Klima, Soziales, Gesundheit

Das sagen die Spitzenkandidaten aus SH im Streitgespräch

Das sagen die Spitzenkandidaten aus SH im Streitgespräch

Das sagen die Spitzenkandidaten aus SH im Streitgespräch

Kay Müller, SHZ
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Energische Diskussion mit den Spitzenkandidaten für den Bundestag im Kieler Landtag. Foto: Michael Staudt, SHZ

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Was bedeutet die Bundestagswahl für Schleswig-Holstein? Darüber haben die Spitzenkandidaten der Parteien am Sonntag zwei Stunden lang diskutiert und Fragen unserer Leser beantwortet. Das Streitgespräch zum Nachschauen.


Der Unbekannteste macht gleich zu Anfang klar, wohin seine Reise gehen soll: „Ich werde in Berlin auf den Tisch hauen“, sagt Stefan Seidler. Der 41-Jährige, der das erste Mal seit 60 Jahren versucht, den SSW wieder in den Bundestag zu führen, bekommt dafür allerdings erstmal eine kleine Leerstunde vom Vizepräsidenten des Bundestags, Wolfgang Kubicki. „Dafür müssten Sie sich als einzelner Abgeordneter einer Fraktion anschließen, denn sonst haben Sie gar keinen Tisch vor sich“, sagt der FDP-Politiker – und hat die Lacher auf seiner Seite.


Vier Themenblöcke und ordentlich Feuer

Die knapp 50 Zuhörer im Schleswig-Holstein-Saal des Landeshauses mögen solche Momente. Sie sind auf Einladung unserer Zeitung nach Kiel gekommen, um ihre Fragen an das Spitzenpersonal der Parteien für die Bundestagswahl in drei Wochen loszuwerden. Am Ende erleben sie eine „turbulente, aber auch lustige Runde“, wie sh:z-Chefredakteur Stefan Hans Kläsener sagt, der die gesammelten Fragen mit seiner Stellvertreterin Miriam Scharlibbe vorträgt.


Dabei arbeiten sie sich mit dem Podium und dem genau zuhörenden Publikum durch vier Themenblöcke – und schon beim ersten Komplex ist viel Feuer drin, wie der kleine Disput zwischen Kubicki und Seidler zeigt.

Klima und Verkehr

Denn natürlich geht es bei der anstehenden Wahl um die Klimafrage und die Zukunft von Mobilität. Eigentlich sind sich alle einig, dass die Energiewende auch auf der Straße stattfinden muss, es überrascht dann aber vielleicht den einen oder anderen, dass gerade Johann Wadephul (CDU) über die Elektromobilität sagt: „Es ist mehr möglich, als wir denken.“

Der Grüne Konstantin von Notz, der privat anders als sein Bundestagskollege kein Elektroauto fährt, erklärt, dass man nicht sofort allen Individualverkehr auf E-Mobilität umstellen könne. „Die Hälfte der Deutschen hat gar kein Auto, für die müssen wir auch eine intelligente Verkehrspolitik machen.“


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Wie die aussehen soll, darüber entzündet sich eine lebhafte Debatte, bei der die Politiker schnell an der A20 landen. Von Notz sagt, dass die Grünen die Autobahn kritisch sehen, aber zu ihrem Bekenntnis im Koalitionsvertrag der Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein stehen, der den Weiterbau vorsieht.

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Schnell machen sich die Politiker gegenseitig Vorwürfe, etwa wenn Wadephul seinem Kollegen Sönke Rix von der SPD vorwirft, dass die Vorgängerregierung zu wenig für den Weiterbau gemacht habe, der aber entgegnet, dass Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die Fertigstellung bis 2022 versprochen habe. Dann soll Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) den Weiterbau vorantreiben und dessen Parteifreund Kubicki sagt: „Das würde er ja machen, wenn der Umweltminister das nicht immer torpedieren würde.“ Das ist dann genau der Moment, in dem SSW-Mann Seidler fordert, dass mehr Mittel aus dem Verkehrsetat in Schleswig-Holstein landen sollen. Genug Geld sei schon jetzt da, argumentieren hingegen Wadephul und Kubicki – die Planungsverfahren müssten nur beschleunigt werden, die häufig von den Grünen blockiert würden.


Bevor von Notz zum verbalen Gegenschlag ausholen kann, bringt Moderatorin Miriam Scharlibbe die Männerrunde wieder auf Kurs.

Außen- und Sicherheitspolitik

Als es um den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan geht, wird die Truppe auf dem Podium ein bisschen kleinlauter. „Ich habe mich noch nie so geschämt für mein Land“, sagt Kubicki. „Am Ende war es ein Desaster, weil die Bundesregierung keine Exit-Strategie hatte“, meint von Notz. „Früher mussten Politiker wegen solcher Sachen zurücktreten“, sagt der Grüne, der wie bei den anderen Diskussionspunkten immer wieder betont, dass seit 16 Jahren eine unionsgeführte Bundesregierung die Verantwortung trage.

Die sieht sich in Person des Verteidigungspolitikers Wadephul gleich angegriffen. Es sei eine gemeinsame Einschätzung der westlichen Regierungen gewesen, dass genug Zeit bleibe, um alle Ortskräfte in Sicherheit zu bringen, bevor die Taliban Kabul einnehmen. Am Ende seien aber nur 150 von 10.000 Vertrauten der Deutschen aus dem Land geholt worden, rechnet Kubicki vor, der munter aus dem Protokoll des Auswärtigen Ausschusses zitiert, der schon im Mai die heikle Lage in Afghanistan zum Thema gemacht hat.


Man müsse sich entscheiden, wie die Bundeswehr künftig aufgestellt sein soll, fordert Kubicki. Wenn die Streitkräfte unabhängig von den Amerikanern international operieren sollen, müsse man sie besser aufstellen. Und mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr ausgegeben werden, fordert Wadephul, der dafür vom Grünen nur ein Kopfschütteln erntet.

Arbeit und Soziales

Von Notz fordert statt dessen mehr Geld für Kindergärten und Eltern von kleinen Kindern. „Kitagebühren sind eine krasse Zumutung“, sagt er – und bekommt prompt Unterstützung von Sönke Rix, dessen Leib- und Magenthema das ist. Er fordert mehr Geld im System, kürzere Ausbildungszeiten für Erzieher und eine bessere Bezahlung. In der Jamaika-Koalition habe man sich schon auf den Weg zur beitragsfreien Kita gemacht, sagt Kubicki, der mit dieser Forderung mit Rix auf einer Linie liegt.

Allein Wadephul ist dagegen. „Wer das vorschlägt, muss auch sagen, wie er das finanzieren will.“ Elternteile, die sich entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, dürften nicht in ein schlechtes Licht gerückt werden.


Alles andere sei nicht durchsetzbar, sagt der CDU-Politiker, der von Kubicki diesen Kommentar dazu bekommt: „Vielleicht ohne einen CDU-Ministerpräsidenten?“

Überhaupt zeigt der Liberale keine Berührungsängste, wenn es um neue Koalitionen geht. Er freut sich sichtlich als von Notz am Ende auf die Frage, mit wem er noch einen Kaffee trinken wolle, seinen Vorschlag von 2017 aufgreift und sagt:


Natürlich nur, wenn es den unwahrscheinlichen Fall gebe, dass die Grünen nicht stärkste Kraft werden – was im Saal angesichts der niedrigen Umfragewerte für Erheiterung sorgt.

Gesundheitspolitik

Ernst wird es allerdings als die Runde über Gesundheitspolitik spricht. Seidlder spricht sich für eine Steuerfinanzierung wie in Dänemark aus, was Kubicki ablehnt. „Die Privaten finanzieren das gesamte System mit“, sagt Wadephul, der daran nichts ändern will. Rix will eine stabile medizinische Grundversorgung der Bevölkerung überall im Land, Seidler fordert stärkere Anreize für junge Mediziner, um sie für die Arbeit in der Fläche zu gewinnen. Für eine Bürgerversicherung plädiert von Notz, der gute Löhne für Pflegekräfte und ein Einwanderungsgesetz fordert, damit genügend Personal aus dem Ausland anwerben kann.

Dazu könnte jetzt auch ein Vertreter der AfD, die der Talkrunde anfänglich zugesagt hatte, etwas sagen, genauso wie der Vertreter der Linken, der kurzfristig erkrankt absagen musste. So fehlen beide, und von Notz kann noch einmal darauf hinweisen, wie wichtig auch für die medizinische Versorgung der Menschen die Mobilität sei, die eben möglichst umweltgerecht sein müsse.

Und somit gelangt die Runde nach zwei unterhaltsamen Stunden wieder zum Ausgangsthema zurück – und zu der Frage, was die Politiker für den Fall ihrer Wahl erreichen wollen. Und Stefan Seidler, der als einzelner Abgeordneter im Bundestag auf den Tisch hauen will, sagt am Ende: „Es geht nicht darum, sich wie hier die Köppe einzuschlagen, sondern darauf, dass der Norden vorankommt.“

Daran hat dann auch ein Wolfgang Kubicki nichts mehr auszusetzen.

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