Interview

Drohende Versorgungslücke bei Schwangerschaftsabbrüchen in Flensburg: Das sind die Folgen

Abtreibungen in Flensburg: Interview zur Versorgungslücke

Abtreibungen in Flensburg: Interview zur Versorgungslücke

Mira Nagar/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Jane Jöns und Maren Schönfeld vor der Beratungsstelle von Pro Familia an der Marienstraße. Foto: Mira Nagar/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Jane Jöns und Maren Schönfeld von Pro Familia berichten im Interview, welche Folgen es haben könnte, wenn sich das Angebot der Schwangerschaftsabbrüche weiter ausdünnt.

In den USA sind Schwangerschaftsabbrüche eines der größten politischen Streitthemen, in Berlin marschieren am Samstag tausende Demonstranten beim „Marsch für das Leben“ gegen Abtreibungen in Deutschland. Und in Flensburg? An der Förde suchen Gesellschaft und Politik nach Lösungen für den Zeitpunkt, wenn zukünftig das Angebot der Diako wegfällt. Doch woran hapert es? shz.de hat mit Jane Jöns und Maren Schönfeld von Pro Familia gesprochen.

Nach dem Ende von Paragraf 219a sehe ich immer noch keine blinkende Neon-Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Woran liegt das?
Jane Jöns: Die Streichung des Paragrafen 219a ist vor zwei Monaten erfolgt. Wir erwarten, dass Ärzte ihr Angebot mehr und mehr öffentlich machen, weil sie nun nicht mehr der Gefahr einer Strafe unterliegen. Der nächste Schritt ist die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Für Pro Familia sind diese ein Menschenrecht. Wichtige Schritte hin zu der Anerkennung von Schwangerschaftsabbrüchen als Teil unserer gesellschaftlichen Normalität.

Das Thema ist noch immer in der Gesellschaft moralisch so aufgeladen, dass die öffentliche Info über Schwangerschaftsabbrüche für viele Ärzte womöglich einem persönlichen Statement gleichkommt. Das wäre dann ja eine sehr bewusste Entscheidung. Es kommt auch immer wieder zu Übergriffen von Abtreibungsgegnern, auch in Deutschland.

Warum bieten überhaupt so wenige Ärzte Abbrüche an?
Jane Jöns: Es ist ein organisatorischer Aufwand für eine Praxis, beispielsweise wenn medikamentöse Abbrüche durchgeführt werden. Es sind zwei Termine, wenn man die Ultraschalluntersuchung nicht mitzählt. Der zweite Termin kann auch unübersehbar lang dauern. Da sitzt dann eine Frau, die in irgendeiner Form auch Begleitung braucht. Es ist schon ein Aufwand, das in den normalen Praxisablauf zu integrieren.

Maren Schönfeld: Einige Praxen in Flensburg, soweit ich das beurteilen kann, haben pro Woche einen oder zwei OP-Tage eingeführt. Der ist dann mehr oder weniger reserviert für die ambulanten Eingriffe.

In der Kommunalpolitik wurde ja kürzlich eine bessere Vernetzung der Angebote gefordert. Was ist denn so schwierig an einer Vernetzung so weniger Akteure und wo sind da die Lücken?
Jane Jöns: Die Vernetzung ist von uns ein großer Wunsch. Das ist aber nicht immer leicht zu bewerkstelligen, wenn nicht alle Akteurinnen und Akteure gleichermaßen die Bedeutsamkeit sehen. Und das ist hier vielleicht auch der Fall. Ich kann mir bei Ärztinnen und Ärzten vorstellen, die unter anderem auch Schwangerschaftsabbrüche machen, dass es dann immer noch ein weiterer Schritt ist zu sagen: Ich investiere Zeit und Energie in den gesamten Prozess.

Wie groß ist der Mangel im Angebot denn nun gerade?
Jane Jöns: Gut, dass Sie nach „gerade“ fragen – da würden wir auf den Tag genau antworten können. Im Moment ist uns nichts an Engpässen bekannt. Wie es nächste Woche aussehen wird, das wissen wir aber nicht.

Maren Schönfeld: Wir vermitteln ja keine Termine. Wir zeigen eine interne Ärztinnen-Liste der Praxen und dann kümmert sich die Patientin selbst um einen Termin. Immer wieder ist das Angebot nicht ausreichend, so dass wir den Radius auf das nördliche Schleswig-Holstein erweitern müssen. Wir merken vor allem in der Urlaubszeit, dass es knapp wird. Wenn eine Praxis nicht da ist und die Vertretungspraxis keine Abbrüche durchführt, dann wird es eng. Ebenfalls wenn ein Arzt, eine Ärztin oder das Praxispersonal erkrankt.

Mit welchen Fragen kommen die ungewollt Schwangeren auf Sie zu und welche Sorgen haben sie?
Maren Schönfeld: Die erste Sorge, die mir begegnet, ist: Was erwartet mich jetzt hier bei dieser Pflichtberatung? Denn es ist eine gesetzlich vorgeschriebene Beratung und das klingt erstmal gruselig. Die Frauen haben die Befürchtung, dass wir sie dazu überreden wollen, die Schwangerschaft fortzuführen. Da ist es dann erstmal unsere Aufgabe, eine Beziehung aufzubauen. Ich werde Sie informieren, ich werde Ihre Fragen beantworten und ich werde zeigen, wo Sie überall hin müssen. Aber Sie werden auf jeden Fall mit diesem Schein nach Hause gehen.

Jane Jöns: Wir versuchen, die Pflichtberatung als Chance anzubieten. Eine Stunde, in der Zeit ist, über das zu sprechen, was sie gerne möchten. Ob sie Informationen brauchen oder ihre Entscheidung noch einmal reflektieren möchten. Das nehmen die meisten Frauen gerne an.

Maren Schönfeld: Die Mehrzahl der Frauen berichtet über ihre Beweggründe. Sie sind nicht dazu verpflichtet, aber es besteht oft der Wunsch, sich mit jemand Unbeteiligtem auszutauschen, sich einfach den Kummer von der Seele zu reden. Denn egal, wie man zu Schwangerschaftsabbrüchen steht, es ist immer eine große Entscheidung, auf die die Frauen gerne verzichtet hätten. 

Welche Beweggründe hören Sie denn häufig?
Maren Schönfeld:  Unterschiedlichster Art. Ich kann nicht sagen, dass sich zwei Beratungen geglichen haben, seit ich das mache. Häufig ist es so, dass die Baustellen im Leben gerade so zahlreich sind, dass es nicht möglich ist, für die Frau ihrer Vorstellung der Mutterrolle zu entsprechen und Verantwortung zu übernehmen.

Jane Jöns: Es gibt unfassbar viele Gründe, warum es gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist. Wir führen eine komplett anonymisierte Statistik über die Gründe. Wir haben im letzten Jahr die meisten bei „Körperlicher und psychischer Belastung der Frau“ oder im Bereich „Berufliche Gründe und Vereinbarkeit“. Wenn wir darüber sprechen, wie wir Schwangerschaftsabbrüche reduzieren, dann ist es einfach ein gleichstellungspolitisches Thema. Denn Frauen sind nach wie vor viel häufiger als Männer in der Situation, dass eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes ihre berufliche Laufbahn grundlegend verändern kann und eine Kraftanstrengung braucht.

In welchem Alter kommen die meisten Frauen?
Jane Jöns: Es sind zu 65 Prozent Frauen, die bereits Kinder haben. Häufig gibt es die Fantasie von einer ganz jungen Frau, die durch Nachlässigkeit schwanger geworden ist, aber noch gar nicht richtig im Leben steht. Das ist gar nicht die Realität. Es sind oft Frauen, die sich im Moment gegen ein zweites oder drittes Kind entscheiden. Teenie-Schwangerschaften – die sind ganz ganz selten.

Maren Schönfeld: Höchstens fünf pro Jahr, viel mehr sind das nicht.

Hier in Flensburg wird das Angebot der Diako ja perspektivisch wegfallen. Wie wird das aufgefangen? Gibt es Ärzte, für die das ein Argument ist, das ins Angebot aufzunehmen?
Jane Jöns: Das noch nicht, aber das ist etwas, woran wir intensiv arbeiten. Wir verurteilen, dass es dazu gekommen ist. Das ist eine Entscheidung eines Ausmaßes, das nicht zu unterschätzen ist und gleichstellungspolitisch eine große Botschaft hat. Aber trotzdem arbeiten wir ganz intensiv an Lösungsmöglichkeiten. In vier Praxen werden derzeit Schwangerschaftsabbrüche angeboten, eine fünfte macht es für ihre eigenen Patientinnen. Dabei sprechen wir nicht von ganzen Praxen, sondern von einzelnen Ärztinnen und Ärzten in diesen Praxen.

Das Angebot hat sich über die Jahre deutlich minimiert, auch weil Ärztinnen und Ärzte in Rente gegangen sind. Daher müssen jetzt die Weichen gestellt werden, um das aufzufangen. Auch bei der Idee eines Versorgungszentrums am Peelwatt stellt sich die Frage: Wo soll das ärztliche Personal herkommen?

Nehmen wir das Datum 2030, die Diako stellt ihr Angebot ein und woanders gehen Ärzte in Rente. Was passiert dann?
Maren Schönfeld: Einige Frauen gehen jetzt schon nach Schleswig, ich kann mir vorstellen, dass das dann noch zunehmen wird.

Jane Jöns: Der gesetzliche Rahmen gibt momentan vor, dass das Angebot ausreichend ist, wenn eine Frau innerhalb einer Tagesreise den Ort eines Schwangerschaftsabbruchs erreichen kann. Wenn man darauf guckt, kann man sagen, 2030 werden wir noch ausreichend versorgt sein. Aber das ist natürlich etwas, das absurd ist. Wenn eine Frau einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch hatte, dann hat sie in der Regel starke Blutungen. Das soll auch so sein, das Gewebe muss raus. Aber ihr dann eine Tagesreise zuzumuten, möglicherweise noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das kann keiner wollen. Mit den Schmerzen, die damit einhergehen können und Kindern, die zu Hause warten. Das ist so fernab der Realität. Auch nach einer Operation in Vollnarkose ist das nicht zuzumuten. Ich hoffe, dass sich bis 2030 etwas Grundlegendes geändert hat.

Wie sieht es bei Frauen ohne Deutschkenntnisse aus? Wie werden die aufgefangen?
Jane Jöns: Wir haben manchmal im Landesverband auch Beraterinnen und Berater, die die jeweilige Sprache sprechen. Die Möglichkeit der Beratung per Video oder Telefon, die in der Pandemie entstanden ist,  besteht ja noch. Wenn die Frau eine Freundin mit Deutschkenntnissen hat, kann diese zum Gespräch mitkommen. Für diese Frauen ist es besonders problematisch, wenn sie in Flensburg keine Möglichkeit haben, den Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Wenn sie in eine andere Stadt müssen, die sich nicht kennen und dann auch noch Sprachbarrieren haben.

Maren Schönfeld: Wir hatten eine Frau, die kein Deutsch sprach, sich mit Englisch durchgeschlagen hat, was aber auch nicht ihre Muttersprache war. Sie ist fast daran gescheitert, dass es gleichnamige Straßen im Umkreis gibt. Die Frau war dann leider am falschen Ort und es war schwer, in der knappen Zeit noch einen Ersatztermin zu bekommen.

Was sagen die Frauen nach den Gesprächen?
Maren Schönfeld: Unsere Beratung wird häufig als hilfreich befunden und als nicht so schlimm wie befürchtet, weil wir uns eben ganz doll bemühen, keine Position zu beziehen, sondern alle Optionen zu beleuchten und mit dem Grundsatz ranzugehen: Egal wie sich die Frau entscheidet, sie hat gute Gründe dafür. Die Frau ist Expertin für sich selbst und ihr eigenes Leben. Was wir mitkriegen, ist ein winziger Ausschnitt aus dem Leben dieser Frau, in einer Extremsituation. Es steht uns überhaupt nicht zu, darüber zu urteilen. Und ich denke, das spüren die Frauen, die sich Rat holen oder auch einfach nur die Bescheinigung. 

Mehr lesen

Ehrenamt

Flucht vor häuslicher Gewalt – die Freiwilligen im Frauenhaus Apenrade haben immer ein offenes Ohr

Apenrade/Aabenraa Damit ein Frauenhaus funktioniert und zu einem sicheren Ort wird, müssen viele verschiedene Leute zusammenarbeiten. Für die Einrichtung in Apenrade sind das nicht nur festangestellte Fachkräfte, sondern auch engagierte Freiwillige. Warum sie für das Apenrader Frauenhaus so wichtig sind und die Arbeit vor Ort nachhaltig unterstützen, erklären Hanne Frederiksen und Henriette Tvede Andersen.