Frühstart

SH: Informatik wird reguläres Schulfach

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SHZ
Kiel
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Informatik gehört in Zukunft auf die Stundenpläne in Schleswig-Holstein. Foto: Marijan Murat

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Lehrkräfte, die das Fach studiert haben, gibt es kaum. Durch eine große Weiterbildungs-Offensive will Schleswig-Holstein den Informatikunterricht dennoch ausbauen und früher beginnen lassen.

Trotz weiter großen Lehrermangels will die Landesregierung den Informatikunterricht an einem Teil der Schulen regulär einführen. Ab dem kommenden Schuljahr 2022/23 soll ein Drittel der weiterführenden Schulen das Fach bereits verpflichtend mit je zwei Stunden pro Woche entweder in der fünften, sechsten oder siebten Klasse anbieten. Für diese Pilotphase können sich interessierte Gemeinschaftsschulen und Gymnasien bewerben. Das hat Bildungsministerin Karin Prien jetzt angekündigt. Die CDU-Politikerin geht damit zeitlich auf den allerletzten Drücker eine Verabredung aus dem Jamaika-Koalitionsvertrag an. Darin war 2017 der Wille zu einer deutlichen Stärkung der Informatik an den Schulen formuliert worden.


Die auf ein Schuljahr angelegte Pilotphase wird laut Prien wissenschaftlich begleitet. „Im Anschluss entscheiden wir über eine flächendeckende Einführung des Pflichtfaches in der Sekundarstufe I an allen Schulen“, sagt die Ministerin.

Bisher ist Informatik allenfalls ein Wahlfach

Bisher treffen Schüler frühestens in der Mittelstufe und dann auch nur in Form eines freiwilligen Wahlfachs auf Informatik. Über die gesamte Oberstufe dann bieten laut Bildungsministerium etwa 55 Prozent der Gymnasien Informatikkurse an und 20 Prozent der wenigen Gemeinschaftsschulen, die eine Oberstufe haben. Seit August haben fünf Gymnasien Informatik erstmals als Profilfach im Programm. Das heißt: Die Schüler können es als für ihr Abitur besonders relevantes Schwerpunktfach wählen.

99 fachfremde Lehrkräfte in der Weiterbildung

Möglich wird die Ausweitung von Informatik auf jüngere Jahrgänge durch eine Weiterbildungs-Offensive, die das Land zu Anfang des laufenden Schuljahrs eingeläutet hat. 99 Lehrkräfte mit Studienabschlüssen in anderen Fächern haben da die anderthalbjährige Qualifizierung begonnen. Am 1. Februar sollen weitere 100 Kollegen damit starten. Zudem richtet das Land für die Pilotphase 25 zusätzliche Lehrerstellen für Informatik ein.

In keinem anderen Schulfach ist der Mangel an Experten derart groß: Ein zweites Staatsexamen in Informatik haben an Gemeinschaftsschulen nur 13, an Gymnasien 47 und an berufsbildenden Schulen 83 Lehrkräfte. Darüber hinaus erteilen auch nicht aus- oder weitergebildete Personen den Unterricht. An der Kieler Universität, der einzigen Ausbildungsstätte für Informatiklehrer, wird jedes Jahr eine nur einstellige Zahl von Absolventen fertig. Im Bildungsministerium ist man sich sicher, dass der Studiengang auf mehr Nachfrage stoßen wird, wenn Informatik erst als reguläres Unterrichtsfach eingeführt wird.


„Um Quereinsteiger in den Schuldienst zu holen, wird das Land noch dicke Bretter bohren müssen“, glaubt Sven Bertel, Informatik-Professor an der Hochschule Flensburg. Absolventen des Studienfachs seien auf dem Arbeitsmarkt allgemein derart gefragt, „dass jeder drei Jobangebote hat, wenn er nicht bei zehn auf dem Baum ist“. Oft seien die Konditionen in der Wirtschaft besser.

Diese Themen stehen auf dem Stundenplan

Bertel unterstützt deshalb das Ziel, Lehrkräfte aus anderen Studiengängen für Informatik nachzuqualifizieren. Dazu hat er gerade ein Lehrkonzept nach ausgiebigem Praxistest an der Auguste-Viktoria-Schule in Flensburg entwickelt. 20 Lehrkräfte aus dem ganzen Land haben es in einem zweitägigen Seminar erprobt. Es greift die Fachanforderungen auf, die das Land Anfang dieses Schuljahrs in Kraft gesetzt hat. Sie lösen die bisherigen Lehrpläne ab und sollen das Fach zugänglicher machen. Beispiele für Themen sind: Wie werden Daten im Internet zwischen Rechnern transportiert? Wie funktioniert verschlüsselte Kommunikation mit einem Webserver? Wie arbeitet ein Prozessor, der in allen digitalen Geräten vorkommt? Aus welchen Bausteinen sind alle Programme aufgebaut?


„Programmieren ist auf jeden Fall notwendig, aber nicht hinreichend in unserem Fach“, lautet Bertels Credo. „Der Unterricht sollte zeigen, wie breit Informatik aufgestellt ist.“ Um einen sanften Einstieg zu ermöglichen, beginnt sein Konzept mit nicht so technologischen Lerneinheiten. Die Schüler entwickeln Prototypen etwa einer App oder einer Website zunächst mit Stift und Papier. Erst die Fragen einer zielgruppengerechten Anwendung klären, dann das Tüfteln am eigentlichen Funktionieren von Programmen, dann das Testen mit Nutzern – „so geht es bei der Softwareentwicklung draußen in der Welt auch zu“, erklärt Bartel. „Alle drei Aufgaben ziehen unterschiedliche Typen an.“

Entwickelt hat die Hochschule Flensburg ihre Unterricht-Tipps im Dialog mit älteren Schülern. „Wesentliche Ideen des Konzepts sind aber auch gut für jüngere Schüler geeignet“, findet der Professor. „Auch lässt es sich je nach Zahl der verfügbaren Stunden gut rauf- oder runterskalieren.“ Reizvoll findet es der Wissenschaftler, dass die neuen Fachanforderungen der Gestaltung des Unterrichts viele Freiheiten lässt. Er ist bei den zu vermittelnden Kompetenzen und Methoden prozessorientierter angelegt als manches andere Fach.“ Beispiel: „Während in Bio im Halbjahr X auf jeden Fall etwa der Zitronensäurezyklus vorkommen muss, sind thematische Inhalte in Informatik nicht derart verbindlich vorgeschrieben.“

Eher fünf nach als vor zwölf

Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es aus seiner Sicht schon eher fünf nach zwölf als vor ist, um Informatik eine höhere Bedeutung an den Schulen zu verleihen. „Die digitale Durchdringung des Lebens wird ja nicht nur in den kommenden Dekaden eine noch stärkere Rolle spielen, sie ist ja auch jetzt schon groß. Da ist es extrem wichtig zu verstehen, wie bestimmte Anwendungen gebaut sind und wie sie laufen, auch für unsere wirtschaftliche Zukunft. Von daher beginnt das Land jetzt eigentlich eher, einen Nachholbedarf einzulösen.“

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