Schleswig-Holstein

Rudie und Gus Dirks: Weltweiter Erfolg und ein dunkles Geheimnis

Rudie und Gus Dirks: Weltweiter Erfolg und ein dunkles Geheimnis

Weltweiter Erfolg und ein dunkles Geheimnis

Karin Lubowski
Schleswig-Holstein
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Die Zeichnungen von Rudolph Dirks wurden weltberühmt. Hier: Hans und Fritz, 11. Juli 1915 (Original, Detail) Foto: Courtesy German Academy of Comic Art

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Die Katzenjammer Kids wurden 1895 von dem Heider Rudie Dirks erfunden – und weltberühmt. Selbst in „Inglourious Basterds“ werden sie zitiert. Einen ähnlichen Erfolg hatten die Bugville-Geschichten von Dirks Bruder Gus. Doch dann nimmt Gus ...

Rudolph Dirks? Außerhalb der Comic-Szene und der Stadt Heide kennt in Deutschland kaum einer diesen Namen. Dabei ist Rudolph, oder besser: Rudie Dirks (1877- 1968) Schöpfer der bis heute laufenden und damit weltweit dienstältesten Comic-Serie der Welt „Katzenjammer Kids“. Er ist der Erfinder der Sprechblase und: Der modernen Bildergeschichte schlechthin.

Nahezu gänzlich vergessen ist sein jüngerer Bruder Gus (1881-1902). Wie Rudie wurde er in Heide geboren; schon als Kind ist er in die USA ausgewandert. Und auch er war ein begnadeter Zeichner.

Der Kunsthistoriker Alexander Braun und der Grafiker Tim Eckhorst wollen das Brüderpaar nun aus der Vergessenheit holen. Sie sind den Spuren der Brüder gefolgt und haben dabei ein dunkles Familiengeheimnis entschlüsselt.

Rudie Dirks Katzenjammer spricht Auswanderern aus der Seele

New York, Ende des 19. Jahrhunderts. In den auflagenstärksten Zeitungen der Stadt nehmen die Katzenjammer Kids von Rudie Dirks und die Bugville-Reihe seines Bruders Gus ganze Seiten ein. Erstere erzählen von den dreisten Streichen der anarchischen Brüder Hans und Fritz, von ihrer Mama Katzenjammer und der Figur „Der Captain“, der die Vaterrolle übernimmt. Es ist eine Auswandererfamilie wie die der Dirks. Sie spricht, wohl ebenfalls wie die Familie Dirks, ein deutsch-amerikanisches Kauderwelsch und erobert damit die Herzen der vielen anderen Auswanderer, die aus Deutschland vor Armut und Elend geflohen sind.

Die Ähnlichkeit zu Max und Moritz ist kein Zufall, Rudies Verleger hat sie ausdrücklich als Vorbild gewünscht.

Gus Dirks Bugville-Reihe bietet charmanten Schmunzelhumor

Gus‘ Arbeiten sind braver und im konservativen Wortsinn auch künstlerischer. Seine Bugville-Reihe erzählt von Insekten, die sich wie Menschen verhalten, die arbeiten, lesen, schreiben, sich irren, scheitern: Charmanter Schmunzelhumor, der niemandem auf den Schlips tritt.

Nach schmerzlichen Durststrecken haben es beide Brüder mit ihrem Talent zu Wohlstand gebracht, der nun auch den Eltern und den anderen fünf Geschwistern zu Gute kommt.

Die Dirks fliehen vor der Armut in Dithmarschen nach Chicago in die USA

Ihren Anfang hat die Geschichte in Heide, Holstein. In einem heute noch existierenden Giebelhaus an der einstigen Kirchhofstraße (heute Weddingstedter Straße) wird Rudolph Dirks am 26. Februar 1877 als Sohn des Tischlers und Holzschnitzers Johannes Dirks und dessen Frau Margaretha geboren. Am 28. Februar 1881 kommt Gustav, Gus, zur Welt. Auf insgesamt sieben Kinder wird die Schar anwachsen.

Das Leben in Dithmarschen ist hart, es gibt zu wenig Arbeit für zu viele Handwerker. Deshalb entscheidet sich der Vater auszuwandern. 1883 reist Johannes Dirks ind die USA und bereitet die Zusammenführung der Familie vor. 1884 brechen Frau und Kinder auf. Ein Vergnügen ist die Passage im engen Zwischendeck der SS „Polaria“ gewiss nicht. Sie landen wie der Vater in New York, von dort zieht es die Familie weiter in den Mittleren Westen, wo sie nahe Chicago eine Farm betreibt.

1895 geht Rudie Dirks nach New York und erfindet die Katzenjammer Kids

Rudie und Gus indessen haben andere Interessen als Pflügen und Säen. Schon 1895 veröffentlicht das Magazin „The Cricket“ Cartoons und Zeichnungen der beiden. 1896 zieht es den 19-jährigen Rudie zurück nach New York. Dort konkurrieren die Medientycoone Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst hart miteinander um die Gunst der Leser. Pulitzerbringt die „New York World“ mit Bildergeschichten erfolgreich voran. Hearst will das „New York Journal“ mit etwas Ähnlichem wie Max und Moritz ausstatten.

Rudie Dirks ist, zumal als deutscher Auswanderer, dem die Geschichten von Wilhelm Busch vertraut sind, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. 1897 werden die Katzenjammer Kids geboren – und sind aus dem Stand ein Erfolg.

Gs Dirks überzeugt mit Bugville Pulitzer und Hearst

Kurz darauf macht sich auch der 18-jährigen Gus auf den Weg nach New York zu machen, doch er hat es zunächst deutlich schwerer. Er will schon aufgeben, da bricht der Bann – und Gus überflügelt mit seinen Insekten-Geschichten aus Bugville sogar den Erfolg seines Bruders.

Ihm gelingt es sowohl an Pulitzer als auch an Hearst zu verkaufen – ein kleines Wunder im hart geführten Zeitungskrieg. Hinzu kommen mit den landesweit erscheinenden Magazinen „Judge“ und „Life“ weitere Kunden. Rudie und Gus Dirks sind gemachte Leute, die ihre Familie am Wohlstand teilhaben lassen. Der sprichwörtliche amerikanische Traum ist wahr geworden.

Gus Dirks hatte eine Affäre mit Rudies Frau – erschoss er sich deshalb?

Und dann das: Am späten Nachmittag des 10. Juni 1902 entdeckt Gus in einem Schrank des Studios, in dem er zeichnet, einen herrenlosen Revolver, nimmt ihn, blickt in einen Spiegel und schießt sich in den Kopf. Er sei schon länger trübsinniger Stimmung gewesen, berichten Studio-Kollegen.

An diesem seinem letzten Nachmittag hat er sich mittags mit Rudie zum Lunch getroffen. Was gesprochen wurde, wissen wir nicht. Rudie, der Einzige, der hätte Auskunft geben können, wurde nie danach gefragt. Ein Streit, Depressionen, Schuldgefühle?

Ursache des Suizids hätte jeder der drei Auslöser sein können: Bei einem von Autor Tim Eckhorst 2018 in den USA initiierten Familientreffen kommt ans Licht, dass Gus und die Ehefrau seines Bruders eine Affäre hatten, über die generationenlang geschwiegen worden war. Gus Dirks wird nur 21 Jahre alt. Seine Schaffensperiode währte fünf Jahre – zu wenig, um im Gedächtnis zu haften.

Katzenjammer Kids bis heute erfolgreich

Und die Katzenjammer Kids? In Deutschland bleiben sie so gut wie im Verborgenen, in Skandinavien sind sie dagegen populär. Dänemark ist 1908 das erste Land Europas, in dem Dirks’ Geschichten erscheinen, 1911 startet eine Heftreihe, von der bis heute jährlich eine Ausgabe erscheint.

Die Dirk’schen Figuren haben es bis in US-Spielfilme geschafft: In „Heaven can wait“ (1943) lässt Regisseur Ernst Lubitsch beim Frühstück darüber diskutieren, wie „Der Captain“ sich mitten in der Wüste aus einem Fass retten konnte.

Und im Spielfilm „Inglourious Basterds“ (2009) wird der britische Lt. Archie Hicox gefragt, ob er fließend Deutsch spreche. Antwort: „Like a Katzenjammer Kid.“

Rudie Dirks ist ein langes Leben beschert. Er stirbt 91-jährig am 20. April 1968 in New York. Zurück bleiben Frau und zwei Kinder. Sein in Connecticut lebender Sohn John Dirks (1917 bis 2010) erfährt noch, dass die Stadt Heide 2009 den Rudolph-Dirks-Weg nach ihrem innovativen Sohn benennt. Der habe seinen Humor bis zuletzt nicht verloren, berichtet Tim Eckhorst. Rudie Dirks soll mit einem Cocktailglas in der Hand und den Worten „Ich möchte eine Kirsche“ aus dem Leben geschieden sein.

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