Windkraft-Messe in SH

Husum-Wind: Die Windbranche drückt kräftig aufs Tempo

Husum-Wind: Die Windbranche drückt kräftig aufs Tempo

Husum-Wind: Die Windbranche drückt kräftig aufs Tempo

SHZ
Husum
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Eine Drohne zur Wartung und Analyse von Windkraftanlagen gibt es bei Björn Schulz und Robert Hörmann von AeroEnterprise in den Husumer Messehallen zu bestaunen. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Die Windbranche macht auf der Husumer Messe Druck mit einem Appell: Das ärgerliche Nord-Süd-Gefälle beim Netzentgelt und die Priorisierung der Kohle sollen fallen.

Kann das gewollt sein? Für einen Verbraucher in Hessen ist es günstiger, Strom aus Schleswig-Holstein zu verbrauchen als für einen Husumer oder einen Itzehoer. Hauptgrund: Die Netzentgelte sind in Süddeutschland geringer als in Schleswig-Holstein.

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Die Netzentgeltkosten lägen in Nordfriesland bei 4,67 Cent pro Kilowattstunden, in Hessen aber nur bei 1,77 Cent, rechnete Ove Petersen, Chef von GP Joule (Reußenköge), am Dienstag beim Messerundgang auf der Husum-Wind den Ministern Karin Prien (Bildung, CDU) Jan Philipp Albrecht (Energiewende, Grüne) vor. Zusätzlich belaste der Stromtransport von Nord nach Süd auch noch die Netzsicherheit und verursacht so weitere Kosten.


Dabei sieht die Windbranche das Land Schleswig-Holstein als Vorreiter, wie Hermann Albers aus Simonsberg, Chef des Bundesverbands Windenergie, vorrechnet: „Hier kommen 136 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien.“ Außer Schleswig-Holstein erzeugen bislang lediglich Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mehr sauberen Strom, als sie selbst benötigen.

Der Kieler Minister Albrecht hofft, dass sich das Nord-Süd-Gefälle beim Strompreis politisch lösen lässt: „Stromkunden aus Schleswig-Holstein werden am härtesten belastet, obwohl sie die Dekarbonisierung am stärksten vorantreiben“, sagt er. Das dürfe nicht sein: „Der Netzausbau hilft allen.“


Außerdem muss die Bundespolitik nach Auffassung der Windbranche auch noch das ebenfalls nicht mehr zeitgemäße System der Abgaben und Umlagen ändern, das Kohle- und Atomstrom finanziell besserstellt. Ove Petersen von GP Joule sagte es vor 250 Zuhörern mit Mund-Nasen-Schutz unter blauestem nordfriesischem Himmel so: „Vor 70 Jahren haben wir die fossilen Energieträger und Atomkraft privilegiert – und jetzt müssen wir die Erneuerbaren privilegieren.“ Dafür müsse eigentlich nur ein unscheinbarer Passus im Bundesemissionsschutzgesetz geändert werden.

Widersinniges Preis-Nord-Südgefälle, hinderliche Gesetze, die noch den Geist der 50er Jahre atmen – nur einige von vielen Merkwürdigkeiten in der über mehrere Jahre ausgebremsten Windbranche. In fünf großen Messehallen lässt sich zwischen Vestas, Nortex, Enercon & Co so ziemlich jede Lösung finden, die den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt – von immer größeren Anlagen bis hin zu solchen, die gleich den Wasserstoff mitliefern können. Grüner Wasserstoff, Repowering, Offshore und Recycling sind 2021 die Messeschwerpunkte.


Im diesem Jahr scheinen die Windmüller wieder im Vorwärtsgang. Im ersten Halbjahr wurde in Schleswig-Holstein bereits der Bau von 112 neuen Windrädern mit einer Gesamtleistung von mehr als 400 Megawatt genehmigt. Im ersten Halbjahr seien schon 21 Windkraftanlagen mehr ans Netz gegangen als im gesamten Vorjahr, berichtete Jan Philipp Albrecht gestern. „Wir sind auf einem guten Weg hin zu unserem Ziel von zehn Gigawatt Leistung onshore bis 2025, sagt Albrecht. Aktuell sind Windräder mit 6,8 Gigawatt Leistung installiert. Weitere 1,3 Gigawatt stünden vor der Inbetriebnahme. Und Brandenburg, dieses Jahr Partnerland der Husum-Wind, zähle mittlerweile 25.000 Arbeitsplätze in seiner Windbranche – also rund doppelt so viele wie in der Braunkohle.

Vor oder nach der Messe noch zum Impfen

Husum, seit 1989 die ebenso traditionsreiche wie familiäre Messe, könnte das Signal für den Aufbruch setzen. Wo bei 387 Aussteller in fünf großen Messehallen und erhoffte 10.000 Besucher schon ein sehr würdiger Rahmen für ein familiäres Treffen sind. Das Husumer Impfzentrum, das hier bis vor wenigen Wochen residierte, musste schon mal umziehen in ein weißes Zelt neben dem Kongress-Zentrum. Nichtsdestotrotz: Vor oder nach dem Messebesuch kann man sich auch noch impfen lassen – ohne Termin, versprochen.

Und wie sieht das Signal aus, das Husum in die Welt sendet? Wind-Präsident Albers und seine Kollegen aus den erneuerbaren Energien drücken jedenfalls schon aufs Tempo. Die Verbände BWE und BEE und die Anlagenbauer VDMA haben gemeinsam mit rund 50 führenden Windindustrieunternehmen im „Husumer Appell“ ihre Kernforderungen an die neue Bundesregierung formuliert: Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen, müsse die Windkraft in Deutschland prioritär und sehr zügig vorangetrieben werden.


Im Pariser Abkommen ist festgeschrieben, die Erderwärmung auf einen Anstieg um 1,5 Grad zu begrenzen: „Deutschland ist auf einem sicheren Drei-Grad-Kurs“, schimpft Albers: „Schon 1,5 Grad werden für Schleswig-Holstein eine Herausforderung.“ Doch der Tiefpunkt sei durchschnitten, am Ende dieses Jahren stünden 2,4 Gigawatt Zubau in Deutschland. Seine Botschaft: „Wir haben keine Zeit mehr.“ Deshalb führten die Verbände bei fünf denkbaren Koalitionen nach der Bundestagswahl auch Gespräche mit allem Parteien. Nach der Wahl müssten die Signale schnell kommen. Albers nennt eine 100-Tage-Frist: „Wir brauchen überall in Deutschland zwei Prozent der Landesfläche, die am Ende auch nutzbar sind.“

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Auf dem Husumer Messegelände trifft man bis Freitag wohl nicht jene Leute, die überzeugt werden müssen. Auch die Kieler Landesregierung hat am Dienstag – wie schon vor zwei Jahren – ihre Kabinettssitzung im Obergeschoss der Messe abgehalten.

Beschleunigte Genehmigungsverfahren binnen sechs Monaten statt wie zuletzt nach bis zu sechs Jahren – das ist eine weitere Forderung aus der Branche. Albers sagt, ihm sei es egal, ob es sechs, sieben oder acht Monate seien. Aber eine Genehmigung innerhalb eines Jahres müsse doch möglich sein.

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