Schleswig-Holstein

Naturschutzbeauftragter kritisiert Verkauf der Bahnhofstraße 21 als „schwere Fehlentscheidung“

Naturschutzbeauftragter kritisiert Verkauf der Bahnhofstraße 21

Kritik an Verkauf der Bahnhofstraße 21

Antje Walther
Schleswig-Holstein
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Die Bebauungspläne sollen unter anderem den Bahnhof besser an die Innenstadt anbinden. Foto: Antje Walther

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Das Wohnungsbauvorhaben im Flensburger Sanierungsgebiet verzögert sich seit langem unter anderem wegen Verhandlungen mit der Fahrschule Simonsen. Ralph Müller erhebt Einwände gegen das Projekt aus Sicht des Naturschutzbeauftragten.

Die Bahnhofstraße als verbindende Achse in die Innenstadt verändert ihr Gesicht. Das Neubauprojekt Mølledam des Selbsthilfe-Bauvereins gegenüber der Feuerwache sollte seine Fortsetzung im Verlauf der Straße finden. Doch die Verhandlungen mit der seinerzeit in der Nummer 21 ansässigen Fahrschule Simonsen scheiterten.

Inzwischen hat die Fahrschule ihren Flensburger Standort in die Rathausstraße verlegt. Doch die Stadt befinde sich immer noch in Verhandlungen um das Grundstück, bestätigt Clemens Teschendorf, Sprecher Flensburgs.

Seit Jahren steht das Projekt still. Dem Naturschutzbeauftragten Ralph Müller wäre es vermutlich am liebsten, wenn die „Fortsetzung der Blockrandbebauung“ gar nicht erst umgesetzt würde. Laut Pressestelle der Stadt sind 49 Wohneinheiten, davon 30 Prozent sozial gefördert, vorgesehen.

Vor kurzem hat Müller nach einem Jahr in der neuen Funktion seinen ersten Jahresbericht für 2022 vorgestellt. Darin finden der 66-jährige Arzt und sein Gremium „mindestens fünf Gründe“, weshalb sie den Verkauf des Grundstückes Bahnhofstraße/Ecke Helenenallee „für eine schwere Fehlentscheidung“ halten.

Derartiger Baumbestand in versiegelten Städten kostbarer denn je

Zwei davon beziehen sich auf rund 40 Bäume neben der städtischen Kita Schwedenheim, die sich auf dem Grundstück befindet. Insbesondere in versiegelten Städten und „in Zeiten zunehmender Überhitzung“ hält der Naturschutzbeauftragte derartige Grünflächen mit einem solchen Baumbestand für „kostbarer denn je“.

Er diene beispielsweise der Bindung von Kohlendioxid und Bildung von Grundwasser und sei ein Zufluchtsort für Vögel und Insekten. Ralph Müller klassifiziert die kleine Oase als „klassisches Trittsteinbiotop“. Darunter versteht man einen Lebensraum, der einem Trittstein gleich den Raum zu den Stammhabitaten von Organismenarten überbrückt.

Es würde die Bebauungspläne nicht überstehen, doch sei der Baumbestand darin weder dargestellt noch problematisiert, kritisiert Müller. Dabei schreibt die Stadt selbst auf ihrer Website zur Kita Schwedenheim: „Das Außengelände hat eine Größe von mehr als 3000 Quadratmetern mit altem Baumbestand und vielen naturbelassenen Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten.“

Clemens Teschendorf bejaht, dass Baumfällungen für das Vorhaben notwendig wären. Allerdings handele es sich nicht „um schützenswerte Bäume“ und seien zugleich Ersatzpflanzungen auf dem Grundstück geplant.

Kulturhistorische Bedeutung: Kita Schwedenheim von 1950

Die Kita selbst, die eine Schenkung einer schwedischen Kinderhilfsorganisation aus dem Jahre 1950 sei, habe auch eine kulturhistorische Bedeutung, betont Ralph Müller. Außerdem verweist er auf den Protest von Eltern, die um den besonderen Charakter fürchten, wenn die Einrichtung in dem Wohnblock aufgeht.

Die Kita solle so lange ihren Dienst tun, bis der Ersatzbau in der Kanzleistraße fertig ist, sagt Stadtsprecher Clemens Teschendorf. In der Kanzleistraße soll im Rahmen einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) ein Neubau mit 120 Plätzen geschaffen werden, der die 60 Plätze des Schwedenheims und 40 Plätze der Kita Johannisstraße mehr als auffängt.

Schließlich warnt der Naturschutzbeauftragte vor neuerlichen Kontroversen, wenn die Klimapakt-Stadt wie beim Bahnhofswald wieder in der Bahnhofstraße erneut „ein wichtiges Biotop opfert“. Müllers Empfehlung: „Das Bauvorhaben sollte sich auf die Flächen der ehemaligen Fahrschule Simonsen beschränken.“

Nach seinem ersten Jahr der „intensiven Beschäftigung mit vielen Akteuren“ fragt sich der Naturschutzbeauftragte mit seinem achtköpfigen Gremium: „Warum gibt es in Flensburg keinen Naturschutz von oben, also von Verwaltung und Politik?“ Als einen möglichen Grund identifiziert er das „Mantra, dass nur Wachstum das Ziel sein kann.“ Angesichts der bekannten „schweren Nebenwirkungen wie Klimawandel, Artensterben, Meeresverschmutzung“ könne das jedoch niemals eine Zukunft haben.

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