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WM-Mut durch Wembley-Revanche: Flick verlangt Antworten

WM-Mut durch Wembley-Revanche: Flick verlangt Antworten

WM-Mut durch Wembley-Revanche: Flick verlangt Antworten

dpa
Leipzig
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Bundestrainer Hansi Flick konnte in Leipzig mit dem kompletten DFB-Kader trainieren. Foto: Robert Michael/dpa

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Die EM-Revanche soll zum WM-Mutmacher werden. Im Duell der Enttäuschten bei Nations-League-Absteiger England muss Hansi Flick die plötzlichen Zweifel am Nationalteam ganz rasch beseitigen.

Hansi Flick wollte alle WM-Zweifel am liebsten wegdribbeln. Vor der als Mutmacher für Katar dringend notwendigen Wiedergutmachung in Wembley lächelte und scherzte der Bundestrainer mit seinem Trainerteam.

Dann steckte Flick aber, noch bevor der erste Ball beim Abschlusstraining im Leipziger Stadion überhaupt rollte, mit Oliver Bierhoff die Köpfe zusammen. Natürlich hatte der Coach nach der Ungarn-Pleite auch mit dem DFB-Direktor vor dem Flug nach England noch viel zu bereden.

Besonders in Flicks Fokus: Der auch im Deutschland-Trikot bedenklich schwächelnde Sieglos-Block des FC Bayern. Flick weiß vor dem Duell am Montagabend (20.45 Uhr/RTL) gegen Nations-League-Absteiger England genau: Er braucht seine Münchner um Antreiber Joshua Kimmich und auch Zauberdribbler Jamal Musiala in Gewinnerform. Und zwar schnell. Beim ernüchternden 0:1 gegen Ungarn offenbarten besonders Ersatzkapitän Thomas Müller und Serge Gnabry unerklärliche Mängel.

Ein Sieg gegen die Krise muss her

Ein weiterer Dämpfer gegen die Three Lions und die erste Krise unter Flick als Bundestrainer wäre nicht mehr wegzureden. Und das sieben Wochen vor dem WM-Abflug. «Wir wollen Wiedergutmachung, zu unserem Spiel finden und natürlich Vertrauen sammeln», sagte Bierhoff. «Wir müssen mehr an uns glauben. Und da hilft so ein Spiel gegen Ungarn nicht. Da müssen wir schauen, dass wir gegen die Engländer bestehen und auch die Dinge umsetzen, die von den Trainern gefordert werden», lautete der klare Appell des DFB-Direktors.

Was da los war gegen Ungarn, konnte sich auch Kimmich nicht erklären. Einen Zusammenhang zwischen Bayern-Frust und DFB-Lethargie wollte der 27-Jährige nicht gelten lassen. «Generell sollte jeder mit einem gewissen Selbstvertrauen auf den Platz gehen. Unabhängig davon, ob wir davor ein Spiel verloren oder gewonnen haben. Bei mir ist es so, dass ich das letzte Spiel abhake und mit Selbstvertrauen auf den Platz gehe», sagte Kimmich. Selbstvertrauen, das war auch der von Bierhoff geradezu inflationär benutzte Begriff.

Flick lenkte den Fokus nach seiner Premieren-Niederlage, mit der die Chance auf den Gruppensieg in der Nations League verspielt wurde, aber auf sich. Der bekennende Wir-Trainer, dem sein «Staff» so sehr am Herzen liegt, schaltete in den Ich-Modus. «Ich will keine Ausreden suchen», sagte der 57-Jährige. «Ich bin natürlich schon enttäuscht, absolut, weil man nie gerne verliert.» Die Aufstellung habe nicht funktioniert. «Deswegen muss ich einen Teil des Ganzen auf meine Kappe nehmen», sagte Flick. Das Spiel habe ihm «die Augen geöffnet».

Blutleerer Auftritt gegen Ungarn

Das verbale Schutzschild, das Flick aufbaute, erfüllte einen Zweck. Der Negativ-Fokus soll sich nicht auf die Mannschaft richten, keine Übergröße entwickeln, die sich zu einem WM-Schatten aufplustert. Flick spürt, wie schnell sich die Fußball-Großwetterlage drehen kann. Acht Siege in Serie, 13 Spiele ungeschlagen. Die Statistiken seines als Verheißung registrierten ersten Jahres als DFB-Chefcoach sind plötzlich nichts mehr wert.

Jetzt heißt die Bilanz: Nur ein Sieg aus den vergangenen sechs Spielen, immer mindestens ein Gegentor kassiert und ein blutleerer Auftritt gegen beherzte Ungarn, die nicht einmal für das Turnier in Katar qualifiziert sind. Der fünfte WM-Titel kurz vor Weihnachten erscheint jetzt schon als großspuriges Ziel. Auch wenn Bierhoff trotzig an den Ambitionen festhält. «Das Ziel bleibt. Na klar, wird man nach diesem Spiel sagen, wie kann man das sagen. Aber wir fangen auch bei dem Turnier bei Null an», sagte der DFB-Direktor.

WM-Debakel von 2018 im Hinterkopf

Doch auch Bierhoff hat die Negativ-Dynamik, die zum WM-Debakel von Russland führte, nicht vergessen. «Wir haben es 2018 gesehen, sobald du dir eine Schwäche erlaubst bei einem Turnier, läufst du hinterher. Dann kommt die Psyche mit rein, dann wird es schwer. Insofern müssen wir gewappnet sein», mahnte er. In England geht es ja auch noch um die Revanche für das EM-Aus im Achtelfinale vor gut einem Jahr, dass das Ende der Ära von Joachim Löw als Bundestrainer besiegelte.

Flick kann auf selbstkritische Spieler zählen. «Wir haben definitiv sehr viel zu tun. Wir müssen mehr machen», sagte der nach seiner zweiten Gelben Karte im Wettbewerb gesperrte Antonio Rüdiger.

Bei aller Enttäuschung: Alles wird der Bundestrainer nicht über den Haufen werfen. «Die Zeit der Experimente ist vorbei», sagte er. Aktionismus ist sowieso nicht sein Ding. Für den gesperrten Rüdiger dürfte Nico Schlotterbeck in die Abwehrkette rücken. Jonas Hofmann wird nach dem Taktikfehler-Eingeständnis von Flick nicht mehr als rechter Außenverteidiger auflaufen. Thilo Kehrer steht bereit. Auf der linken Außenbahn sollte Robin Gosens nach einem Jahr wieder eine Bewährungschance für den Neu-Leipziger David Raum erhalten, der weit entfernt ist von Flicks erwartetem WM-Level.

Die spannende Frage ist: Wen degradiert Flick aus seinem von Bayern-Profis dominierten Offensiv-Quartett? Musiala und Chelsea-Angreifer Kai Havertz hätten es nach der Einwechslung gegen Ungarn gut gemacht, meinte der Bundestrainer. Rücken beide in die Startelf? Dann muss Flick knifflige Personalentscheidungen treffen. Thomas Müller? Leroy Sané? Serge Gnabry? Oder Leipzigs Timo Werner? Wer muss bei der WM-Generalprobe für Katar weichen?

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

England: Ramsdale (FC Arsenal/24 Jahre/3 Länderspiele) - Walker (Manchester City/32/69), Stones (Manchester City/28/59), Maguire (Manchester United/29/47) - Trippier (Newcastle United/32/37, Rice (West Ham United/23/33, Bellingham (Borussia Dortmund/19/16), Chilwell (FC Chelsea/25/17) - Mount (FC Chelsea/FC Chelsea/23/31) - Kane (Tottenham Hotspurt/29/74), Sterling (FC Chelsea/27/78)

Deutschland: ter Stegen (FC Barcelona/30/29) - Kehrer (West Ham United/26/21), Süle (Borussia Dortmund/27/41), Schlotterbeck (Borussia Dortmund/22/4), Gosens (Inter Mailand/28/13) - Kimmich (FC Bayern München/27/69), Gündogan (Manchester City/31/61) - Müller (FC Bayern München/33/117), Musiala (FC Bayern München/19/16), Sané (FC Bayern München/26/46) - Havertz (FC Chelsea/23/29)

Schiedsrichter: Danny Makkiele (Niederlande)

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