Koalitionsvertrag

Öko-Energie: Ampel gibt dem Norden Schwung

Öko-Energie: Ampel gibt dem Norden Schwung

Öko-Energie: Ampel gibt dem Norden Schwung

SHZ
Kiel
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Foto: Daniel Reinhardt

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Aus Schleswig-Holstein erhalten die Ambitionen der künftigen Bundesregierung für den Klimaschutz viel Lob. Dennoch drohen durch den damit verbundenen Ausbau Erneuerbarer Energien im Norden neue Konflikte.

Für seinen neuen Ehrgeiz beim Klimaschutz erhält der Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung reichlich Beifall aus Schleswig-Holstein. „Ich bin sehr erleichtert, dass die klimapolitische Stagnation auf Bundesebene endlich beendet ist“, sagt der Kieler Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht. Der Grünen-Politiker sieht in dem Abkommen der neuen Bundesregierung „einen klimapolitischen Aufbruch, der auch Schleswig-Holstein einen Push geben wird“.


Die Ampel habe „essenzielle Forderungen“ aus dem nördlichsten Bundesland „aufgenommen“. Etwa, dass die EEG-Umlage abgesenkt und ab 2023 nicht mehr über den Strompreis finanziert werden soll. Oder dass Netzentgelte nicht mehr allein von den Stromkunden in den Erzeugerregionen bezahlt werden müssen.

Hoffnung auf eine Hintertür für mehr Repowering

SPD, Grüne und FDP haben vereinbart, 2030 in Deutschland mindestens 544 Terawattstunden Öko-Strom zu produzieren. Das sind 65 Prozent mehr als bisher beabsichtigt. „Davon wird Schleswig-Holstein acht bis zehn Prozent decken müssen“, erwartet der Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien, Fabian Faller. Zumal nicht nur der Eigenverbrauch gedeckt, sondern auch der Stadtstaat Hamburg mitversorgt werden müsse. „Wichtig für uns als Pionierland der Windkraft“ findet Faller, dass nach dem Willen der Ampel Rotoren an alten Standorten durchweg von moderneren Anlagen ersetzt werden dürfen. Die Regionalplanung in Schleswig-Holstein sieht eigentlich für rund ein Drittel der bisherigen Windräder kein solches Repowering vor, weil sie die Standorte grundsätzlich neu und gleichmäßig übers ganze Land verteilt hat. Ein großes Lob gibt Faller der künftigen Regierung für ihr Bekenntnis zu Bürgerenergie-Fonds: „Damit können sich dann auch Leute an Erneuerbare-Energien-Projekten vor Ort beteiligen, ohne gleich sechsstellige Beträge aufzuwenden.“


„Schleswig-Holstein ist ein Gewinner des Koalitionsvertrags“, glaubt Axel Wiese, Leiter der landesweit tätigen Netzwerkagentur Erneuerbare Energien. „Wir haben hier besonders gute Möglichkeiten, vieles von den darin vereinbarten Zielen zügig umzusetzen.“ Wiese erwartet aber auch, dass manche von der Ampel geplanten Instrumente zur Beschleunigung des Ausbaus von Öko-Energien „noch zu Konflikten führen werden“, etwa beim Artenschutz. Das sehen auch Naturschutzverbände und die Bürgerinitiative „Vernunftkraft“ so.


Bezogen auf ganz Deutschland will die Ampel-Regierung mit ihrem Koalitionsvertrag eigentlich ein Signal zum massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien setzen: Zwei Prozent der Landfläche Deutschlands sollen dazu vor allem mit Windkraft bestückt werden. Doch für Schleswig-Holstein wendet Susanne Kirchhof, Vorsitzende der Bürgerinitiative „Vernunftkraft“, diese Zahl ins genaue Gegenteil. „Damit ist der Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein dann also abgeschlossen“, lautet ihr Fazit. Denn es habe als einziges Bundesland doch schon mit seiner Anfang des Jahres in Kraft getretenen Regionalplanung zwei Prozent seiner Landfläche für Rotoren ausgewiesen, sagt Kirchhof.


Das sieht die Erzeuger-Branche komplett anders. „Das ist als Durchschnittswert für ganz Deutschland zu verstehen“, widerspricht Fabian Faller, Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien. „Die Länder haben die Handlungshoheit bei der Bereitstellung von Flächen.“ Er geht davon aus, dass die Landesregierung in Bund-Länder-Verhandlungen, die die Ampel für das Frühjahr plant, „vielleicht 0,5 Prozent mehr für Schleswig-Holstein anbieten wird“.

Auch aus Sicht von Axel Wiese, Leiter der Netzwerkagentur Erneuerbare Energien, „stellt sich die Frage, wie es aufgefangen wird, wenn der Widerstand in anderen Ländern so groß ist, dass es dort nicht zu zwei Prozent kommt“. Um Heizen, Verkehr und Industrie zu dekarbonisieren, würden massiv höhere Mengen an grünem Strom gebraucht. Die von der Ampel bis 2030 anvisierte Verzweieinhalbfachung bisheriger Ökostrommengen hält er für unausweichlich.

Höherer Druck aus Berlin auf Landtag und Landesregierung

„Einige Länder werden vorangehen und mehr als zwei Prozent Fläche geben müssen“, findet Klaus Kramer, Sprecher der Arge Netz in Husum. Sie ist Dienstleister für rund 400 Erzeuger Erneuerbarer Energien. „Durch den neuen Koalitionsvertrag steigt der Druck auf Landesregierung und Landtag massiv, den Ausbau voranzutreiben. Die Zeit der Erneuerbaren fängt jetzt erst so richtig an“.

Naturschützer melden Widerspruch an

Da widerspricht Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Nabu, nicht, reibt sich aber an Absichten der Ampel, um den CO2-Ausstieg zu beschleunigen. „Hochproblematisch“ findet er, dass Erneuerbare beim Ausbau einstweilen Vorrang vor anderen Schutzgütern wie etwa Natur oder Schallschutz erhalten. „Das produziert so viel rechtliche Unsicherheit“, dass Gerichtsprozesse vorprogrammiert seien. Gleiches gelte für die Ankündigung, bei der Abwägung mit dem Artenschutz Populationen im EU-Durchschnitt zu betrachten: „Man kann nicht den Bestand des Rotmilans bei uns mit dem in Spanien vergleichen.“

Unternehmer sehen bessere Chancen für Ansiedlung

Der Präsident der Unternehmensverbände Nord, Philipp Murmann, lobt vor allem, dass die Ampel die EEG-Umlage nicht mehr über den Strompreis finanzieren will. Davon erwartet er im Erzeugerland Schleswig-Holstein niedrigere Energiepreise als im Bundesdurchschnitt. Diese „können ein wichtiges Investitions- und Ansiedlungskriterium sein. Hier müssen wir die Chancen wesentlich besser nutzen, wenn die Rahmenbedingungen des Bundes endlich stimmen.“

Nach Lesart des SPD-Spitzenkandidaten zur Landtagswahl, Thomas Losse-Müller, ermöglicht der Wegfall der EEG-Umlage „endlich kluge Speicherkonzepte, die mit ihr nicht wirtschaftlich waren“. Zugleich beende der Plan zur EEG-Umlage „eine soziale Ungerechtigkeit, weil der Ausbau der Erneuerbaren nicht mehr über den Stromverbrauch finanziert wird. Insbesondere Menschen mit geringem Einkommen haben dadurch mehr Geld in der Tasche.“

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