Kult-Getränk

Sternmarke-Schnaps: Das „Nationalgetränk“ der Nordfriesen

Sternmarke-Schnaps: Das „Nationalgetränk“ der Nordfriesen

Sternmarke-Schnaps: Das „Nationalgetränk“ der Nordfriesen

Marco Nehmer/shz.de
Husum
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Pflichtprodukt im Einzelhandel in Nordfriesland: Sternmarke im Zentralmarkt in Süderlügum. Das Getränk ist im Norden von SH so beliebt wie sonst nirgendwo. Foto: Marco Nehmer/shz.de

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Ob auf dem Zeltfest, in der Disco oder bei der Privatparty: An Sternmarke ist in Nordfriesland kein Vorbeikommen. Die Herstellerfirma verkauft jährlich Hunderttausende Flaschen im äußersten Norden – muss aber bald an der Preisschraube drehen.

Das gleich vorweg: Alkohol ist eine Droge, die Risiken sind hinlänglich bekannt. Und doch ist er Bestandteil des Alltags der Menschen, tief verankert in der Gesellschaft, wird gern als sozialer Schmierstoff bezeichnet. Und weil nichts in Nordfriesland so geschmeidig zu schmieren scheint wie diese goldbraune, mit Weindestillat versetzte Spirituose, geht es hier nun um Sternmarke. 26 Prozent Alkohol, 100 Prozent Kult.

Was Oldesloer Korn mit Sternmarke-Schnaps zu tun hat

Warum bloß funktioniert dieser günstige Schnaps, von manchen als Fusel verschrien, so gut im äußersten Norden von Deutschland – und warum eigentlich fast nur hier? Die Suche nach Antworten führt direkt in ein Video-Meeting mit Klaus Runge, Vertriebsleiter von August Ernst.

Die Brennerei aus Bad Oldesloe, Heimat des nicht minder berüchtigten Oldesloer Korns, ist seit 2019 im Besitz der Marke mit dem Stern. Ursprünglich hatte sie einmal zur Weinbrennerei Scharlachberg gehört, bis heute findet sich der charakteristische Scharlachberg-Kopf im Stern auf dem Etikett, wacht wie ein Vorfahre über die ab 1992 von Konzern zu Konzern weitergereichte Spirituose aus dem Billig-Segment. Runge hält die Flasche in die Kamera, nicht ohne Stolz.

Kult-Getränk wird gerne mit Cola gemischt

„Die Marke ist extrem nordisch, das ist schon sehr speziell“, sagt Runge, 53, ein in der Branche erfahrener Fachmann. Dass ein Produkt derart lokal ist, im nördlichen Schleswig-Holstein nachgefragt wird wie sonst nirgends, das ist aber auch für ihn ungewohnt. Runge nennt es den „Sternmarke-Äquator“, zieht eine gedachte Linie oberhalb von Neumünster. Je weiter nach Norden, desto absatzstärker das Getränk, das landläufig als „Mische“ mit Cola gereicht wird.

Konkrete Zahlen zum Alkohol-Verkauf

350.000 Flaschen Sternmarke, abgefüllt im Zweigbetrieb im sächsischen Meerane bei Zwickau, hat die August Ernst GmbH im Jahr 2022 abgesetzt, etwa 70 Prozent davon in der Hochburg um Nordfriesland, Flensburg, Angeln. Eine Viertelmillion Flaschen für das feuchtfröhliche Epizentrum. „Was die Großhändler und Supermärkte da seit Jahren an Mengen durchhauen“, sagt Runge, „das ist schon erstaunlich.“

In der Kneipe, auf dem Zeltfest, in der Küche. Aus dem Senfglas mit Henkel oder direkt aus dem Pott – Nordfriesland, einig „Sterni“-Land. Wie es so weit kommen konnte, dazu gibt es verschiedene Erzählungen. Eine geht so: Die Flensburger Firma hinter dem legendären Pott-Rum, beteiligt am und später aufgegangen im Racke-Konzern, von 1992 an Sternmarke-Eigner, soll mit seinen Außendienstlern damals etliche Gastwirte in Nordfriesland heftig umgarnt haben – mit dem Ziel, Sternmarke auf die Getränkekarten zu bekommen. Und was in der Gastronomie läuft, so die Logik, wollen die Leute dann auch in den Supermarktregalen stehen haben.

„Kenning West, Alder“ sammelt mit „Sterni“-Lyrics 27 Millionen Streams bei Spotify ein

So simpel können die Dinge manchmal sein, wenn sie denn so stimmen, was wiederum völlig egal ist, denn an der Tatsache ist nicht zu rütteln: Sternmarke ist ein Teil nordfriesischer Identität – und häufig auch Anlass zur Selbstironie. Beim satirischen Wikipedia-Klon „Stupidedia“ etwa heißt es, Sternmarke, das „Nationalgetränk der Nordfriesen“, sei eine Erfindung des „Trunkenbolds und Dorfchemikers Hans-Peter Hansen-Petersen“, der versucht habe, „aus Wasser, Terpentin und Watt die nordfriesische Antwort auf Chanel No. 5 zu finden“. Es gibt auch einen veritablen Sternmarke-Hit aus Nordfriesland, „Kenning West, Alder“, bei Spotify hat er knapp 27 Millionen Abrufe. Zahlen, die geradezu betrunken machen.

An Rezeptur des Kult-Getränks wird nicht mehr gerüttelt

Dabei gibt es auch eine Zahl, die kontinuierlich gesunken ist im Laufe der Jahre: Der Alkoholgehalt in der Sternmarke. Gestartet sind sie mal bei 38 Prozent, in mehreren Schritten bei den aktuellen 26 gelandet. Geht‘s irgendwann noch weiter runter? Klaus Runge winkt ab: „Das ist das untere Limit.“ Spirituosen müssen in Deutschland mindestens 15 Prozent Alkohol enthalten, insofern wäre noch Spielraum. Aber, so Runge: „Wir werden einen Teufel tun, die Rezeptur zu verändern.“

Deshalb wird Sternmarke bald teurer

Es bleibt, wie es ist, das wird man im traditionsbewussten Norden gerne hören. Aber das hat seinen sprichwörtlichen Preis: Sternmarke muss teurer werden, der aktuelle Ladenpreis von 6,29 Euro ist nicht zu halten. Glas, Pappe, Verschlüsse, zugekaufter Alkohol – an allen Ecken steigen die Kosten, die Kundschaft wird das bald zu spüren bekommen. Ob das den Durst aber nachhaltig schmälert? Bei den Nordfriesen und ihrer eigentümlichen Liebe zur Sternmarke darf das getrost bezweifelt werden.

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