Interview mit Moritz Luft

Tourismus-Chef fordert von Syltern mehr Toleranz und weniger Meckerei

Tourismus-Chef fordert von Syltern mehr Toleranz und weniger Meckerei

Tourismus-Chef fordert mehr Toleranz und weniger Meckerei

SHZ
Sylt
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Moritz Luft (46) Foto: Lea Pischel/shz.de

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Moritz Luft spricht im Interview mit shz.de über das schräge Selbstverständnis mancher Sylter, das Völlegefühl auf der Insel und mangelnde Veränderungsbereitschaft.

Als Moritz Luft 2006 mit 31 Jahren die Möglichkeit hatte, nach Sylt zu gehen, hat er nicht lange gezögert. Sylt war damals schon für Touristiker „eine der interessantesten Destinationen“. Seit 16 Jahren ist der 46-Jährige jetzt Tourismuschef der Insel und mit seiner Familie hier heimisch geworden. Nur die Tide hat den Segler, der an der Ostsee aufwuchs, „irgendwie gestresst“. „Ich hatte lange ein Boot hier, aber irgendwie wurden wir beide nicht warm.“ Mit dem Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH (SMG) haben wir über Eigenheiten der Insulaner, Corona und die Zukunft der Insel gesprochen.

Das sagt Moritz Luft ...

über das Verhältnis von Gästen und Insulanern . .

Warum unterscheiden wir immer zwischen Touristen und Inselbewohnern? Ich gehe genauso nach Feierabend zum Strand und nutze die Verkehrsinfrastruktur und Freizeitangebote. Mir gefällt daher die Kopenhagener Tourismusstrategie, die sagt: Für uns spielt es keine Rolle, ob jemand temporär bei uns wohnt oder dauerhaft.

über die Pandemie-Zeit . . .

Ich habe das als die intensivste Zeit meines Lebens auf Sylt erlebt, weil es eine Zeit voller Ungewissheit und Arbeit war. Die SMG wird unter anderem durch die von den Betrieben zu entrichtete Tourismusabgabe finanziert und als für die Betriebe nichts mehr lief, sahen wir es an gefordert an, zumindest mit Orientierung, mit Informationen, mit Lobbyarbeit zu helfen. Mitte Februar letzten Jahres war schon klar, dass durch die Lockdowns in den Alpen eine riesige Nachfrage- und damit einhergehend Problemwelle auf die Insel schwappen würde. Darauf mussten wir uns vorbereiten. Deshalb waren mein Team und ich im Dauerstress. Meine Familie hat mich entsprechend weniger gesehen.


über das, was er während Corona vermisst hat . . .

Auch mal runter zu kommen von der Insel, sie aus einer anderen Perspektive betrachten zu können und Einflüsse mitzubringen auf die Insel. Aus meiner Sicht ist dies eine stetige Anforderung an die Insel und an uns, nämlich sich auf neue Ideen und Entwicklungen einzulassen. Von Oktober bis März fühlten wir hier etwas gefangen und so war ich echt froh, dann endlich mal wieder reisen zu können.

über Exklusivität . . .

Corona hat uns Insulanern wieder stärker gezeigt: Wir leben hier ja auch noch. Hier gibt es eine Schönheit, die ist auch für uns da und während der Pandemie hatten wir sie exklusiv. Diese Exklusivität hat aber dazu geführt, dass einige sich gern dauerhaft weniger Gäste wünschen, ungeachtet dessen, wie abhängig die Insel von jedoch ihnen ist.


darüber, wie Corona das Miteinander verändert hat . . .

Der Ton ist rauer geworden. Ich glaube, dass wir Insulaner uns wieder stärker auf Toleranz, Einsicht und eine angemessene Kommunikation besinnen sollten. Die Corona-Krise, die Dauerbeschallung von Negativthemen, hat uns so runtergezogen, dass es deutlich auf die Stimmung drückte. Einige hatten beispielsweise finanzielle Sorgen, andere Sorgen mit der Betreuung ihrer Kinder zuhause oder in der Schule; es lief oft wenig rund. Diese gedrückte Stimmung hat sich auch auf die Kommunikation übertragen. Dies ist zwar kein Sylt-spezifisches Phänomen, es ist vielfach ähnlich zu spüren. Dennoch sollten wir hier schnell zu einem guten Miteinander zurückkommen und lösungsorientiert an den Herausforderungen arbeiten, die da sind, und nicht weiter Zeit mit Meckern verbringen, insbesondere über Kanäle der sozialen Medien.

über die touristische Zusammenarbeit auf der Insel . . .

Auf touristischer Ebene klappt es sehr gut, weil sich Touristiker mit Bürgermeistern und Verbänden regelmäßig austauschen und Themen gemeinsam bearbeiten. Vor Jahren hatten wir beispielsweise noch unterschiedliche Gastgeberverzeichnisse und Buchungssysteme – immer mehr Projekte werden sinnvoll gesamtinsular ausgerichtet und optimiert, neue kommen hinzu. Aktuell wird unter anderem daran gearbeitet, eine digitale Kurkarte für alle Inselgemeinden zu installieren und eine nachhaltige Dachmarke zu kreieren. In diesem Zusammenhang sehe ich es als unsere Hauptaufgabe im Binnenverhältnis, die Kommunikation untereinander zu fördern und für Transparenz zu sorgen.


über das Reiseverhalten von Gästen . . .

Das können wir in der SMG nur begrenzt steuern. Deutschlandweit verreisen immer mehr Gäste immer öfter, dafür werden ihre Aufenthalte kürzer. Das bedeutet: Um die Übernachtungszahlen überhaupt zu halten, müssen mehr Gäste anreisen. Hieraus resultiert ein deutlich erhöhter Umlauf, der sich nicht unendlich weiter steigern lässt. Zumindest konnte auf Sylt die durchschnittliche Verweildauer in den letzten drei Jahren gehalten werden. Aber wieder auf längere Zeiten zurückzudrehen, auch wenn wir es uns wünschen würden, wird für unsere Gastgeber nur in sehr beschränktem Maße realisierbar sein. Das Gefühl, dass es immer voller sei, entsteht maßgeblich durch ein erhöhtes und permanentes An- und Abreiseaufkommen.

über Hotels und Ganzjahresgäste . . .

Die Beherbergungsstruktur hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren grundlegend verändert. Wir haben weniger private Gastgeber, dafür deutlich mehr Hotels. Das hat zwei Effekte: Hotels sind personalintensiver, damit einhergehend haben sich beispielsweise auch die Mitarbeitersuche und das Wohnraumproblem verschärft. Der zweite Effekt ist, dass Hotels mit Wellness- und Restaurantnageboten auch interessanter sind für Aufenthalte in der Nebensaison. Das heißt, die Insel hat sich stärker als Ganzjahresdestination entwickelt. Das spiegelt sich in der Übernachtungsstatistiken vor Corona deutlich wider: Wir wachsen in der Nebensaison, verlieren dafür aber sogar leicht in den Sommermonaten. Aufs ganze Jahr ist die Entwicklung der Übernachtungen nur leicht gestiegen.

über Mobilität . . .

Zweifellos eines unserer Hauptthemen, an denen dringend gearbeitet werden muss, und zwar sowohl im Bereich bedürfnisgerechter Mobilitätsangebote und Infrastruktur als auch in der Optimierung des ruhenden Verkehrs. Allein die Parkplatzsuche in der Westerländer Innenstadt löst immer wieder völlig unnötige Suchverkehre aus. Dabei machen es viele Kommunen doch schon vor, wie mit intelligenten Systemen die Parkraumbewirtschaftung verbessert werden kann. Und bei allen wirklich schnellstmöglich umzusetzenden Maßnahmen gilt es, eine deutliche Senkung der CO2-Emissionen zu erwirken. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn neue Alternativen derart attraktiv und sicher sind, dass man für einen Wechsel auch bereit ist und sein Auto stehen lässt. Ein kostenfreier ÖPNV allein wird einen Wechsel jedenfalls nicht signifikant auslösen.

über Radverkehr . . .

Vor 20 Jahren hat sich niemand vorstellen können, dass so viele E-Bikes gefahren werden, die sich das Wegenetz mit Fußgängern, Radfahrern und zunehmend noch E-Scootern teilen. Das bedeutet, dass immer wieder neue Problem-Situationen entstehen, die dann entsprechend zeitnahe Optimierungen bedingen. Einige Kommunen reagieren durchaus agil, in dem Mobilitätsmanager derartige Aufgaben frühzeitig aufgreifen. Sylt ist jedoch anders aufgestellt, trotzdem müssen wir dringend an der Umsetzung unserer Konzepte arbeiten und dafür noch deutlich mehr aufs Gas drücken.

über Toleranz und Offenheit . . .

Bei neuen Entwicklungen und Herausforderungen muss es ein Grundverständnis auf der Basis einer transparenten Kommunikation geben. Ich erwarte aber auch von denjenigen, die bei bestimmten Sachverhalten gänzlich anderer Meinung sind, mitunter ein bisschen mehr Toleranz und Offenheit, Dinge wenigstens auszuprobieren oder auch zuzulassen. Mit einer Strategie, dass wir oftmals ein Thema starr und bis zu Erschöpfung ausdiskutieren und dadurch kostbare Zeit verlieren, sinkt jedenfalls die Motivation in unserer insularen Gemeinschaft merklich. Dabei leben wir doch alle zusammen gerade mal auf 99 Quadratkilometern.

über Kastendenken und wem die Insel gehört . . .

Allen gehört die Insel und alle haben ein gleiches Recht, hier zu sein. Nicht nur Insulaner, und übrigens auch nicht Zweitwohnungsbesitzer oder langjährige Stammgäste mehr als unkundige Erstbesucher. Ich persönlich finde es manchmal ganz schön schräg, mit welchem Selbstverständnis beispielsweise manch Sylter für sich andere Rechte einfordert. Und zum Thema Kastendenken fällt mir gerade bei kontroversen Diskussionen immer wieder schmunzelnd auf: Es gibt dann „die Naturschützer“, „die Touristiker“, „die Einheimischen“, „die Gäste“ – je nachdem, wie es gerade passt. Dabei sind wir eigentlich alle alles – zumindest empfinde ich mich so.


über einen Imagewechsel Sylts zur „Öko-Insel“ . . .

Die Frage muss uns allen gleichermaßen gestellt werden, denn die SMG als touristische Marketingeinheit kann nur das vermarkten, was hier auch tatsächlich angeboten wird. Das heißt, sie kann solch radikalen Imagewechsel nur dann mit herbeiführen, wenn auch alle Gastgeber entsprechende Vorarbeit leisten. Nistdestotrotz werden wir uns im Bereich Klimaschutz weitaus mehr ausrichten müssen. Daher engagieren wir uns in der SMG auch verstärkt in der entsprechenden Netzwerkarbeit und der Angebotsaufbereitung.

über Veränderungsbereitschaft . . .

Na ja, vieles läuft seit vielen Jahren gut und routiniert. Dennoch sollten wir uns nicht ausruhen, denn Gewohnheiten und Anforderungen ändern sich stetig, siehe das bereits erwähnte Reiseverhalten unserer Gäste. Daher wäre es gut, wach zu bleiben und mitunter bei bestimmten Themen auch mal mit gutem Beispiel voranzugehen, bevor wir eine Erwartungshaltung an unsere Gäste richten. Wenn wir von den Gästen beispielsweise wünschen, dass sie sich hier möglichst ohne Auto fortbewegen, sollten wir selbst auch nicht ständige die eigene Schleuder für die meist kurzen Wege anschmeißen.

über das Sylt-Klischee „Schön und reich“ . . .

Ja, das nervt schon immer wieder. Sylt hat ein derart vielfältiges und tolles Angebot, dass die unterschiedlichsten Aufenthaltsmotive und damit Gäste angesprochen werden. Insgesamt lebt die Insel eher von der bürgerlichen Mitte und weniger von den vermeintlich Schönen und Reichen.

über seine Idealvorstellung von Sylt in zehn Jahren . . .

Wir haben eine zukunftsorientierte Mobilität, in erster Linie durch eine intakte Erreichbarkeit über die Bahn und ein gesundes Zusammenspiel zwischen Einheimischen und Gästen, geprägt von gegenseitiger Toleranz.

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