Vor 75 Jahren

Die Kommunalwahl, die Flensburg erbeben ließ

Die Kommunalwahl, die Flensburg erbeben ließ

Die Kommunalwahl, die Flensburg erbeben ließ

SHZ
Flensburg
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Oberbürgermeister I.C. Möller an seinem Schreibtisch im Rathaus Foto: Archiv / SHZ

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Nach dem 2. Weltkrieg: Das Ergebnis der Kommunalwahlen vom 13. Oktober 1946 in Flensburg sorgte international für Aufsehen.

Der Ausgang der ersten freien Kommunalwahlen nach dem Ende des Krieges und dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur in Flensburg vor nunmehr 75 Jahren glich einer Sensation: Nicht weniger als 33 Mandate entfielen bei der Abstimmung am 13. Oktober 1946 auf prodänische Kandidaten, die damit die aus 39 Vertretern bestehende Ratsversammlung klar dominierten.

Die dänische Seite jubelte, namentlich ihr Sprachrohr, Flensburg Avis. Die Zeitung sprach von einem historischen Ereignis. Die an der Wahl beteiligten Parteien, die dem deutschen Lager zugerechnet wurden, waren dagegen konsterniert. Dabei waren sie im Wahlkampf vom gerade erst gegründeten Flensburger Tageblatt nach Kräften unterstützt worden, das nicht gezögert hatte, mit einseitigen Appellen und Aufrufen zugunsten seiner Protagonisten die Wähler zu beeinflussen. Die Nachricht über diesen – wie es hieß – „dänischen Sieg“ sorgte für Schlagzeilen weit über die Landesgrenzen hinaus. Selbst der britische Sender BBC berichtete darüber: „Flensburg prodänisch.“


Die Weichen für die Kommunalwahlen hatte die britische Militärregierung mit einer Verordnung gestellt, nach der – im deutlichen Gegensatz zu dem von den Nationalsozialisten in der Gemeindeordnung festgeschriebenen „Führerprinzip“ – die von den Bürgern direkt und frei gewählte Stadtvertretung die Entscheidungskompetenz in der Gemeinde innehatte.

Die Briten sahen in der kommunalen Ebene eine „Schule der Demokratie“, die die Deutschen nach zwölf Jahren absoluter Diktatur auch wirklich nötig hatten. Bei dem Urnengang vom 13. Oktober 1946 handelte es sich um die erste Wahl nach 1933, nachdem die seinerzeit an die Macht gelangten Nazis in kurzer Zeit sämtliche Gegner ausgeschaltet und die Kommunalvertretungen aufgelöst hatten.

I. C. Möller wird Oberbürgermeister

Als die britischen Truppen am 13. Mai 1945 die Stadt besetzten, wurde Flensburgs langjähriger Oberbürgermeister, der NSDAP-Karrierist Ernst Kracht, abgesetzt und verhaftet.

Für einen Neuanfang der kommunalen Verwaltung fand die Besatzungsmacht in Jacob Clausen („I.C.“) Möller (1876-1955) einen untadeligen und erfahrenen Kommunalpolitiker, der bereit war, sich dieser Herausforderung zu stellen. Er war bereits 1924 als Vertreter der dänischen Minderheit zum Stadtverordneten gewählt worden und hatte in den folgenden Jahren als Fraktionsführer des „Slesvigske Forening“, später „Sydslesvigsk Forening“ (SSF)/ Südschleswigscher Verein (SSV), in verschiedenen Kommissionen und Funktionen einschlägige Erfahrungen gesammelt.

Selbst die New York Times berichtete

Auch wenn ihm, einem gebürtigen Haderslebener, die Belange der dänischen Minderheit besonders am Herzen lagen, richtete er sein politisches Leben nach dem Motto aus „Flensborg først!“

I. C. Möller wurde am 16. Mai 1945 von der Militärregierung in das Amt des Oberbürgermeisters berufen – eine Entscheidung, über die sogar die New York Times berichtete: „Dane is Flensburg Mayor“.

I. C. Möller war in breiten Bevölkerungskreisen außerordentlich populär. Mit ihm als Zugpferd ging der SSV in den Wahlkampf für die Kommunalwahlen am 13. Oktober 1946. Als Verbündete hatte die dänische Organisation die Sozialdemokratische Partei Flensburg (SPF) an ihrer Seite. Beide schlossen ein Abkommen zur Regelung der Kandidatenaufstellung.

Bündnis aus CDU, SPD, FDP und KPD

Die prodänische SPF hatte sich in Flensburg als beachtlicher politischer Faktor etabliert. Ihr waren viele Sozialdemokraten, die bis zum Verbot der Partei in der SPD aktiv waren, nach dem Kriege beigetreten – zum Ärger des Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher, der die SPF wegen ihrer Haltung in der Nationalitätenfrage mit einem Bannstrahl versah. So existierten in Flensburg mehrere Jahre zwei sozialdemokratischen Parteien nebeneinander – die bedeutende SPF und die marginalisierte Schumacher-SPD.


Auch auf deutscher Seite kooperierten – ohne jegliche Berührungsängste – die zur Wahl angetretenen Parteien: CDU, FDP, SPD und KPD schlossen sich zu einer sogenannten technischen Wahlgemeinschaft zusammen und bestritten gemeinsame Kundgebungen.

Publizistische Schützenhilfe erhielten sie vom Flensburger Tageblatt, das sich immer wieder an den „deutschen Wähler“ wandte und ihn ermahnte. „Wählt nur die Kandidaten der deutschen Parteien“, lautete ein Appell. Und: „Die Dänen bringen den letzten Mann an die Urne – Deutscher, tu deine Pflicht / Wahlenthaltung stärkt das Dänentum!“


82,8 Prozent Wahlbeteiligung

In Flensburg lebten 1946 rund 100.000 Einwohner, darunter zahlreiche Flüchtlinge, die wesentlich zum Anwachsen der Bevölkerungszahl beigetragen hatten. Wahlberechtigt am 13. Oktober waren genau 56.821 Frauen und Männer. Von ihnen übten 47.086 Personen ihr Stimmrecht aus, was einer Wahlbeteiligung von 82,8 Prozent entsprach.

Die Verwaltung hatte zehn Wahlbezirke eingerichtet. Jeder Wähler hatte drei Stimmen, die er auf die Kandidaten verteilen konnte. Insgesamt wurden 135.331 Stimmen abgegeben, von denen 65,96 Prozent auf das dänische Lager und 34,04 Prozent auf das deutsche Lager entfielen.

Dass alle zehn Wahlbezirke von prodänischen Kandidaten meist mit einem deutlichen Stimmenvorsprung direkt erobert wurden, überraschte selbst I. C. Möller. Flensborg Avis jubelte über den „historischen Sieg“.

Probleme Wohnungsnot und Kohleknappheit

Für das Flensburger Tageblatt war das Ergebnis „erschütternd“. Den 33 dänischen Mandaten (SSV 21 und SPF 12) standen sechs deutsche Mandate (je zwei CDU und SPD, je eins KPD und FDP) gegenüber. Wahlsieger Möller beeilte sich zu betonen, „daß jetzt, da wir die Mehrheit in Flensburg haben, wir unsere Macht nicht benützen werden, wie sie früher von deutscher Seite benutzt wurde. Wir wünschen, daß alle, ob sie deutsch oder dänisch, reich oder arm sind, als gleichberechtigte Bürger behandelt werden“. Er bot den unterlegenen Parteien eine faire Zusammenarbeit an – zum Wohle der Stadt Flensburg und ihrer Einwohner. Gerade in einer Grenzstadt solle nicht das Trennende betont werden, sondern das Verbindende.

In der ersten Sitzung der neu gewählten Stadtvertretung am 22. Oktober 1946 wurde I. C. Möller einstimmig zum Oberbürgermeister und Vorsitzenden der Ratsversammlung gewählt und von Major Dawes vereidigt. Der Vertreter der britischen Militärregierung appellierte an die Stadtvertreter, in dieser schwierigen Zeit zusammenzustehen, um die aktuellen Probleme wie Wohnungsnot und Kohleknappheit zu meistern. Der SPF-Ratsherr Nikolaus Reiser wurde zum Bürgermeister und zu Möllers Stellvertreter gewählt. Damit und mit der Bildung eines Magistrats hatte eine neue Ära der Flensburger Stadtpolitik begonnen.

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