Zweiter Weltkrieg

Massengrab am Strand von Mürwik: Als 26 Tote aus dem KZ Stutthof in Flensburg begraben wurden

Als 26 Tote aus dem KZ Stutthof in Flensburg begraben wurden

Als 26 Tote aus dem KZ Stutthof in Flensburg begraben wurden

Gerhard Nowc/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Die geleerten Massengräber am Mürwiker Strand. Flensburger Polizisten mussten dort die 26 Toten bergen, die anschließend auf dem Friedenshügel bestattet wurden. Foto: Stadtarchiv/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Am Mürwiker Strand wurden am 4. Mai 1945 Erdlöcher ausgehoben und 26 Leichen vom Schiff „Ruth“ hineingeworfen. Immer wieder wurden in jenen Tagen zudem Tote an den Fördestränden entdeckt, die über Bord geworfen waren oder versucht hatten, ans Ufer zu schwimmen, dabei aber ertranken.

Vor 25 Jahren wurden zahlreiche Tote aus Einzelgräbern in ein Gemeinschaftsgrab auf dem Friedenshügel umgebettet. Damit endete ein grauenvolles Kapitel der NS-Zeit in Flensburg. Die Fördestadt war Ziel von Häftlingstransporten aus den Konzentrationslagern Stutthof und Neuengamme.

Menschen, die auf dem Kahn „Ruth“ gestorben waren, wurden zunächst in Massengräbern am Strand von Mürwik verscharrt. Stadtarchivar Dr. Broder Schwensen beschreibt die Geschehnisse detailliert im Buch „Mai 45“. Hier eine zusammengefasste Darstellung:

Das Näherrücken der Front veranlasste die Leitung des KZ Stutthof bei Danzig, das Lager räumen zu lassen. Räumung bedeutete: Die Häftlinge wurden bei winterlichem Wetter unzureichend bekleidet und kaum mit Lebensmitteln versorgt, auf den Todesmarsch nach Westen geschickt: 25.000 Gefangene in Marschkolonnen zu je 1000 Menschen. Am 25. Januar 1945 setzte sich die erste Kolonne in Bewegung, eskortiert von Wachleuten. Kranke, Transportunfähige und ein Demontagekommando blieben zurück.

Die Verpflegung für jeden Häftling während der zehn Tage: ein halbes Brot, Kekse und ein halbes Päckchen Margarine. Für die Gefangenen war es ein Todesmarsch. Sie wurden von den Wachen geprügelt, wem die Kräfte versagten, der wurde erschlagen und auf dem Weg liegengelassen. Ziel war nach 140 Kilometern der pommersche Ort Lauenburg.

Die letzten Häftlinge verließen das KZ Stutthof im April 1945, danach brannte die SS die Bauten nieder. Rund 1000 Gefangenen erreichten per Kleinbahn oder zu Fuß die Weichselmündung. Dort wurden die Menschen auf Schiffe und Kähne verladen. Die sollten das noch unbesetzte Reichsgebiet anlaufen.
 

Gut 900 Menschen lebten noch, als die Einschiffung auf den Weichselkahn „Ruth“ begann. Dabei setzten sich die brutalen Szenen fort. So mussten sämtliche Frauen auf einem schmalen Steg zur Luke gehen und stürzten unter Kolbenschlägen in den Laderaum hinunter. Sie starben oder erlitten schwerste Verletzungen.

Der Augenzeuge Franz Basler berichtete von grauenvollen Szenen. Im Lagerraum stapelten drei Schichten Körper übereinander. Am frühen Morgen des 29. April machte sich ein Schlepper mit der „Ruth“ am Haken auf die Fahrt in Richtung Westen. Am 2. Mai kam die dänische Küste in Sicht: Es gab keinerlei Hinweis auf das Ziel der Fahrt. Dies war die Flensburger Förde, die Marineschule wurde gesichtet.

Am 3. Mai wurde die „Ruth“ unter Quarantäne gestellt und ging bei den Ochseninseln in Warteposition. Der Kahn trieb nachher ans Ostufer der Innenförde und lief bei der Marinebadeanstalt unterhalb der Schule auf Grund.

Dort entdeckte Hafenkapitän von Ramm die „Ruth“, der auf einem Marineboot nach ihr suchte. Er ließ sich auf den Kahn übersetzen und war entsetzt über den Zustand der KZ-Häftlinge.

Am Mürwiker Strand wurden am 4. Mai Erdlöcher ausgehoben und 26 Leichen von der „Ruth“ hineingeworfen. Immer wieder wurden in jenen Tagen zudem Tote an den Fördestränden entdeckt, die über Bord geworfen waren oder versucht hatten, ans Ufer zu schwimmen, dabei aber ertranken.

Von dem Massengrab am Mürwiker Strand erfuhren die britischen Besatzer. Ein „Leichenbergungstrupp“ der Flensburger Polizei erhielt den Befehl, die Toten wieder auszugraben. Dies geschah am 26. Mai 1945. Britische Ärzte obduzierten die Toten.

Auch Häftlinge aus dem KZ Neuengamme kamen nach qualvollen Transporten in Flensburg an. In Stade wurden die Häftlinge zum Dampfer „Olga Siemers“ gebracht. Der setzte nach Brunsbüttel über, fuhr durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel. Am 26. April nahm der Dampfer Kurs nach Norden, fuhr sich in Küstennähe fest und erreichte am 30. April Flensburg.

Zivile und militärische Behörden wurden durch die Ankunft überrascht. Weil sich niemand dafür zuständig fühlte, sich um die Gefangenen zu kümmern, blieben die den Wachmannschaften ausgeliefert. Mehrere Menschen waren an Typhus oder Pest erkrankt, weswegen der „Olga Siemers“ das sofortige Anlegen verwehrt wurde.

Eine Gruppe dieser Gefangenen fand später Unterkunft in Engelsby-Dorf, in einer Baracke, die zu Hof Peters gehörte. Der Bauer und seine Frau versorgten die Häftlinge und kochten ihnen Essen. Bauer Peters erreichte eine Bewachung der Baracke durch Marinesoldaten. Auf die stießen in der Nacht zum 3. Mai SS-Leute, die wohl die Gefangenen abholen sollten. Dazu kam es nicht. Die gequälten Häftlinge wurden später im Krankenhaus weiterversorgt.

Am 1. Mai machte die „Olga Siemers“ auf der Westseite des Hafens fest. Im Bereich der Werft stand ein Güterzug, mit dem die Häftlinge angeblich nach Lübeck transportiert werden sollten. Doch der Zug mit 100 unversorgten Häftlingen kam nur nach Flensburg-Weiche.

SS-Bewacher flüchten

Zwei weitere Bahntransporte mit KZ-Häftlingen aus Neuengamme erreichten Flensburg-Weiche am 2. und am 4. Mai 1945. Die SS-Bewacher machten sich aus dem Staub. Bürger aus Weiche wiesen die Polizei auf die Häftlinge in den Zügen hin. Nach Tagen ohne Verpflegung wurden die Häftlinge vom Roten Kreuz versorgt oder halfen sich selbst, indem sie Waggons mit Verpflegungspaketen aufbrachen.

Mehrere Häftlinge nutzten die Gelegenheit zur Flucht. Für die, die blieben, ging die Qual weiter. Am 2. Mai erhielt der neue Hafenkapitän von Ramm von der Polizei den Auftrag, die Häftlinge aus Neuengamme unterzubringen. von Ramm requirierte den Dampfer „Rheinfels“, der im Hafen auf eine Reparatur wartete.

Menschen werden in Viehwaggons zum Hafen gebracht

Am 4. Mai wurden alle Häftlinge, die per Zug aus Neuengamme nach Weiche gekommen waren, in Viehwaggons in den Hafen gebracht und auf der „Rheinfels“ eingepfercht. Ein Augenzeuge berichtete von unmenschlichem Geschrei der Häftlinge aus dem Zug heraus, mit dem sie Wasser verlangten. Auf die „Rheinfels“ kamen auch noch die Überlebenden der „Ruth“.

Auf der vollgestopften „Rheinfels“, so schilderte ein Augenzeuge, „waren Tote und Überlebende kaum voneinander zu unterscheiden“. Am 10. Mai 1945 verließen mit einem anderen, für den Transport vorbereiteten Schiff etwa 1350 Ex-Häftlinge ausländischer Herkunft Flensburg. Ziel war Malmö.

Auf der total verdreckten „Rheinfels“ verblieben noch die deutschen Häftlinge. Hafenkapitän von Ramm ließ sie durch Marinegerichtsärzte nach den Gründen ihrer Haft befragen und ordnete die sofortige Entlassung an. Damit begann jedoch nicht ihre Freiheit: Sie wurden in die Storm-Schule (heute Medienzentrum auf Jürgensby) zur medizinischen Versorgung gebracht. Wegen des aufgetretenen Fleckfiebers durften die nunmehr freien Bürger das Schulgebäude nicht verlassen.

Juristisches Nachspiel im Deutschen Haus

Die grausamen Taten hatten ihr juristisches Nachspiel: Im Deutschen Haus begann am 25. September 1946 der Prozess gegen die SS-Begleitmannschaften und Helfer der „Ruth“. Die Anklage: Mord, Mordversuch, unmenschliche Handlungen. Eine Reihe von Überlebenden wurden in den 21 Sitzungen als Zeugen gehört. Drei Personen wurden am 23. Oktober zum Tode verurteilt. Die Urteile wurden im Dezember 1946 vollstreckt.

KZ-Häftlinge, die nach Flensburg gebracht wurden, erhielten ein Grab auf dem Friedhof Friedenshügel. Die Einzelgräber wurden im Herbst 1947 aufgelöst und die Toten in den „Ehrenhain“ des Friedhofes umgebettet. Es ist allerdings nicht geklärt, ob tote Häftlinge aus Neuengamme, die auf dem Gelände des Bahnbetriebswerks Weiche vergraben wurden, auf den Friedhof umgebettet wurden oder bis heute auf dem ehemaligen Bahngelände liegen.

Mehr lesen

Leserbrief

Meinung
Allan Søgaard-Andersen
„Bekymret for det ekstreme højre“