Festakt

Ein Bundesland verneigt sich vor seinen Geburtshelfern

Ein Bundesland verneigt sich vor seinen Geburtshelfern

Ein Bundesland verneigt sich vor seinen Geburtshelfern

SHZ
Kiel
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Trotz Brexit Partner: Botschafterin Jill Gallard (rechts) und Landtagsvizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber im Landeshaus vor der Preisverleihung Foto: Michael Ruff/shz.de

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Der schleswig-holsteinische Demokratiepreis 2021 geht an Großbritannien – und das gibt das Geld zurück, um damit selbst ein Engagement auszuzeichnen

Das Datum für die Feier ist alles andere als zufällig ausgesucht: Auf den Tag genau vor 75 Jahren Jahren durften die Schleswig-Holsteiner zum ersten Mal nach dem Dritten Reich frei wählen. Gleichsam als Grundbaustein ihres politischen Neuanfangs bestimmten sie am 15. September 1946 die Zusammensetzung von Gemeindevertretungen und Ratsversammlungen. Die britische Besatzungsmacht hatte sich für diesen Schritt entschieden, um einem Volk der Nazianhänger und -mitläufer die Chance zum demokratischen Neuanfang zu geben. Und für eben dieses Vertrauen sagt Schleswig-Holstein ein Dreivierteljahrhundert danach Danke – mit der Verleihung des diesjährigen Demokratiepreis des Landes an das Vereinigte Königreich.

Regierungsbank kurzfristig britisch besetzt

Über dem Landeshaus in Kiel flattert ein ausladender Union Jack, als die britische Botschafterin in Deutschland, Jill Gallard, zum Festakt eintrifft. Große Blumengestecke in den ebenso britischen wie schleswig-holsteinischen Farben Blau-Weiß-Rot schmücken den Plenarsaal. Dort darf die zierliche „Exzellenz“ auf der Regierungsbank in der Reihe Platz nehmen, die sonst dem Ministerpräsidenten und seinen Stellvertretern vorbehalten ist. Niemand weist darauf hin. Aber wer möchte, kann darin doch einen spielerischen Verweis auf die Nachkriegszeit sehen, als Gallards Vorfahren hier die obersten Entscheider waren.


Nicht allein die ersten Kommunalwahlen, sondern noch mehr die ebenfalls vor 75 Jahren von den Briten verfügte Gründung eines demokratischen Bundeslandes Schleswig-Holstein soll der Demokratiepreis 2021 ehren. „Kaum ermessen“ ließen sich „die Verdienste der Briten, die durch diesen Preis gewürdigt werden“, sagt Landtagsvizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber (SPD). Obwohl eigentlich in „Feindesland“, habe die Militärregierung den Deutschen Vertrauen geschenkt, ihre Geschicke wieder selbst in die Hand zu nehmen.

So schnell war der Weg zur Selbstbestimmung

„Die Entwicklung ging viel rascher, als die Menschen es für möglich gehalten hatten.“ War der erste Landtag im Februar 1946 noch ernannt, konnte das Volk schon im April 1947 auch sein Parlament selbst wählen. Der Präsident des Sparkassen- und Giroverbands, Oliver Stolz, der den Preis mit auslobt, lenkt den Blick darauf, dass Demokratie nicht nur Politik bedeutet. „Ob in Schulen, Universitäten oder Vereinen – ohne Demokratie geht in Schleswig-Holstein praktisch nichts.“ Das gelte auch für die Aufsichtsgremien der Sparkassen.

Kein ähnlicher Dank aus anderen Ländern

Auf Journalisten-Nachfrage vor dem Festakt erklärt die Botschafterin: Wohl sei man mit den Ländern des Commonwealth im Austausch über das britische Demokratiemodell. Aber dass sich das Ausland mit einem Preis bei Großbritannien für Demokratie bedankt hätte – das sei einzigartig. Also offenbar auch nicht Niedersachsen, NRW oder Hamburg, die ebenfalls 1946 durch die Briten zu deutschen Ländern wurden.


Auch wenn es für ihre Vorfahren in einer Zeit blanker Not alles andere als einfach war: „Großbritannien ist stolz auf seine Rolle bei der Gründung dieses Bundeslandes“, betont Jill Gallard auf Deutsch. „Nun sind wir wieder Freunde und Partner.“ Die Diplomatin verweist auf „lebendige Städtepartnerschaften“ und auf fast 3000 Briten, die im nördlichsten Bundesland leben. Und auf den Klimaschutz, der eine gemeinsame Priorität darstelle.

Das Preisgeld verleiht die Botschafterin gleich weiter

Deshalb verbucht Gallard das Preisgeld von 2000 Euro auch nicht in der Staatskasse, sondern stiftet es für dieses von ihr genannte Anliegen. Und zwar zurück nach Schleswig-Holstein. Den Betrag erhalten zwei junge Männer aus Kiel. Profisegler Nik Aaron Willim und Asadullah Haqmal, Wirtschaftsingenieur-Student afghanischer Abstammung bekommen das Geld als Auszeichnung für ihren Öko-Thriller „Grüne Tiger“. Das Buch bringt dem Leser die Kehrseiten der Erderwärmung nahe. Die Empfänger hat die Botschaft aus mehreren Bewerbungen junger Schleswig-Holsteiner mit Projekten zum Klimawandel ausgewählt. Anlass ist der diesjährige Vorsitz Großbritanniens in der Weltklimakonferenz. Die 2000 Euro sollen in eine Veröffentlichung des Romans auch als Hörbuch fließen. Gallard ist es wichtig, gerade beim Thema des Tages auch Richtung Zukunft zu blicken: „Demokratie lebt von Engagement, ganz besonders auch junger Menschen“.

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