Ex-Ministerpräsident in SH

Peter Harry Carstensen wird 75: Was macht der Ex-Ministerpräsident?

Peter Harry Carstensen wird 75: Was macht der Ex-Ministerpräsident?

Peter Harry Carstensen wird 75

SHZ
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Stolz auf seine Herkunft: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) im Oktober 2008 bei einem Drachenbootrennen in der Hafencity in Hamburg. Foto: Marcus Brandt/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Peter Harry Carstensen feiert seinen Geburtstag in kleinem Kreis – und doch nicht in der Stimmung, die er sich gewünscht hätte.

Das ist mit dem Foto schmeckt ihm irgendwie nicht. Denn wenn es ein Bild gibt, das man als erstes mit Peter Harry Carstensen in Verbindung bringt, dann ist es das vom 17. März 2005. Als der Mann, der am 12. März 75 Jahre alt wird, feixend im Plenarsaal des Landtages in Kiel steht – und hinter dem eine betroffene Ministerpräsidentin Heide Simonis sitzt. „Das Bild ist nah dran an Fake-News“, sagt Carstensen heute.

Denn es sei nach einem der ersten beiden Wahlgänge entstanden als man sich als Gegenkandidat noch habe freuen können – und nicht nach dem vierten Urnengang als klar war, dass es in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte gerade eine Zäsur gegeben hat – mit dem, was später als „Heide-Mord“ tituliert worden ist. Denn nie hat eine faktische Abwahl einer Ministerpräsidentin bis dahin für so viel Wirbel gesorgt.


„Nach den letzten beiden Wahlgängen hat niemand mehr gefeixt“, sagt Carstensen heute. Er sei betroffen gewesen und es sei „politisch unerträglich“, was man seiner Amtsvorgängerin angetan habe, die trotz einer rechnerischen Mehrheit der vom SSW geduldeten rot-grünen Koalition und mehrerer Probeabstimmungen in der SPD-Fraktion, nicht gewählt wurde. „Ich hatte zu Heide immer ein offenes, Verhältnis und weiß, wie sehr sie das belastet.“

Den Menschen verbunden

Aber der Beginn der Krönung von Carstensens politischer Karriere ist mit diesem Moment verbunden. Doch wer weiß wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn Carstensen an dem Tag nicht zur Wahl angetreten wäre? „Zumindest anders“, sagt Carstensen und lacht, wie er es so häufig in seiner politischen Laufbahn getan hat.


Der Nordfriese war einer von den Regierungschef, die man getrost Landesvater nennen kann. Den ehemaligen Bremer Bürgermeister Henning Scherf haben die Medien oft als „Oma-Knutscher“ bezeichnet, in Schleswig-Holstein wird es wenige Landfrauen geben, die Peter Harry Carstensen nicht mindestens einmal umarmt hat. Gut, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es sagt etwas über den Kern des Mannes, der sich den Menschen immer verbunden gefühlt hat. „Man muss Menschen mögen, wenn man ein guter Politiker sein will“, hat er einmal gesagt.

Entscheidungen auch aus dem Bauch heraus

Dabei ist ihm die Politik nicht in die Wiege gelegt. Als Sohn eines Landwirts, macht der Junge von Nordstrand sein Abitur in Husum, studiert Agrarwissenschaften und wird Landwirtschaftslehrer – bevor er 1983 für die CDU in den Bundestag einzieht, dem er bis 2005 angehört. Nicht viele trauen dem in der Bevölkerung damals noch nicht allzu bekannten Agrarpolitiker zu, dass er seinen seit Jahren zerstrittenen Landesverband einen und in Kiel zurück in die Regierung führen könnte.

Doch Carstensen gelingt es, „auch weil ich manche politische Entscheidung aus dem Bauch heraus getroffen habe“. So wie eben am 17. März 2005 als er kandidiert, obwohl er doch eigentlich gar keine politische Mehrheit hinter sich hat. Sieben Jahre bleibt er Ministerpräsident, kämpft mit klammen Kassen, scheut keinen Streit mit seinem SPD-Dauerrivalen Ralf Stegner und scheidet schließlich mit einer emotionalen Rede 2012 aus dem Amt.

Antisemitismusbeauftragter des Landes

Heute lebt Carstensen in einem Dorf bei Neumünster mit seiner zweiten Frau Sandra. Außer einem hartnäckigen Heuschnupfen hat er nur ein paar „gesundheitliche Zipperlein“, wie er sagt. „Ich bin dankbar für das, was ich in meinem Leben erleben durfte“, erklärt Carstensen, der sich aus der Alltagspolitik fast komplett zurückgezogen hat. Als erster Antisemitismusbeauftragter des Landes kümmert er sich jedoch seit zwei Jahren um das jüdische Leben in Schleswig-Holstein – was ihm manchmal schlaflose Nächte verschafft: „Ich bin entsetzt über das mangelnde Geschichtsbewusstsein einiger Menschen“, sagt Carstensen – etwa dann, wenn er Corona-Leugner mit Judensternen demonstrieren sieht.

Denn das friedliche Miteinander der Menschen liegt ihm sehr am Herzen. Dass das gerade in Europa nicht überall so ist, überschattet seinen Geburtstag. „Ich hatte geglaubt, dass ich einer Generation angehöre, die keinen Krieg mehr in Europa erleben muss – und jetzt macht Putin mir das kaputt“, sagt Carstensen, dem der Ukraine-Konflikt nahe geht. „Ich habe dadurch auch Freunde verloren“, erzählt Carstensen, der etwa die Freundschaft mit dem ehemaligen russischen Landwirtschaftsminister Alexei Gordejew per SMS beendet hat, denn der habe nichts unternommen, um „den verrückten Putin aufzuhalten“.

Leiden mit Menschen in Ukraine

Carstensen leidet mit den Menschen in der Ukraine und ist demütig an einem Geburtstag, an dem in einem anderen Teil Europas Menschen im Krieg sterben. Seinen 75. Geburtstag wird der Ex-Ministerpräsident mit Familie, Freunden und Nachbarn feiern – mit einem Gericht, das zumindest die Versöhnung von Nordfriesen und Dithmarschern symbolisieren könnte: Saure Rolle mit gestovten Rüben und Kohlrabi. Und irgendwie ist das Gericht ein bisschen wie der Jubilar: nicht vielen bekannt, eigenwillig, im Geschmack und gut verträglich – und eben typisch schleswig-holsteinisch. Und das schmeckt dann am Ende doch vielleicht schwerer als ein Foto vom März 2005.

Mehr lesen