Interview mit Wissenschaftler

Mojib Latif: Mit jedem Grad Erwärmung steigt die Unwettergefahr in SH

Mojib Latif: Mit jedem Grad Erwärmung steigt die Unwettergefahr in SH

Mojib Latif: Mit jedem Grad steigt die Unwettergefahr in SH

SHZ
Kiel
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Starkregen hat die Innenstadt von Uetersen (Kreis Pinneberg) überflutet. Foto: Sylvia Kaufmann/shz.de

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Ein zerstörerischer Starkregen kann auch Schleswig-Holstein treffen. Davor warnt Prof. Mojib Latif, Leiter der Forschungseinheit für Maritime Meteorologie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.

Herr Prof. Latif, was geht Ihnen spontan durch den Kopf, wenn Sie die Fernsehbilder von den Überschwemmungen nach dem Starkregen etwa aus Hagen sehen?

Das ist exponentielles Wachstum.

Wovon genau?

Wir kennen den Begriff ja von Corona. Bei Unwettern mit derartigen Regenfällen gibt es einen Zusammenhang zuwischen dem Energiegehalt der Erdatmosphäre und der Lufttemperatur. Je höher die Lufttemperatur steigt, umso mehr Wasserdampf kann die Atmosphäre enthalten. Das ist latente Energie. Dieser Zusammenhang verläuft exponentiell. Das heißt: Mit jedem Grad Erwärmung steigt die Unwettergefahr überproportional stark an.

Müssen wir damit rechnen, dass auch Schleswig-Holstein ähnliche Extremniederschläge erreichen? In Uetersen (Kreis Pinneberg) hat es in der ersten Wochenhälfte, wenn auch lokal stark begrenzt, Überschwemmungen gegeben.

Im Prinzip können Extremniederschläge überall in Deutschland auftreten. Das sieht man schon an den Daten des Deutschen Wetterdienstes. In Norddeutschland ist die Wahrscheinlichkeit jedoch nicht ganz so hoch wie in West- oder Süddeutschland.

Warum nicht?

Weil einfach die Temperaturen bei uns nicht so hoch sind. Damit ist umso weniger Wasserdampf in der Luft und – bei entsprechender Witterung – umso weniger potenzieller Starkregen denkbar, der herabfällt. Auch spielt bei der speziellen Wetterlage im Westen und im Süden aktuell ein Tief eine Rolle, das Energie aus dem Mittelmeerraum bezieht. Auch das hat es natürlich weiter bis nach Norddeutschland, wenn es überhaupt so weit kommt.


Bei Extremwetter und Schleswig-Holstein ist man schnell beim Thema Sturm. Wie weit braut sich da womöglich zusätzliches Gefährdungspotenzial zusammen?

Was vermehrte typische Sturmwetterlagen an sich angeht, sehe ich da keine Hinweise auf Veränderungen. Aber es bleibt natürlich der Meeresspielanstieg, der Schleswig-Holstein besonders betrifft. Dadurch nimmt automatisch die Sturmflutgefahr zu, auch wenn die Winde sich nicht verstärken.

Reichen die bisherigen Küstenschutzpläne des Landes aus?

Bis jetzt schon, die Deiche werden ja hochgebaut. Bis Mitte des Jahrhunderts sind wir einigermaßen sicher. Danach kann es Grenzen der Anpassungsfähigkeit geben. Was man macht, wenn die Meeresspiegel schneller als erwartet steigen, weiß ich auch nicht. Nach der Mitte des Jahrhunderts kommen wir in den Bereich der Spekulation. Die großen Unbekannten beim Meeresspiegelanstieg und einer eventuellen weiteren Beschleunigung sind ja Grönland und die Antarktis. Diese schlafenden Riesen sind erwacht, sie haben begonnen zu schmelzen. Wie schnell das dann geht, ist ganz schwer vorherzusagen.

Wie bewerten Sie die Möglichkeiten der Anpassung bei Starkregen? Was können Städte und Gemeinden, was Bürger tun, um besser gewappnet zu sein?

Nehmen Sie allein die Tatsache, dass durch Extremwetter wie derzeit Menschen sterben in einem hochindustrialisierten Land: Daran sieht man einfach, dass wir immer mehr an die Grenzen der Anpassungsfähigkeit kommen. Was wollen Sie denn machen, wenn da solche Wassermassen runterkommen? Da können Sie eigentlich nichts mehr machen. Was ich letztlich sagen will: Die Menschheit hat sich an relativ stabile klimatische Verhältnisse gewöhnt, das ganze Leben, die ganze Infrastruktur hat sich daran ausgerichtet. Und jetzt passiert etwas mit einer Geschwindigkeit, die es so noch nicht gegeben hat. Da merkt man, wie gefährlich das ist.

Also glauben Sie, dass etwa Kommunen baulich gar nichts machen können, damit mehr Niederschlag innerhalb kurzer Zeit unter der Erde verschwindet?

Man kann vielleicht etwas machen, was die Kanalisation und so weiter angeht, aber es ist schwierig, wenn derart viel Wasser je Quadratmeter runterkommt. Es gibt nicht beliebig viel Fläche, wo man Ablaufbecken oder wer weiß was einrichten könnte. Was jetzt passiert, ist das, wovor wir Wissenschaftler immer gewarnt haben, ich schon in meinem ersten Buch 2003. Es sind ja nicht mal die ersten Überschwemmungen dieser Art. Aber aus Schaden ist man nicht klug geworden. Man nimmt die Folgen des Klimawandels nicht ernst, in der Politik nicht, in der Bevölkerung nicht.

Aber jetzt vielleicht doch.

Aber in zwei Monaten ist vielleicht wieder alles vergessen. Bis zum nächsten Mal. Und dann sind alle wieder aufgeregt.

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