stufen, gefährliche Wegführungen, fehlende oder falsche Beschilderung. Oder um Infotafeln. Entlang der Ostseeroute waren sie überhaupt nur im Kreis Schleswig-Flensburg aufzuspüren.

Dieses vermeintliche Lob schlägt im nächsten Satz des Protokolls gleich um ins Gegenteil: Alle Tafeln sind „so stark verblichen, dass die Inhalte nicht mehr erkennbar waren“. Am Ochsenweg fielen 180 punktuelle Mängel auf, an der Nordsee 140, am Elberadweg 40 und an der einstigen innerdeutschen Grenze 29.

Die Strecke entlang der Ostsee erweist sich laut den Prüfern schon von ihrer Beschaffenheit her als vergleichsweise anfällig: Ein großer Teil führt unmittelbar an der teils verwinkelten Küste entlang. Die Westküste verläuft geradliniger; dort nutzt der Radwanderweg häufiger die asphaltierten Wege mit, die außendeichs ohnehin vorhanden sind.

Warum es auf dem Ochsenweg besonders schmal ist

Sandartige wassergebundene Decken gibt es denn auch besonders häufig auf dem Ostseeküstenradweg. Dort machen sie 19 Prozent aus. Der Ochsenweg hat mit über zehn Prozent seiner Länge den mit Abstand größten Anteil an Betonspurbahnen. Deshalb verfügt er auch über den höchsten Anteil an sehr schmalen Wegen von weniger als 1,25 Metern. Dennoch: Auf allen Routen dominiert Asphalt auf mehr als zwei Drittel der Strecke.

Überproportional oft führt der Iron Curtain Trail die Radler auf Überlandstraßen ohne eigenen Radweg entlang. Rund zwei Drittel aller Wege aber bietet eine gut nutzbare Breite von mehr als 2,5 Metern.

Es fehlt an abschließbaren Abstellmöglichkeiten

„Expliziten Ausbaubedarf“ sehen die Tester für abschließbare Abstellmöglichkeiten. Diese brauchen Radreisende vor allem, wenn sie Sehenswürdigkeiten besichtigen oder zu Fuß durch einen Ort bummeln wollen. Gerade für die kostspieligen E-Bikes sei das von großer Bedeutung.

Beseitigung aller Mängel kostet mindestens 7,5 Millionen

Die Kosten für die Beseitigung aller Mängel beziffert das Gutachten auf mindestens 7,5 Millionen Euro. Die Autoren rufen dazu auf, nicht nur die allerärgsten Missstände abzustellen. Auch „Abschnitte mit mäßiger Belagsqualität sollten bei Verbesserungsmaßnahmen nicht außer Acht gelassen werden, da davon auszugehen ist, dass sich deren Qualität weiter verschlechtert.“

Vorsicht vor Verlegungen von Strecken

Ein weiterer Tipp: Bei einer zu verwinkelten Routenführung stelle eine Verlegung der Strecke „zwar oftmals die finanziell günstigere Lösung dar - gehe aber „möglicherweise mit dem Verlust des eigentlich attraktiven Streckenabschnitts einher, der den Radfernweg auch thematisch ausmacht.“

Zur Diskussion: Gehwege mit Zusatzzeichen

„Diskussionsbedarf“ sehen die Experten über die Eignung von Spielstraßen und Gehwegen mit dem Zusatzzeichen „Radfahrer frei“. Diese machen stattliche 62 Kilometer der fünf Radfernwege aus, fast die Hälfte davon am Ostseeküstenradweg. Dort ist für Radfahrer eigentlich Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben. „In der Realität ist das allerdings nur wenig praktikabel“. Radreisende seien in der Regel auf schwer beladenen Fahrrädern unterwegs, mit denen ein solches Mini-Tempo kaum möglich sei.

Vor allem in der Hochsaison kämen sich in touristischen Hotspots Fußgänger und Radfahrer in die Quere.

Land prüft Einrichtung einer Koordinierungsstelle

Die Ergebnisse der Befahrungen hat das Verkehrsministerium über die Kreise an die betroffenen Kommunen und die Tourismusorganisationen weiter gegeben – „mit der Aufforderung, Mängel zu beseitigen und qualitätsverbessernde Maßnahmen anzustoßen“. Um die Akteure in der Fläche dabei zu unterstützen, prüft das Ressort des parteilosen Claus Ruhe Madsen die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle für den Radtourismus. Dazu seien aber noch haushaltsrechtliche Fragen zu klären.

Testradler machen weiter

Zudem wird die Bestandsaufnahme fortgesetzt. Derzeit werden die acht weiteren Radfernwege in Schleswig-Holstein befahren und bewertet: die Grenzroute, der Wikinger-Friesenweg, der Eider-Treene-Sorge-Radweg, die Nord-Ostsee-Kanal-Route, der Holsteinische-Schweiz-Radweg, der Mönchsweg und die Alte Salzstraße im Kreis Herzogtum Lauenburg.

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