Vor 550 Jahren in Nordfriesland

1472: Nordfriesen im Aufstand gegen den dänischen König

1472: Nordfriesen im Aufstand gegen den dänischen König

1472: Nordfriesen im Aufstand gegen den dänischen König

SHZ
Husum
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Der dänische König Christian I. und seine Frau Dorothea von Brandenburg. Foto: Wikipedia

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Viele Bauern und Bürger mussten für ihre Rebellion im Jahr 1472 mit dem Leben büßen. Warum der gescheiterte Aufstand für die Geschichte Nordfrieslands von Bedeutung war, erklärt Prof. Dr. Thomas Steensen.

Es ging um Leben und Tod. Nordfriesische Bauern und Bürger erhoben sich gegen den dänischen König. Sie scheiterten. Viele wurden grausam hingerichtet. Die Auseinandersetzung erreichte 1472 ihren Höhepunkt, ihr Ursprung lag weiter zurück. Die Rebellion hatte erhebliche Folgen für die Entwicklung Nordfrieslands. Der Niebüller Geschichtsforscher Albert Panten hat das vor fünfeinhalb Jahrhunderten Geschehene genau nachgezeichnet.

Graf Christian von Oldenburg und Delmenhorst

Im Jahr 1448 gelangte Graf Christian von Oldenburg und Delmenhorst auf den dänischen Thron und begründete das noch heute bestehende Königshaus. 1460 wurde er, für die Zeitgenossen überraschend, auch Herzog von Schleswig und Graf von Holstein. Der mächtige holsteinische Adel, der auch im Herzogtum Schleswig viele Besitzungen erlangt hatte, wollte einen gemeinsamen Herrscher über beide Gebiete, um ein Auseinanderdriften zu verhindern. Die Erwerbung Schleswigs und Holsteins durch die Wahl in Ripen kostete den König allerdings Unsummen Geldes, ständig befand er sich finanziell in Nöten. Man nannte ihn die „bodenlose Tasche“.


Stets versuchte Christian, neue Einnahmen zu erzielen. In Nordfriesland veranlasste er mehrere Eindeichungen, bei Klixbüll etwa, in Eiderstedt, vor Hattstedt und auf Pellworm. Denn die fruchtbare Marsch versprach hohe Einnahmen für die königliche Kasse. Als er entgegen seiner 1460 gegebenen Zusage Extrasteuern erhob, war der Unmut groß. Vor allem der reiche Staller Laurens Leve, höchster Beamter auf Nordstrand, begehrte dagegen auf. Er wurde auf Schloss Gottorf gefangengesetzt. Aber nun sperrten die Nordstrander Bauern die Steuereinnehmer des Königs ein, und im Austausch kam Leve wieder frei.

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So herrschte unter den nordfriesischen Bauern Unzufriedenheit und Missstimmung. Diese nun wollte sich Christians Bruder Gerd, Graf von Oldenburg, zunutze machen. Ihm wurden die Beinamen „der Mutige“ und „der Streitbare“ gegeben. Zurückhaltung zeichnete ihn nicht aus. Seine Gegner sahen ihn als See- und Straßenräuber. Er fühlte sich zu Unrecht zurückgesetzt und wollte nun die Herrschaft über Schleswig und Holstein erlangen.

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Verbündete suchte er nicht zuletzt unter den Friesen. Albert Panten schildert seine Vorgehensweise in der „Geschichte Nordfrieslands“: „Er ritt von einem Kirchspiel zum andern und lud die Leute in den Krug, gab so viel Bier aus, wie sie trinken konnten, klagte und sagte, dass sie in Vorzeiten schwer besteuert worden wären, doch dies habe dem Lande nicht viel geholfen. Das sei Schuld der Adligen, die auf den Schlössern säßen.“ Ihnen müsse die Macht genommen werden, das Volk dürfe nicht weiter „ausbluten“.

Gerd unterliegt dem König

Gerd fand Unterstützung bei vielen Nordfriesen, die ihm 1470 sogar als neuem Herrscher huldigten. Doch der König gewann die Oberhand. Das Amt Tondern übergab er als Pfand an den Adligen Henning Pogwisch, der hier nun schalten und walten konnte, wie er wollte. Seine tyrannische Willkür inspirierte den Dichter Detlev von Liliencron vier Jahrhunderte später zu seiner Ballade um den fiktiven friesischen Freiheitshelden „Pidder Lüng“, der demnach den Amtmann in heißem Grünkohl erstickte. Das Poem wurde zu einem der bekanntesten Nordfriesland-Gedichte.

König Christian erhob 1471 eine neue Steuer. Die Unzufriedenheit war vielerorts groß. Graf Gerd sah eine neue Chance und gewann wiederum viele Anhänger. Unmut herrschte namentlich in dem aufstrebenden Ort Husum. Dessen Wohlstand zeigte sich damals etwa im Bau der prächtigen Marienkirche am Marktplatz. Der weitgespannte Husumer Handel war den Hansestädten Hamburg und Lübeck ein Dorn im Auge. Mit ihnen aber hatte der König Verträge geschlossen und erließ nun zu deren Vorteil Handels- und Kornausfuhrverbote, die Husum schwer trafen. Viele Bürger verbündeten sich deshalb mit Gerd. Unterstützung fand er auch bei den wohlhabenden Bauern der Insel Alt-Nordstrand, die sich in der Form eines großen Hufeisens in der Bucht vor Husum erstreckte und mit dessen Bürgern wirtschaftlich eng verbunden war.

Nun sah Graf Gerd seine Stunde gekommen. Mit 90 Bewaffneten landete er am 5. September 1472 in Husum, ließ Blockhäuser und Befestigungen errichten. Auch zog er vor das bischöfliche Schloss in Schwabstedt und belagerte es mit Hilfe von Bauern aus Stapelholm.

Rebellion scheitert

Aber er hatte sich vollständig verkalkuliert und die Rebellion dilettantisch vorbereitet. Vielleicht meinte er, dass sein königlicher Bruder durch Auseinandersetzungen mit Schweden abgelenkt sei. Aber nach zwei Wochen lag die viel größere Streitmacht des Königs vor Husum. Unterstützt wurde Christian durch die Hansestädte Lübeck und Hamburg. Gerd sah sich hoffnungslos unterlegen und entwich, ohne dass es zum Kampf gekommen wäre.

Seine Ansprüche musste er begraben und setzte seinen unsteten Lebenswandel andernorts fort. Auf der Rückkehr von einer Wallfahrt nach Santiago de Compostela soll er gestorben sein.

Husum musste schwer büßen. Der Ort verlor alle Privilegien und musste noch bis 1603 warten, ehe er zur Stadt erhoben wurde. Die Hansestadt Hamburg wollte sich lästiger Konkurrenz entledigen und forderte sogar, den Ort ganz abzubrennen. Das konnte vermieden werden, bald schon setzte sich Husums Aufstieg fort. Aber der Ort musste zur Strafe eine Sonderabgabe zahlen, „Rebellensteuer“ genannt, und zwar „auf ewige Zeiten“. Tatsächlich währte sie vier Jahrhunderte lang. Noch Theodor Storm hatte für sein Haus in der Wasserreihe 1,10 Mark jährlich als Sondersteuer zu entrichten.


Mindestens zwei Husumer verloren ihr Leben auf der Hinrichtungsstätte „Klingenberg“. Die „Rebellenköpfe“ aus Sandstein, die noch heute an dem hochragenden Giebel des Herrenhauses am Husumer Marktplatz zu sehen sind, sollen der Legende nach die der 1472 getöteten Aufständischen sein. Tatsächlich warfen diese Figuren wohl stellvertretend für die Landesherren ein wachsames Auge auf Markt und Straßen.

Nordfriesen müssen leiden

Auf Nordstrand wurde vielen Bauern unbarmherzig der Kopf abgeschlagen. In anderen Teilen Nordfrieslands mussten Aufständische eine „Halslösung“ bezahlen, eine Sühne, mit der man sein an sich verwirktes Leben loskaufen konnte. Aber nicht wenige der Aufrührer, so in der Karrharde, konnten sie nicht aufbringen und verloren Haus und Hof.

Der Aufstand war in sich zusammengefallen. Seine Bedeutung geht über die eines reinen Bruderzwistes weit hinaus. Der König konnte seine Macht stärken, wohl auch zu Lasten der Adligen. Wie die Geschichte Nordfrieslands ohne diese Rebellion weitergegangen wäre, kann niemand wissen. Aber manches spricht dafür, dass der Widerstand doch nicht ganz vergeblich war. Denn der Einfluss der Adligen blieb an der Westküste begrenzt. Das von ihnen im Osten Schleswig-Holsteins betriebene Feudalsystem mit Gutsherren und Leibeigenen breitete sich nicht nach Nordfriesland aus. Hier konnten die Bauern weiter auf eigenem Land frei wirtschaften.

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