Wohnraum in Flensburg

Bürgerinitiativen: Notfalls nach drei Jahren Leerstand enteignen

Bürgerinitiativen: Notfalls nach drei Jahren Leerstand enteignen

Notfalls nach drei Jahren Leerstand enteignen

SHZ
Flensburg
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Die Flensburger Innenstadt ist dicht bebaut. Aber einige Gebäude stehen langfristig leer. Foto: Bernd Schütt/shz.de

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Statt weitere Grünflächen zu versiegeln, sollten leere Wohngebäude genutzt werden, fordern Bürgerinitiativen.

Die Bürgerinitiativen „Recht auf Stadt“ und „Bahnhofsviertel“ fordern die Stadt auf, konsequent klimagerecht zu handeln. Nach dem Bericht des Weltklimarats IPCC, in dem davor gewarnt wird, dass die Menschheit die Pariser Klimaziele verfehlen wird, fordern die Initiativen unter anderem, Leerstand zu nutzen, statt immer neue Flächen zu versiegeln. Ein Mittel: Die Möglichkeit zur Enteignung.

„Die Nutzung von leerstehendem Wohnraum muss Vorrang haben vor der Planung von Neubaugebieten: [...] Es braucht eine neue Satzung, die der Stadt ein Recht auf Enteignung gibt, wenn Wohnraum mehr als drei Jahre leer steht. Entsiegelung ist das Gebot der Stunde, nicht Bebauung von Grünflächen“, heißt es in einem offenen Brief der BI Bahnhofsviertel.

Leerstand als Grund für Wohnraummangel

Jonas Lage von der Bürgerinitiative „Recht auf Stadt“ nennt Leerstand als einen Grund für Wohnraummangel in Flensburg. Ein Teil davon, so sagt er, sei „spekulativer Leerstand“ – also beispielsweise Wohnraum, der so lange verfällt, bis der Eigentümer die Genehmigung zum Abriss bekomme.

Eine Enteignung wäre nur temporär, stellt Jonas Lage klar – und auch nur das letzte Mittel. Es gehe nicht darum, die Oma oder den Opa zu treffen, die vom Immobilienmarkt überfordert seien, und deshalb nicht vermieten oder sanieren. „Es geht um Leute, die es sich leisten können, eine Wohnung in der Stadt verfallen zu lassen“, sagt Lage. In diesen Fällen könnte die Stadt zunächst ein Ordnungsgeld verhängen und – wenn dies nicht wirkt – temporär enteignen. „Die Stadt kann dann eine Treuhänderin einsetzen, die das Gebäude auf Kosten des Eigentümers saniert“, so Lage. Anschließend erhält dieser die Liegenschaft zurück und kann sie dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stellen.

Diese Möglichkeit gibt es bereits in mehreren Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt, beispielsweise in Berlin, Hamburg, Stuttgart und München. Um dies auch für Flensburg möglich zu machen, müsste das Land Schleswig-Holstein zunächst ein Zweckentfremdungsverbot beschließen, wie es bereits in Bayern und Baden-Württemberg geschehen ist. „Es ist ein Trugschluss, wenn gesagt wird, dass wir neue Wohnungen brauchen, weil die Mieten zu hoch sind“, findet Lage. Die Nutzung von Leerstand würde den Neubau auf der Grünen Wiese hinfällig machen. „Es werden ökologische gegen soziale Interessen ausgespielt“, sagt Lage. „Das ist absurd.“

„Die Norderstraße ist schon verloren“

Doch auch wenn für die Forderung eine Entscheidung auf Landesebene vorausgesetzt wird, könne die Stadt auch jetzt schon auf kommunaler Ebene Entscheidungen treffen – beispielsweise bei der Regulierung von Ferienwohnungen.

„Irgendwann droht die Flensburger Innenstadt zu einer Fassade zu verkommen. Die Norderstraße ist schon verloren“, sagt Lage und warnt vor Zuständen wie auf Sylt. Möglich wären städtische Entscheidungen für einen Milieuschutz, der Wohnquartiere für die bisherigen Anwohner bewohnbar bleiben lässt. Auch die Genehmigungspflicht für Ferienwohnungen könne die Stadt in Bebauungsplänen beschließen, so Lage. „Was wir brauchen, ist eine intelligente Nutzung und Sicherung des Wohnraumbestands.“

Wirtschaftliche Optimierung vor Klima-Anpassung

Derzeit würde als Antwort auf Wohnraummangel der Stadt stets neu gebaut, moniert auch Dr. Helmreich Eberlein von der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel. „Diese Entwicklung bedeutet, dass immer mehr Grünflächen versiegelt werden, weil dort die Flensburger hinziehen, die in der Innenstadt keinen Wohnraum mehr finden“, so Eberlein. „Doch wir brauchen diese Grünflächen, um die Stadt zu kühlen.

Die Bürgerinitiativen werfen den Kommunalpolitikern vor, sich zu sehr auf Investoren und Wirtschaft auszurichten und dabei den Klimaschutz hinten anzustellen. „Antiquiert ist die Vorstellung, wirtschaftliche Optimierung könnte Vorrang vor der Klima-Anpassung haben. Angesichts der dramatischen Kosten der Klimakrise ist jede Wirtschaftlichkeit auf Kosten des Klimas eine Illusion“, heißt es im Offenen Brief der BI Bahnhofsviertel.

Ein konkreter Kritikpunkt bleibt für die Bürgerinitiative der Dauerkonflikt Bahnhofswald. Nach der spektakulären Räumung im Februar liegt das Gelände brach. Die Bürgerinitiative bleibt bei dem Ansinnen, dass ein Neubau nicht an diese Stelle gehört. Unter anderem, weil eine Gefahr besteht, dass der Hang bei Starkregen – aber auch bei Trockenheit ins Rutschen kommt. „Deshalb muss die alte Flensburger Regel wieder gelten: Die Flensburger Hänge sind für die Bebauung tabu!“, heißt es im Offenen Brief.

Günther Strempel von der BI Bahnhofsviertel fordert von der Politik mehr Entschlossenheit, die Klimaziele ernst zu nehmen. „Verschieben ist ein Verstoß gegen die Freiheitsrechte der jungen Generation, die durch die Verfassung geschützt sind“, schreibt er im Offenen Brief und ergänzt: „Wir leben am Beginn einer Katastrophe. Da braucht es radikale Forderungen.“

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