Berufskraftfahrer in SH

Brummifahrer verzweifelt gesucht: 2023 drohen uns leere Regale

Brummifahrer verzweifelt gesucht: 2023 drohen uns leere Regale

Brummifahrer gesucht: 2023 drohen uns leere Regale

SHZ
Kiel / Frankfurt
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Mehr Aufträge als Fahrer: Die Logistikbranche, hier Brummifahrer im Hamburger Hafen, hat riesengroße Nachwuchssorgen. Foto: Markus Scholz / SHZ

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Der Personalnotstand in der Transportbranche wächst dramatisch. Bundesweit gehen jedes Jahr 15.000 Berufskraftfahrer verloren.

Alarm in den Fahrerkabinen deutscher Transportunternehmen: Es herrscht Personalnotstand. Es gebe aktuell bereits mehr Aufträge als bemannte Fahrzeuge, berichtet Dirk Engelhardt, Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung shz.de. „Die Situation der frühen Corona-Phase könnte ganz schnell Alltag werden, wenn wir nicht gegensteuern“, sagt Engelhardt: Leere Regale bei Klopapier, Nudeln oder Toastbrot? „Ende 2022/Anfang 2023 kann das soweit sein.“

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In ganz Deutschland fehlten 60.000 bis 80.000 Fernfahrer, erklärt der Verbandschef. Und da jedes Jahr rund 30.000 Fahrer in Ruhestand ging und nur rund 15.000 Nachwuchskräfte kämen nach, werde das Problem immer dringender.

Auch die Industrie- und Handelskammern (IHK) in Schleswig-Holstein haben erkannt, in welche Situation die für das Land zentrale Branche schlittert. Bereits 2018 hatte die IHK die Fachkräftesituation bis zum Jahr 2035 hochrechnen lassen.


Ergebnis: Bis dahin dürften allein zwischen Nord- und Ostsee weit über 3000 Kraftfahrer fehlen – und 2000 weitere Mitarbeiter in den Lagern der Logistiker, berichtet der Flensburger IHK-Fachkräfteexperte Michael Schack: „Wenn Lkw stillstehen, weil kein Fahrer vorhanden ist, kostet das immenses Geld“, befürchtet er. Das Problem werde dadurch verstärkt, dass es immer weniger Schulabgänger gebe.

Allein den Arbeitsagenturen in Schleswig-Holstein sind aktuell 710 offene Stellen als Berufskraftfahrer gemeldet, 102 mehr als vor einem Jahr. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Zahl der arbeitslosen Fahrer um 209 auf 3456.

34.650 Berufskraftfahrer in Schleswig-Holstein

Was sich noch viel anhört, wird von Arbeitsmarktexperten relativiert: „Dafür gibt es einige Gründe: gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Zertifikate etwa für Gefahrenguttransporte, Alter oder fehlende Berufserfahrung“, erklärt Horst Schmitt von der Bundesagentur in Kiel. 2020 hat die Branche in Schleswig-Holstein bereits rund 200 weitere sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verloren. 34.650 Berufskraftfahrer zählt sie im Norden noch.


Bei manchem Gewerkschafter hält sich das Mitleid mit der Branche in Grenzen: „Die meisten Lkw-Fahrer auf deutschen Straßen sind Kollegen aus Osteuropa, die zu Hungerlöhnen arbeiten“, schimpft Thomas Ritter vom DGB-Nord. Tatsächlich ist das Lohnniveau des stressigen und zeitlich schwerplanbaren Berufs überschaubar. Branchenkenner sprechen von Bruttomonatsgehältern um 2300 Euro – in Deutschland selbst bei inländischen Arbeitgebern. Dazu kommen Imageprobleme.

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Verbandspräsident Engelhardt berichtet, dass die Branche längst versuche gegenzusteuern: Die Abwärtsspirale mit oft illegalen, auch osteuropäischen Beschäftigten, die gesetzeswidrig durchgehend in Deutschland eingesetzt würden anstatt wie erlaubt für maximal vier Transporte binnen sieben Tagen, müsse gestoppt werden: „Wir brauchen vernünftige Preise.“

An Deutschlands Autobahnen fehlten aber auch 40.000 Stellplätze für die Fahrer, die vielfach zwar mit eigenem Bett, aber ohne Toilette und Waschmöglichkeit auf dem Lastwagen unterwegs seien. Auch hofften die Betriebe, die minimale Frauenquote von zwei Prozent mit Änderungen der Sanitärsituation und bei den Fahrzeiten erhöhen zu können.


Neben den Gehältern und dem zunehmenden Imageproblem wiegt für die Fahrer ein dritter Umstand mindestens genauso schwer, berichtet Engelhardt: „Die Verkehre sind kaum planbar.“ Ein Fahrer aus Schleswig-Holstein wisse am Freitagabend manchmal nicht, ob er rechtzeitig durch den Elbtunnel kommt – oder das Wochenende auf einem der Hamburger Rasthöfe beginnt.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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