Energie in Schleswig-Holstein

Brokdorf: Wie sicher ist das Ende der Atomkraft an der Elbe?

Brokdorf: Wie sicher ist das Ende der Atomkraft an der Elbe?

Brokdorf: Wie sicher ist das Ende der Atomkraft an der Elbe?

SHZ
Brokdorf
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Jens Sander vom Wirtschaftsrat der CDU und Hauke Rathjen vom Kernkraftwerk Brokdorf. Foto: Carlo Jolly / SHZ

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Während Deutschland versucht, vom russischen Erdgas wegzukommen, werden jene Stimmen lauter, die das Ende der Atomenergie für keine gute Idee hielten. Eine Gruppe von ihnen traf sich jetzt im Kernkraftwerk Brokdorf

Es ist mittlerweile ebenso Geschichte wie der Kampf gegen seinen Bau mit den Großdemonstrationen am Elbdeich in den 70er und 80er Jahren. Das Atomkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe hat am 31. Dezember um 23.42 Uhr seine letzte Kilowattstunde Storm geliefert. 1793 Brennelemente für dreistellige Millionenbeträge mit jeweils hunderten Brennstäben sind seit 1986 abgeführt worden.


Abgeführt? Nicht abgebrannt? „Wir verbrennen hier nichts, wir machen nur Wasser heiß“, sagt Kraftwerkssprecher Hauke Rathjen. Er redet immer noch in der Gegenwartsform vom Kraftwerksbetrieb, das Imperfekt hat sich noch nicht durchgesetzt in Rathjens Sprachgebrauch. Immerhin 27 Prozent der Stromerzeugung in Schleswig-Holstein seien im letzten Brokdorf-Jahr 2021 in dem Werk produziert worden.

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Die Wahl der Worte und Informationen sowie ihre zeitliche Abfolge war immer besonders wichtig, seitdem über Atomenergie diskutiert wird. Und das ist in der alten Bundesrepublik so, seitdem die Politik in den 70er Jahren nach der ersten großen Ölkrise entschieden hatte, an Elbe, Rhein, Neckar & Co nach und nach Kernkraftwerke zu bauen. Vier davon stehen an der Unterelbe, Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel auf schleswig-holsteinischer Seite. Strom liefert keines von ihnen mehr, seit Brokdorf in der Silvesternacht vom Netz gegangen ist.

„Wer hätte noch vor drei Monaten auf Kernkraft gesetzt und gewettet?“, fragt Jens Sander vom Wirtschaftsrat der CDU an der Unterelbe. Auf seine Einladung hat ein Kreis von Interessierten jetzt im kaum mehr genutzten Info-Zentrum des Kernkraftwerks Brokdorf (KBR) über Sinn und Unsinn des Rückbaus diskutiert, für den 15 Jahre veranschlagt sind. Noch finden dafür fast 300 der einst 500 KBR-Beschäftigten Arbeit.


Putins Krieg in der Ukraine und Deutschlands Wunsch nach schneller Unabhängigkeit von Russlands Öl, Kohle und Erdgas hat die Fragen nach Europas Energiesicherheit neu aufploppen lassen. Bis Ende Dezember sind die drei letzten deutschen Atommeiler noch am Netz. Kann Deutschland sich leisten, diese zuverlässig Strom liefernde Grundlast abzuschalten, fragen die Diskutanten an diesem Abend im Kernkraftwerk. Und mehr noch: Könnte oder müsste ein Kraftwerk wie Brokdorf nicht vielleicht wieder angefahren werden?

Etwas zu beenden, bevor die Nachfolge-Lösung in Form von ausreichend Windkraftanlagen, Offshore-Parks oder Solaranlagen steht – das finden hier alle Diskutanten problematisch, unter denen auch Atomsachverständige sind wie der frühere Leiter des Brunsbütteler Kernkraftwerks, Knut Frisch. Aber wäre es überhaupt möglich, die Anlage im Rückbau wieder anzufahren?

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„Wir sind nicht im Rückbau, sondern im Nachbetrieb“, betont Rathjen. Der Rückbau soll erst Anfang 2023 beginnen. „Wir bereiten uns auf den Rückbau vor, den die Gesellschaft von uns erwartet.“ Rathjen nennt zwei große Problemfelder. Beide haben mit Verfügbarkeit zu tun: Brennstoff und Personal. An Brennstäbe sei nur langfristig zu kommen, und das Personal habe man in Teilen längst nach Hause geschickt.


Andererseits herrscht an diesem Abend im KBR die Auffassung vor, die ein Teilnehmer so in Worte fasst: „Um uns herum werden Kernkraftwerke gebaut, um unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“ Norwegen pumpe aber auch grünen Strom nach Dänemark – und Dänemark nach Deutschland. In kleiner Runde wird natürlich auch pointierter diskutiert. Das hört sich dann bei einem Teilnehmer so an: „Samstag und Sonntag verschenken wir den Strom nach Norwegen, und Montag kaufen wir ihn teuer ein.“


Der Kampf um die Kernenergie wird weiter mit Worten geführt. Und nicht jedes Argument, das gegen die Atomkraft vorgebracht wird, wollen die Kernenergieverfechter so stehen lassen. Eines heißt: Atomstrom verstopfe die Netze. Um möglichst flexibel erneuerbaren Strom einspeisen zu können, wenn der Wind bläst oder die Sonne scheint, sind in den vergangenen Jahren allerorten Gaskraftwerke gebaut worden, zum Beispiel bei den Kieler oder den Flensburger Stadtwerken, um Kohlekraftwerke zu ersetzen. Sie gelten als flexibel steuerbar.

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Leute wie Hauke Rathjen sehen auch das anders: „20 Megawatt in der Minute“ könne Brokdorf ab- oder zugeben von seiner maximalen Stromleistung vom 1440 Megawatt (MW). Das wären in einer halben Stunde bereits 600 MW. Seit den 80er Jahren hat Brokdorf genug Strom erzeugt, um eine Stadt wie Hamburg 30 Jahre mit Elektrizität zu versorgen.

Brokdorf taugte immer als besonderes Beispiel. Nirgendwo sonst wurde so erbittert gegen einen AKW-Standort gekämpft – und als der Meiler kurz vor Weihnachten 1986 ans Netz ging, als erstes Kernkraftwerk nach dem Super-Gau von Tschernobyl, hatte die Sorge vor der Kernenergie ihr großes Mahnmal in Osteuropa. Dennoch sollte es noch 25 Jahre dauern, bis der nächste GAU in Fukushima den Ausstieg forcierte.

Darf man Atomstrom grün einfärben?

Auf der Internet-Seite electricitymap.org lässt sich stundengenau verfolgen, von wo nach wo der Strom in Europa fließt – und wie „grün“ er ist. An diesem Sonntag fließt zum Beispiel viel Strom von Frankreich nach Deutschland. Frankreich ist komplett grün eingefärbt, Deutschland beige – weil die spezifischen CO2-Emissionen viermal so hoch angegeben sind wie in Frankreich, wo der Strommix noch besonders stark von der Atomkraft dominiert wird.

Aber darf man Atomstrom seriöserweise wirklich grün einfärben? Der Kampf um die Kernkraft mit Worten und Bildern wird weitergehen.


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