Verkehrswende in der Praxis

Fahrradstadt Flensburg: So weit sind wir schon gekommen

Fahrradstadt Flensburg: So weit sind wir schon gekommen

Fahrradstadt Flensburg: So weit sind wir schon gekommen

SHZ
Flensburg
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Flensburg hat einen ambitionierten Plan für die Mobilität in der Stadt. Doch es geht nur langsam voran. Foto: Gerrit Hencke/shz.de

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Der Radverkehr in Flensburg soll 2030 rund 25 Prozent betragen. Doch das allein reicht nicht. Eine kritische Bestandsaufnahme eines Redakteurs, der jeden Tag auf dem Rad sitzt.

Es gibt Menschen, die sich durchaus vorstellen könnten, in Flensburg mit dem Rad zu fahren. Der Grund, warum sie es nicht tun: es ist ihnen zu gefährlich. Wer sich nicht sicher fühlt, weicht auf andere Verkehrsmittel aus. Das Fahrrad bleibt im Keller. Die Stadt Flensburg will aber eigentlich erreichen, den Anteil an Fahrradfahrern in der Stadt bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern. So steht es im „Masterplan Mobilität“. Ein ehrgeiziges Konzept mit vielen Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV. Doch wie ist der Stand der Dinge in Sachen Radverkehr in Flensburg? Ein Überblick.

Farbe als Notlösung

Eine der letzten auffälligen Sofortmaßnahmen der Stadt war das Aufbringen von Fahrrad-Piktogrammen auf die Straßen und das Einfärben von Überwege in signalroter Farbe. Das Ziel: die Sicherheit von Radfahrenden im Verkehr zu erhöhen. Radfahrer haben nun an vielen Stellen die Wahl, ob sie auf teils maroden, schmalen Radwegen fahren möchten oder auf der Straße.


Auch Autofahrer scheinen in der Mehrheit zu akzeptieren, dass nun vermehrt Radfahrer auf der Fahrbahn unterwegs sind. Die Legitimation dazu ist weiß markiert. Gleiches gilt für Einbahnstraßen, die vermehrt für Radfahrer freigegeben werden. Es heißt zwar immer, Farbe sei keine Infrastruktur, in diesem Falle aber ist es eine erste kleine Verbesserung.

Am Ende des Radwegs

Radpendler kennen das. Wer etwa vom Friedenshügel ins Zentrum radelt, findet keine ebene Fahrbahn vor. An Einmündungen, etwa an der Ecke Zur Exe/Nikolaiallee geht es – rumms – den Bordstein runter – rumms – den Bordstein wieder hoch, danach folgen ein paar Wurzelschäden und wer ab dem Neumarkt in Richtung Hafenspitze eine Grüne Welle erwartet, der wartet vergebens.

Im „Stop and Go“ geht es Richtung Waterkant. In einen Rhythmus kommt man beim Fahren nicht. Überhaupt enden manche Radwege abrupt oder werden an gefährlichen Stellen auf die Fahrbahn verschwenkt. Beispiele dafür finden sich etwa in der Marienallee hinter der Kreuzung zur Friesischen Straße oder an der Werftstraße hinter der Kreuzung Gasstraße. Nicht nur für ungeübte Radfahrer ist das Einfädeln in den motorisierten Verkehr eine Stresssituation. Hier wären wir viele bereits wieder am Anfang: Das Rad bleibt lieber im Keller. Zu gefährlich, zu unkomfortabel.


Zwischen Klimatest und Masterplan

Fehlenden Willen kann man der Stadt Flensburg nicht vorwerfen. Der Masterplan Mobilität hat sich urbane Mobilität und Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben. Darin sind zahlreiche Maßnahmen geplant, den Radverkehr in Flensburg sicherer und komfortabler zu machen. Teilweise wurden bereits Maßnahmen umgesetzt, vieles ist aber noch offen. Darunter etwa das Aufstellen von Fahrradzählstellen an viel frequentierten Wegen, die bessere Verbindung der Stadtteile, etwa vom Zentrum zur Rude oder die Verbesserung der Oberfläche von Straßen mit Natursteinpflaster für den Radverkehr.

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Lob gibt es für die seit 2018 abgearbeiteten Maßnahmen vom örtlichen ADFC. Allerdings gehe es aufgrund der begrenzten personellen Ressourcen in der Verkehrsplanung leider nur langsam voran. „Es wird noch Jahre brauchen, um die Versäumnisse der letzten 60 Jahre auszubügeln“, sagt Sprecher Meyer-König. Die Radinfrastruktur in Flensburg bezeichnet der ADFC als durchschnittlich im Vergleich zu Gesamtdeutschland.


Beim ADFC Fahrradklimatest von 2020 erhielt Flensburg zwar nur ein Ausreichend, doch da alle Städte im Mittel diese Note bekamen, seien die Unterschiede scheinbar marginal. „Ob eine Stadt eine 3,7 oder eine 4,2 bekommt ist da egal“, sagt Meyer-König.

Ein Problem sei, dass die Politik bei grundlegenden Entscheidungen immer zwischen „der Notwendigkeit zu Reformen und der Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen“ schwanke, sagt Meyer-König und betont, dass es bei manchen Maßnahmen des Masterplans vermutlich schwierig werde, Mehrheiten zu erreichen. „Das ist besonders problematisch, da der Erfolg des Gesamtpakets vom Zusammenspiel aller Einzelmaßnahmen abhängt.“

Dennoch bringen einige Maßnahmen eine deutliche Verbesserung und senden außerdem ein Zeichen. So sei der Ausbau von Abstellbügeln im gesamten Stadtgebiet zu begrüßen.


Projekt „Grüne Welle“ im Zentrum

In einem weiteren Punkt wird momentan an einer Verbesserung gearbeitet. Das Projekt „Grüne Welle Innenstadt“ soll den langen Wartezeiten an Ampeln für Radfahrende ein Ende setzen. Auf Grundlage einer Regelgeschwindigkeit für den motorisierten Verkehr von 40km/h sollen die Signalprogramme optimiert werden. Eine grüne Welle für Radfahrer sei dann bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 20km/h berechnet, sagt Christian Reimer, Pressesprecher bei der Stadt Flensburg. „Die notwendige Überplanung durch einen externen Fachgutachter befindet sich kurz vor der Fertigstellung. Der nächste Schritt besteht in der Ertüchtigung der Anlagentechnik.“ Dabei sollen die zentralen Bereiche der Innenstadt zwischen Schützenkuhle und Nordertor einbezogen werden – also auch die ZOB-Kreuzung und der Neumarkt. Ein Lichtblick.

Doch die an vielen Stellen problematische Infrastruktur für Radfahrer und auch Fußgänger bleibt eine Baustelle für die Fördestadt. In Kielseng etwa wurde 2015 die Idee eines Express-Radwegs von Mürwik in Richtung Zentrum abgelehnt – die Straße wurde 2016 saniert und blieb vierspurig für den Autoverkehr. Traurig: Der marode Radweg neben der Straße ist noch heute nicht durchgehend instandgesetzt. Besonders schlimm ist hier der Abschnitt zwischen Ballastbrücke und Hafendamm stadtein- und stadtauswärts. Hier wurde zuletzt stellenweise eine neue Asphaltdecke auf die Schlaglochpiste aufgebracht. Mehr als eine Notlösung ist das allerdings nicht.

Konflikte an der Hafenspitze

Viele Radfahrer weichen daher über die Hafenspitze aus. Vom Nordertor über die Schiffbrücke nach Sonwik kann man entlang der Kaikante quasi ampelfrei pedalieren. An der viel frequentierten Hafenspitze kommt es dadurch immer wieder zu Konflikten. Eigentlich dürfen Radfahrer hier seit längerer Zeit nur Schritttempo fahren. Die zweigeteilte Promenade erweckt noch heute den Anschein eines getrennten Rad- und Fußwegs. Doch den gibt es lange nicht mehr. Die Einrichtung der „Fairness-Zone“ scheint nur temporär zu fruchten und könnte deshalb bald ein Ende haben. Überlegungen gehen dahin, den Bereich für Radfahrer zu sperren. Die Stadt brütet schon länger über einer Lösung. Zuletzt wurde hier eine Pop-Up-Bikelane auf dem Hafendamm ins Gespräch gebracht.


Der ADFC in Flensburg hat eine andere Meinung zur Hafenspitze. „Es gibt bisher keine Fakten, wie viele 'Konflikte' es dort gibt und vor allem, was die Leute darunter verstehen“, sagt Sprecher Tim Meyer-König. Natürlich gebe es immer einen kleinen Teil an Verkehrsteilnehmern, der sich daneben benehme und sich auch nicht von Verboten abschrecken lasse. „Das bestraft diejenigen, die sich an der Hafenspitze regelkonform verhalten“, sagt Meyer-König. Die Zahl der Konflikte hänge vom Gefühl her maßgeblich mit der eigenen Wahrnehmung zusammen. „Ich sehe dort viel Interaktion und Rücksichtnahme.“

Noch ist offen, wie es an der Hafenspitze weitergeht.

Der Traum vom Bahndamm-Radweg

Ein weiteres Beispiel ist der Bahndamm, der sich von der Hafenspitze bis nach Weiche im Westen der Stadt zieht. Seit Jahren wird hier über eine Veloroute nachgedacht, die ampelfrei quer durch die Stadt verlaufen und einen enormen Zugewinn für den Radverkehr bedeuten könnte. Mit ihr könnte man auch die konfliktträchtige Hafenspitze entschärfen. Die Stadt würde diesen Radweg auch gern bauen, allerdings sind ihr die Hände gebunden.

„Auf Grund des aktuell vorliegenden Entwurfes des „Landesweiten Nahververkehrsplanes“ ist davon auszugehen, dass landesseitig die Position/Zielsetzung eines Innenstadtbahnhofes weiterhin verfolgt werden wird“, sagt Reimer. Die Stadt hatte in einer geltenden politischen Beschlusslage eine Reaktivierung der Hafenbahn bis zum ZOB abgelehnt. Das Problem: Der Bahndamm gehört nicht der Stadt. In die Verkaufsverhandlungen der Eigentümerin, der DB Netz AG, ist Flensburg nicht eingebunden. Einen neuen Sachstand gebe es deshalb nicht, sagt Reimer. Eine Veloroute bleibt hier also bislang ein Traum von Radpendlern.

(K)eine Fahrradstraße

Flensburgs einzige Fahrradstraße, die 100 Meter lange Viktoriastraße, wird augenscheinlich wenig frequentiert, da die Radinfrastruktur an deren Anfang und Ende nicht fortgesetzt wird und die Straße nicht für den Autoverkehr gesperrt ist. Als Veloroute zum Campus müsste konsequenterweise noch die Waitzstraße komplett umgewidmet werden.

Der Stadt sei die Bedeutung der Route zum Campus – obwohl sie nur eine Nebenstrecke ist – und die Bedeutung der Waitzstraße als Lückenschluss bekannt, heißt es aus dem Rathaus. Bei der Prüfung weiterer Fahrradstraßen werde die Route prioritär behandelt. Wann dies abgeschlossen ist, lässt die Stadt allerdings offen.

Nichts hält länger als ein Provisorium

Flensburgs Politik tut sich schwer, bestehende Infrastruktur umzuwidmen. Oftmals sind aber der Verwaltung die Hände gebunden. Das wird an einem Provisorium deutlich, das seit 2014 besteht. In der Heinrichstraße wird der Rad- und Fußverkehr unter dem Bahndamm wegen eines zu schmalen Gehwegs mit rot-weißen Leitborden auf einer Fahrspur geführt. Aus der einst dreispurigen Hauptverkehrsstraße wurde so eine zweispurige. 2017 schrieb unsere Zeitung: „Das Ende des Provisoriums naht”.

2019 wurde beschlossen, hier einen Geh- und Radwegtunnel herzustellen, die Übergangslösung also zurückzubauen. 2020 begann das TBZ damit, die vorliegenden Pläne zu überarbeiten. Dabei wurde festgestellt, dass entweder Grunderwerb von einem Nachbargrundstück notwendig wird oder die nutzbare Wegbreite verringert werden muss, um auf dem städtischen Grundstück zu verbleiben. Zwischenzeitlich hab sich herausgestellt, dass keine Verkaufsbereitschaft besteht, sagt Stadtsprecher Reimer.

Die Umsetzung sei auch abhängig von der Erstellung eines neuen Kreuzungsvertrages mit dem zuständigen Bahnunternehmen. Und so ist jetzt, im Spätsommer 2021, die Notlösung weiterhin präsent. Eine bauliche Umsetzung, zunächst für 2022/2023 vorgesehen, wird sich wohl weiter verschieben. Neues angepeiltes Ende für das Provisorium: spätestens 2024.

Bikelanes „noch nicht vom Tisch“

Im Zuge der Corona-Krise wurden auch in Flensburg „Popup-Bikelanes“ ein Thema. Menschen, die pandemiebedingt nicht mit dem ÖPNV fahren wollten, sollten mit den provisorischen Fahrradspuren ein Alternative angeboten bekommen. Drei solche Fahrradwege waren in Flensburg in der Diskussion, eine wurde letztlich eingerichtet. In der Bismarckstraße endet der vom Hafermarkt kommende Fahrradstreifen in Höhe der Goethe-Schule. Durch die Bike Lane wird dieser Radweg fortgeführt.

Dennoch hätte auch eine Fahrradspur in der Husumer Straße in Richtung „Zur Bleiche“ fortgesetzt werden können, da der bestehende Radweg spätestens ab der Ecke Wilhelminental in einem sehr schlechten Zustand ist. Mit einer weiteren Bike Lane zwischen Mürwiker Straße und Hafendamm wäre ebenfalls ein schnelleres Vorankommen möglich geworden.


Im Juni 2020 wurde jedoch gegen die Einrichtung weiterer Sonderspuren gestimmt, nur die in der Bismarckstraße kam. Diese befindet sich noch bis zum Frühjahr 2022 in der Erprobung. „In den nächsten Wochen werden Radverkehrszählungen vorgenommen, bis zum Frühjahr werden durch die Verkehrsbehörde die betroffenen Akteure (u.a. Polizei und Busbetrieb) befragt“, sagt Reimer. Die Verkehrsplanung werde ebenfalls eine Einschätzung zur Versuchsanordnung und dauerhaften Implementierung der Bike Lane abgeben. Je nach Ergebnis könnte die Radspur dauerhaft bestehen bleiben.

Immerhin: Die beiden zunächst abgelehnten Bike Lanes sind „noch nicht vom Tisch“, wie es aus dem Rathaus heißt. So gebe es die Empfehlung der Verkehrsplanung, auch diese Routen zu erproben. Die Stadt gibt zu, dass es auf den Abschnitten „durchaus derart schlechte Bedingungen für den Radverkehr“ gebe, weshalb eine Anordnung für Bike Lanes getroffen werden könnte. „Allerdings gilt das nicht für die gesamten Streckenzüge. Um nicht ein unübersichtliches Flickwerk zu bekommen, gehen die Bemühungen weiterhin in Richtung Bike Lane auf dem gesamten Streckenabschnitt“, so Reimer. Zunächst müssten aber sowohl die Kosten als auch der Aufwand zur Umprogrammierung der Ampeln bewertet werden. Eine Umsetzung würde gegebenenfalls erst im kommenden Jahr erfolgen.

Radinfrastruktur: Wie geht es weiter?

Gute Nachrichten gibt es für Radfahrer aber dennoch. So sind für die nächsten Jahre eine Reihe von Vorhaben bezüglich der Radinfrastruktur in der Stadt vorgesehen.

Planungen für den Neubau von Radwegen gibt es etwa für die maroden Radwege an der Mürwiker Straße und am Flugplatzweg, die konfliktträchtige Westerallee oder die Straße „Am Katharinenhof“, wo erst kürzlich die neue Ramsharde-Schule eingeweiht wurde. Außerdem soll in der Richard-Wagner-Straße ein neuer Radweg entstehen.

Ebenfalls geplant ist, eine schon länger fehlende Verbindung zwischen Schleswiger Straße und Eckernförder Landstraße entlang der Bahngleise zu realisieren.

Größere Sanierungen stehen in der Lecker Chaussee und am Lornsendamm an. Weiterhin gibt es Pläne für die Bereiche Exe und Schiffbrücke. Weitere kleinere Projekte, wie etwa Querungshilfen, werden von der Stadt sukzessive umgesetzt, um das Radfahren in Flensburg zu erleichtern.

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