Umwelt und Natur

Immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein entsorgen ihren Müll illegal

Immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein entsorgen ihren Müll illegal

Immer mehr Menschen in SH entsorgen ihren Müll illegal

Inga Kausch/shz.de
Kiel
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Müllberge auf einem Waldboden sind keine Seltenheit in Schleswig-Holstein. Foto: Rehe/shz.de

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Schleswig-Holstein hat ein Müllproblem: Immer häufiger entsorgen Personen ihre Abfälle in freier Wildbahn, aber auch die Städte klagen. Welche Folgen das für die Entsorgungsbetriebe hat und was die Landesregierung dagegen unternehmen will.

Matratzen, Bettdecken, Möbelteile, ein Eimer mit Farbresten. Unbekannte haben Anfang März einen großen Berg Sperrmüll zwischen Braderup und Oeversee direkt an der Landesstraße 15 im Kreis Schleswig-Flensburg entsorgt. Das ist kein Einzelfall in Schleswig-Holstein. Entsorgtes Altöl in einem Bach bei Rendsburg oder 141 abgelegte Altreifen am Hohenhorster Weg in Bilsen (Kreis Pinneberg) zeigen: Illegal entsorgter Müll sorgt in Schleswig-Holstein für erhebliche Probleme.

„Es ist leider festzustellen, dass jegliche Art von Abfällen auch illegal entsorgt wird. Häufig werden Altreifen, Ölkanister, Gegenstände, die dem Sperrmüll zuzurechnen sind, und Bauabfälle aus Renovierungen sowie Dämmmaterialien und asbesthaltige Bauabfälle illegal in der freien Landschaft entsorgt“, teilt Matthias Kissing vom Kieler Umweltministerium mit.

Das Thema illegale Entsorgung sei sehr vielschichtig, jedoch in allen Fällen inakzeptabel, so Kissing weiter. Genaue Zahlen lägen dem Ministerium nicht vor: „In erster Linie sind die Kreise und kreisfreien Städte als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zuständig.“

Hohe Kosten durch Sperrmüll, Autoreifen oder Bauschutt

Diese sind alarmiert: „Die Entwicklung illegaler Müllablagerungen ist aus ökologischer und ökonomischer Sicht bedenklich wie unverständlich“, sagt Torben Müller von der Abfallwirtschaft Südholstein in Elmenhorst. Allein im Kreis Stormarn sind die Kosten für die Entsorgung des illegal abgelagerten Müll von rund 26.500 Euro im Jahr 2018 auf über 60.000 Euro im Jahr 2022 gestiegen.

Die Anzahl der Müllentsorgungen stieg vor allem im Corona-Jahr rasant von 222 Fällen auf 334. Im Jahr 2021 wurden 207 Fälle registriert, 2022 knapp 30 Prozent mehr: 296.

Auch in der Landeshauptstadt Kiel ist illegale Müllentsorgung ein großes Thema: „Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren durchaus relevant gestiegen“, heißt es von Pressesprecher Arne Ivers. Konkret wurden 2019 gut 2600 Fälle registriert. 2020 stieg die Zahl auf 4205 und 2021 auf 7175. „Dabei sind jedoch auch Effekte der Corona-Zeit und die Einführung der Melde.Möwe zu berücksichtigen“, ergänzt Ivers.

Gerade zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 stiegen die Müllmengen stark an, weil Menschen im Lockdown vermehrt aussortierten, renovierten und im Garten arbeiteten. Zudem waren Recyclinghöfe zum Teil nur eingeschränkt geöffnet.

Bei der Melde.Möwe handelt es sich um eine App, mit der Menschen illegal entsorgten Müll melden können, damit dieser beseitigt werde. Die Kosten für die Beseitigung des wilden Mülls betrage allein in Kiel jährlich zwischen 320.000 und 369.000 Euro, fügt Ivers hinzu.

Im mittleren Nordfriesland ist illegaler Müll hingegen kein großes Problem. Pressesprecher Felix Middendorf teilt mit: „Wir hatten in den letzten Jahren gleichbleibend zehn bis 15 Fälle. Hauptsächlich Müllsäcke oder Sperrmüll.“ Hinzu kämen Kleinigkeiten wie abgestellte Töpfe oder Spielzeuge neben Glascontainern, die in der Statistik nicht geführt würden. „Ich denke, dass die Menschen hier im ländlichen Raum eine größere Hemmschwelle haben, weil mehr Bewusstsein für die Natur vorhanden ist“, sucht Middendorf nach Erklärungen.

Müllproblem beschränkt sich im Kreis Dithmarschen auf die Städte

Auch im Kreis Dithmarschen blickt man entspannt auf die Lage: Im Jahr 2018 gab es 11 Vorfälle der illegalen Müllablagerung, im Jahr 2022 19, wie Thomas Sieger von der Abfallwirtschaft Dithmarschen in Heide mitteilt. Damit sei die Entwicklung im Osten des Landes „überschaubar“. Dies gelte allerdings nur für den außerstädtischen Bereich.

Ganz anders fällt die Bilanz zur Müllablagerung in der Stadt Heide aus: „Das wird auf jeden Fall mehr“, sagt Bauhof-Mitarbeiter Klaus Gerbracht. Überwiegend handele es sich um Sperrmüll, der zum Beispiel in Parks entsorgt werde. Aber auch wahllos entsorgte Gegenstände in und um Papp- und Glascontainern sorgen für Ärger. Gerbracht fügt hinzu: „Dadurch entstehen viele Kosten und Aufwand für den Bauhof. Wir müssen hinterherräumen. Es ist einfach rücksichtslos.“

Wer Müll illegal entsorgt, kann mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro belangt werden. Das Problem ist jedoch: Kaum einer der Täter wird gefasst. Nach einer Strafstatistik der Landesregierung wurden im Jahr 2021 beispielsweise 33 Personen wegen „vorsätzlichem unerlaubten Umgangs mit Abfällen“ verurteilt, darunter lediglich Geldstrafen. Wie hoch diese ausfielen, konnte das Ministerium nicht beantworten. Allein das Elmshorner Ordnungsamt verzeichnete jedoch im vergangenen Jahr 217 Fälle, in denen Unbekannte ihren Abfall illegal in der Landschaft entsorgten.

Illegal entsorgter Müll ist selten als Straftat nachzuweisen

Warum gibt es so wenig Verurteilungen? Vom Umwelt-Ministerium heißt es dazu: „Wird illegal entsorgter Abfall gemeldet und aufgefunden, lässt sich häufig kein Verursacher ermitteln.“ Weiter zähle der „wilde“ Müll meist als Ordnungswidrigkeit, die nur ein Bußgeld nach sich ziehe. Zudem brauche es Beweise wie Zeugenaussagen oder Adressenfunde auf den entsorgten Dingen, um die Tat zu beweisen. „Unter diesen Voraussetzungen wird die Zahl von 33 Verurteilten nicht als gering angesehen“, heißt es aus dem Ministerium.

Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) sagt: „Als Gesellschaft sind wir alle miteinander auf eine gesunde Natur angewiesen. Ihre Verschmutzung ist daher nicht nur aus ökologischen Gründen indiskutabel, sondern auch teuer und unsolidarisch.“ Man habe sich in der Koalition deshalb geeinigt, die Justiz im Land zu stärken, um die Verstöße zukünftig besser sanktionieren zu können. Hierbei handelt es sich um 29 Stellen, die für die gesamte Strafjustiz im Land geschaffen wurden und im Laufe des Jahres besetzt werden sollen. „Dabei soll der Fokus besonders auch auf Umweltkriminalität liegen“, sagt Pressesprecher Kissing. Details hierzu gebe es jedoch noch nicht.

Auch der NABU in Schleswig-Holstein sieht Handlungsbedarf. „Die Fälle müssen stärker verfolgt werden, und die Ermittlungsbehörden sollten rigoros zuschlagen“, sagt Ingo Ludwichowski. Er fügt hinzu: „Wir rätseln auch, wie es dazu kommt, weil es ja gute Entsorgungsmöglichkeiten im Land gibt.“ Der NABU-Sprecher fordert deswegen: „Es ist Aufgabe der Verwaltung zu analysieren, warum und wo die Entsorgung nicht klappt und dann publikumswirksam und in verschiedenen Sprachen aufzuklären, weil scheinbar noch immer viel Unwissenheit herrscht.“

Auch Bundesverband der Entsorgungswirtschaft blickt beunruhigt auf die Situation

Viele Bürger hätten das Gefühl, dass die Müllmengen in der Landschaft zunehmen, sagt auch Bernhard Schodrowski vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft in Berlin. „Uns liegen keine konkreten Zahlen vor, aber man hört mintunter abenteuerliche Geschichten von alten Fahrzeugen oder Möbelteilen im Wald“, so Schodrowski weiter.

Die Gründe liegen für ihn auf der Hand.

Dabei werde der Bevölkerung die Entsorgung durch Möglichkeiten wie Sperrmüllaktionen oder Recyclinghöfe eigentlich schon sehr bequem gemacht, betont der Sprecher des Verbandes.

Für die Entsorgungsbetriebe gehe der illegale Müll weit über die verbotene und mindestens ordnungswidrige falsche Entsorgung hinaus: „Wir sind eine Kreislaufwirtschaft, die auf die korrekte Sammlung und Sortierung von Abfällen angewiesen ist, damit uns wichtige Materialien für das Recycling nicht verlorengehen. Zudem können wild entsorgte Akkus oder Lacke die Umwelt und Gesundheit gefährden.“ 

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