Personalmangel am Urlaubsort

Gaffer, verstopfte Straßen, Anspruchsdenken: Was Rettungskräften auf Sylt das Leben schwer macht

Was Rettungskräften auf Sylt das Leben schwer macht

Was Rettungskräften auf Sylt das Leben schwer macht

SHZ
Sylt
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Auf der Insel im Einsatz: Sven Rudolf und Katrin Knudsen. Foto: Inga Kausch/shz.de

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24-Stunden-Schichten, tägliche Extremsituationen, permanente Arbeitsbehinderung durch Gaffer, Beleidigungen und hohe Ansprüche: Shz.de hat zum internationalen Tag der Rettungskräfte am 11. September mit Sylter Rettungskräften über ihre Arbeit gesprochen.

Ein Piepen und Brummen ertönt. Ein Griff an den Oberschenkel, der Blick auf den Melder: „Einsatz. Verkehrsunfall auf der L24.“ Katrin Knudsen und Sven Rudolf steigen in den Rettungswagen und brausen mit Blaulicht und Martinshorn vom Platz.

Seit April ist Katrin Knudsen Rettungssanitäterin beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) auf Sylt. Davor war die 42-Jährige als Arzthelferin tätig und wagte den Quereinstieg. „Ich war schon immer am medizinischen Bereich interessiert. Die Arbeit jetzt ist weitaus abwechslungsreiche.“ Schon länger hatte sie ehrenamtlich im Bereitschaftsdienst gearbeitet und absolvierte die dreimonatige Ausbildung sowie die 100 erforderlichen Einsätze schließlich nebenberuflich.

Anstrengende 24-Stunden-Schichten auf Sylt

Zusammen mit ihrem Kollegen, dem Notfallsanitäter Sven Rudolf, besetzt sie die 24-Stunden-Schicht. „Das ist schon extrem und anstrengend, aber es gibt Ruheräume. Man lernt, zwischen den Einsätzen abzuschalten“, sagt die Sylterin.

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Auf der Insel seien die Einsätze nicht anders als auf dem Festland, doch eine Sache fällt den beiden besonders auf. Rudolf erklärt: „Viele der Urlauber haben sehr hohe Ansprüche und schenken uns wenig Anerkennung.“


Beleidigungen, Diskussionen und die Bitte, die Schuhe auszuziehen, um den Teppich nicht zu beschmutzen, stünden auf der Tagesordnung. Dazu kommen Beschwerden über die Lautstärke des Martinshorns oder Kritik daran, wie lange die Einsatzkräfte brauchen, um an den Unfallort zu kommen.

Der Sylter Auto-Verkehr: Eine Herausforderung

Den Rettungswagen durch die Sylter Straßen zu fahren, ist ebenfalls herausfordernd – besonders zur Hochsaison. Katrin Knudsen sagt: „Es ist oft schwer, durchzukommen. Man muss sich zwingen, ruhig zu bleiben.“ Durch laute Musik in den Autos würde das Martinshorn zudem oft nicht mal wahrgenommen werden. Und: „Wenn wir an den Strand fahren, brauchen wir ein 7,5 Tonnen schweres Fahrzeug mit extra dicken Reifen, daran muss man sich erstmal gewöhnen.“

Kein Respekt vor den Rettungskräften

Am Unfallort angekommen, warten weitere Hindernisse. „Wir kommen teilweise nicht aus dem Auto raus, weil Menschen ihre Fahrräder dicht an den Türen vorbeischieben oder zu nah vorbeifahren“, erzählt Katrin Knudsen von ihren Erfahrungen. Ihr Kollege fasst zusammen: „Menschen haben manchmal gar keinen Respekt vor unser Arbeit, beleidigen uns, stehen im Weg, gaffen, treten gegen das Fahrzeug und behindern uns an der Arbeit.“


Ein weiteres Problem: Soziale Netzwerke. „Auf Facebook sind häufig schon Bilder vom Unfallort, bevor wir da sind“, sagt Katrin Knudsen aufgebracht. Sie fügt hinzu: „Darunter häufen sich dann Kommentare mit Spekulationen, aber auch Beleidigungen über uns.“

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Die Anzahl der Einsätze sei saisonbedingt – ihr Höchststand waren 16 Einsätze in einer Schicht. Doch: „Es gibt auch Tage, an denen man sehr wenig fährt. Dann kontrollieren wir die Fahrzeuge, machen Papierkram oder können auch mal ein Buch lesen.“


Ihr 51-Jährige Kollege Sven Rudolf ist bereits seit 25 Jahren im Sylter Rettungsdienst beschäftigt. Er erklärt: „Wenn ein Einsatz über den Melder kommt, muss man sofort hellwach sein und dann geht es los.“ Extremsituationen gebe es in ihrem Arbeitsalltag viele, doch man lerne, damit umzugehen. Rudolfs Kollegin erläutert: „Das hat mit Erfahrung zu tun. Wir wissen ja, was wir tun.“ Das Wichtigste sei, die Patienten zu beruhigen, mit ihnen zu sprechen und jeden Schritt zu erklären. „Wir versuchen, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen. Der seelische Faktor ist sehr bedeutend“, fügt ihr Schichtpartner hinzu.

Seelische Belastung durch extreme Einsätze

Die zwei sind sich einig: „Auch für uns gibt es belastende Situationen. Während des Einsatzes funktionieren wir, aber im Nachhinein kommt dann manchmal der Schock.“


Dafür gebe es Nachbesprechungen im Team. Katrin Knudsen sagt: „Das hilft uns, ständig besser zu werden. Nur wenn man den Einsatz reflektiert, kann man sich weiterentwickeln.“ Deswegen würden die Schichtteams auch immer wechseln: „Jeder hat seine Schwerpunkte. Man kann dann immer wieder Neues lernen.“ Gleichzeitig sei es eine konstante Herausforderung, die Schicksale der Patienten nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen.

Durch die Insellage: Personalmangel

Die Einsatzkräfte auf Sylt sind besonders gefragt, denn: „Der Personalmangel ist hier verschärft. Man muss vor Ort wohnen, aber durch die Lage am Wohnungsmarkt und der Mangel an jungen Leuten ist das alles etwas schwer.“ Ehrenamtliche sowie Nachwuchskräfte würden deswegen händeringend gesucht.


Der Standort Sylt bietet so auch die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter an, inklusive C1 Führerschein. „Wir brauchen wirklich Nachwuchs, um die Daseinsfürsorge der Gäste und Insulaner aufrecht zu erhalten“, sagt Rudolf eindringlich.

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Neben all den Strapazen überwiegen für die beiden jedoch die Vorteile des Jobs. Die Rettungssanitäterin erzählt: „Wir arbeiten auf eine sehr intensive Art mit Menschen. Es ist super interessant, jeden Tag anders und wird nie langweilig.“ Besonders eine Hausgeburt, bei der sie als Sanitäterin war, habe sie geprägt. „Wir sehen schnell Erfolge bei den Einsätzen. Alles, was wir tun, hilft den Patienten und sie sind oft dankbar.“ Ihr Kollege fügt hinzu: „Mir gefällt auch, dass man sich immer weiterbilden muss. Es gibt ständig neue Erkenntnisse, die uns bei der Arbeit helfen. Mein Geist bleibt nie stehen, weil wir bei den Einsätzen hellwach und aufmerksam sein müssen.“


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