Leitartikel

„Herkunft zweiter Klasse“

Herkunft zweiter Klasse

Herkunft zweiter Klasse

Max Hey
Max Hey
Nordschleswig/Kopenhagen
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Statt von der „Ghetto-Liste“ und dem „Ghetto-Gesetz“ spricht die Regierung dieses Jahr von „Parallelgesellschaften“. Das ist besser, aber immer noch falsch, insbesondere wenn die damit einhergehenden Maßnahmen die gleichen bleiben, meint Max Hey.

Die dänische Regierung hat dazugelernt. Als das Wohnungs- und Innenministerium kürzlich die Liste der „gefährdetsten Wohngebiete“ veröffentlichte, sprach es nicht mehr von „Ghettos“ oder gar „harten Ghettos“, sondern von „Parallelgesellschaften“.

Dass die Regierung sich im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin in diesem Jahr also nicht mehr einen Begriff zu eigen macht, der bereits vor NS-Zeiten in Warschau mit der sogenannten Rassentrennung assoziiert wurde, um Viertel zu bezeichnen, die südlich der Grenze als „ökonomisch schwach“ oder höchstens „soziale Brennpunkte“ einzustufen wären, zeugt von sprachlicher Wissensbereicherung.

Es kann allerdings auch angezweifelt werden, dass es sich bei diesen Wohngegenden um „Parallelgesellschaften“ handelt, wenn der Staat etwa sagt, dass auf Nørager in Sonderburg (Sønderborg) 71 Prozent der 30 bis 59-jährigen Bewohnerinnen und Bewohner nur über eine Grundschulbildung verfügen, gleichzeitig aber bei vielen von ihnen den Bildungsabschluss nicht anerkennt, weil dieser nicht aus Dänemark, Deutschland oder den USA stammt.

Mehr als fragwürdig bleibt es auch nach wie vor, von Bewohnerinnen und Bewohnern „nicht westlicher Herkunft“ zu sprechen, dessen Anteil die Regierung bis 2030 von 50 Prozent auf sogar höchstens 30 Prozent in diesen „Parallelgesellschaften“ reduzieren will, was zu Recht Menschenrechtler weltweit auf den Plan ruft. Denn eine „nicht westliche Herkunft“ haben nicht nur der ach so terrorverdächtige Syrer, der kriegsbedingt nach Europa geflüchtet ist sowie „seine Nachkommen“, sondern auch Schauspielstar Dar Salim und laut DNS-Forschung selbst die Wikinger. Wer auch immer dem Staat zufolge zu den etwa 5 Prozent „Nicht-Westlern“ in Dänemark zählt, wird seine Herkunft zweiter Klasse nicht verlieren, wenn er aus Kopenhagens „Parallelgesellschaft“ Tingbjerg in den Nobelvorort Charlottenlund zieht – auch nicht dank Zwangs-Kita und Schulpflicht.

Zwar ist es richtig, sozialen Faktoren wie niedrigen Durchschnittseinkommen, hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität entgegenzuwirken, doch das Abreißen von Sozialwohnungen und Zwangsumsiedlungen, wie in Gellerup in Aarhus oder auf Nørager, fördert die Inklusion oder das Heimatgefühl von Menschen ohne Arbeit und großen Dänisch-Wortschatz nicht.

 

Stattdessen ist es ein effektives Mittel, um diese Viertel durch Neubauten und mehr dänische Nachnamen auf den Klingelschildern ökonomisch aufzuwerten. Und vielleicht ist genau das das eigentliche und auch einzige Ziel des „Wohnungs- und Innenministeriums“, wenn es binnen zehn Jahren mindestens 35 Prozent der „nicht westlichen“ Bewohnerinnen und Bewohner auf Nørager sowie 40 Prozent der dortigen Wohnungen weghaben will.

Überhaupt scheint die Anzahl von Menschen „nicht westlicher Herkunft“ den Staat in seiner Entscheidungsfindung zu leiten und nicht deren Integration. Dies legt neben der geplanten Verschärfung des „Ghetto-Gesetzes“ auch die Einstufung von Teilen Syriens als sicher nahe, wodurch auch den „Nachkommen“ von Menschen „nicht westlicher Herkunft“, die teilweise bestens integriert sind, mitten in ihrer Abiturprüfung plötzlich droht, abgeschoben zu werden – von einer Regierung, die keine diplomatischen Beziehungen in dieses doch so sichere Land pflegt.

Also kein Grund zur Sorge, liebe „syrische“ Mitmenschen. Wenn ihr nicht umsiedeln wollt, weil ihr euch in eurem Viertel wohlfühlt und schon jahrelang dort lebt, könnt ihr ja auch einfach wieder zurück in eurer ach so friedliches „Herkunftsland“, auch wenn ihr vielleicht nur Dänisch und Englisch sprecht. Im „Kampf gegen die Parallelgesellschaften“ helfen euch Mette & Co. sicherlich gerne beim Umzug, denn die dänische Regierung hat (rechts) dazugelernt.

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