Flensburger Fördeschnack

Der nicht so erfolgreiche Versuch einer Nichtwähler-Umfrage

Der nicht so erfolgreiche Versuch einer Nichtwähler-Umfrage

Der nicht so erfolgreiche Versuch einer Nichtwähler-Umfrage

SHZ
Flensburg
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Zerfetzte Wahlplakate in der Neustadt - das Viertel stellt beim Umgang mit der Wahlwerbung allerdings keine Ausnahme dar. Foto: Mira Nagar/shz.de

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Warum gehen Nichtwähler nicht zur Wahl? Wir haben nachgefragt, wo die Wahlbeteiligung besonders niedrig ist. Spoiler: Auch die Teilnahme bei Umfragen ist nicht sehr hoch.

Der Fördeschnack ist eine wöchentliche Rubrik, die Themen rund um Flensburg aufgreift. In dieser werden aktuelle Ereignisse und Probleme glossierend kommentiert.

Ein Besuch im Nichtwählerland. Ein paar Straßen zwischen Werftstraße und Sportplatz, nördlich und auch ein bisschen südlich vom Nordertor. Nur eine Minderheit mischt hier mit bei der großen Politik in Berlin. Viele dürfen nicht wählen – der Anteil von Flensburgern ohne deutschen Pass ist in der Neustadt höher als in anderen Vierteln. Und die, die das deutsche Wahlrecht haben, machen häufiger als anderswo keinen Gebrauch davon. Nicht einmal 40 Prozent der Wahlberechtigten gingen bei der vergangenen Bundestagswahl 2017 in das Wahllokal in der Kindertagesstätte Neustadt.

1251 Flensburger durften dort wählen, 490 machten mit.

Die anderen 761 sind an diesen Tagen vor der nächsten anstehenden Wahl offenbar nicht auf der Straße. Oder sie halten sich bedeckt. Eine Suche nach den Nichtwählern gestaltet sich schwierig. Klar gehe er wählen, sagt ein Mann, der es sich mit einer Halbliter-Bierdose auf einer Bank an diesem ungemütlichen Dreieck zwischen den Straßen Neustadt und der Harrisleer gemütlich gemacht hat. Ein anderer ist sich ebenso sicher. Nur welche Partei, das wisse er noch nicht. Einige Passanten verstehen die Frage nicht und lächeln.

Irgendwo müssen sie doch sein, die Nichtwähler. Kritiker ätzen regelmäßig darüber, dass Nichtwähler die „größte Partei“ darstellten. Rechnen gar die Prozentzahlen runter, um die sich freuenden Wahlsieger zu delegitimieren. Doch macht es einen Unterschied, ob sich der Winner of the Wahlbezirk von 2017 – Clemens Teschendorf (SPD) – statt mit 35,1 Prozent aller Wählerstimmen nur mit der Zustimmung von 13,6 Prozent aller Wahlberechtigten aus der Kita Neustadt begnügen musste? Nichtwählen ist immerhin die Entscheidung, nicht mitzuzählen beim demokratischen Prozess. Und so ist es auch nur eine Randnotiz der Geschichte, dass eine „Partei der Nichtwähler“ sich wegen Inaktivität irgendwann aufgelöst hat.

Politik zu uninteressant

Inaktiv ist der politische Diskurs in der Neustadt aber nicht. Die Wahlplakate hängen auch hier – wie fast überall in Flensburg – in Fetzen von den eigens dafür aufgestellten Metallstellwänden. Jemand hat mit gelber Farbe Hammer und Sichel auf die ungenutzte Fläche der LKR gesprüht. Doch während manche mutmaßlich aus Protest nicht wählen, ist anderen die Politik schlicht egal.

Wählen – wozu? fragt sich Mark Weber (Name geändert). Er ist 34 Jahre alt und hat noch nie gewählt. Auch bei der Bundestagswahl möchte er Nichtwähler bleiben. Sie interessiere ihn schlicht nicht. „Ich beschäftige mich nicht mit Politik und Wahlen“, sagt der Flensburger. „Ich wüsste gar nicht, wen ich wählen soll.“

Mit der politischen Situation ist Weber zwar nur mittelmäßig zufrieden, es gibt aber auch kein Thema, das ihn so richtig beschäftigt. Klimaschutz? Tempolimit? Weber zuckt mit den Schultern. „Ausrichten kann ich so oder so nichts“, findet er. Vieles sei ohnehin zu kompliziert. Doch auch wenn die Nachrichten einfacher zu verstehen wären – vom politischen Geschehen hält Mark Weber sich einfach fern.

Noch nicht einmal drüber nachgedacht

Patrick Knutzen (Name geändert) ist hingegen ganz schön unzufrieden mit manchem, was politisch passiert. „Allein schon die Wirtschaft“, sagt der Flensburger. „Immer mehr Schulden machen, ist ja nicht so doll. Das muss der Bürger irgendwann zurückzahlen.“

Die Unzufriedenheit führt bei ihm aber nicht dazu, sich an der Bundestagswahl zu beteiligen. „Das interessiert mich gar nicht so“, sagt der Lagerarbeiter. „Ich habe bisher noch gar nicht drüber nachgedacht, was soll ich dazu sagen?“ Gewählt hat der Flensburger noch nie, sagt er. Noch nicht einmal drüber nachgedacht.

„Wählen gilt nicht mehr als ,Bürgerpflicht', Parteibindungen nehmen ab“, analysiert Professor Dr. Karl-Rudolf Korte für die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). „Die Zahl derer, die sich unabhängig und kurzfristig entscheiden, steigt indes von Wahl zu Wahl.“

Eine Frage der Gewohnheit also? Während für viele der Wahlsonntagsspaziergang Tradition ist, das Mitfiebern vor TV und Twitter ab 18 Uhr fest dazu gehört, fühlt sich das Heraushalten aus der Demokratie für andere nicht „komisch“ an. Weder Knutzen noch Weber empfinden Nichtwählen als problematisch. Weber möchte lieber seine Ruhe haben. „Ich arbeite den ganzen Tag und komme abends nach Hause. Da möchte ich nicht noch über Politik nachdenken.“

Eine Flensburgerin, die ganz sicher nicht zur Wahl gehen wird, wüsste hingegen ganz genau, wem sie ihre Stimme geben würde. Doch sie hat die Deutsche Staatsbürgerschaft noch nicht. Die Flensburgerin hofft, dass die Einbürgerung in den kommenden Jahren klappt: „Ich wohne seit sieben Jahren in Deutschland, die deutsche Politik betrifft auch mich als Geschäftsfrau.“

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