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Munitionsmassen im Meer: Minister fordert rasches Handeln

Munitionsmassen im Meer: Minister fordert rasches Handeln

Munitionsmassen im Meer: Minister fordert rasches Handeln

dpa
Heidkate (dpa/lno) -
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Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht steht an Bord eines Forschungsschiffes. Foto: Frank Molter/dpa

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Das gefährliche Zeug liegt am Meeresboden, auch nahe von Stränden: Weltkriegsmunition. Sie rostet vor sich hin und kann giftige Stoffe freisetzen. Bei einem Ortstermin bekräftigt der Kieler Minister Albrecht die Notwendigkeit der Entsorgung. Er nennt auch ein Datum.

Nach und nach gleiten vier Taucher an diesem grauen Herbsttag ins Meer. Sie suchen vor der Ostseeküste östlich von Laboe keine Schätze, sondern haben böse Kriegshinterlassenschaften im Visier. Im Versenkungsgebiet Kolberger Heide liegt Munition, die Menschen und Umwelt gefährlich werden kann. Am nahen Strand erholen sich im Sommer Familien mit kleinen Kindern.

Die Munition rostet zunehmend und setzt Substanzen frei, die sich im Wasser sammeln und schon in Pflanzen und Tieren nachgewiesen wurden. Der auf baldigen Bergungsbeginn drängende Kieler Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) macht sich am Montag von Bord des Gewässerüberwachungsschiffs «Haithabu» ein Bild, ein paar Journalisten können dabei sein.

In der deutschen Nord- und Ostsee liegen etwa 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Munition, dazu 5000 Tonnen chemische aus beiden Weltkriegen. Die Entsorgung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Deutschland, betont Albrecht. «Wir haben eine ganz dringende Notwendigkeit einzusteigen in die Entsorgung», sagt der Grüne und nennt erstmals ein mögliches Startjahr.

Demnach könnte die Entsorgung frühestens 2024 beginnen. «Was wir jetzt brauchen, ist eine Entscheidung von Bund und Ländern, eine Pilotanlage zur Entsorgung von Altlasten, Munitionsaltlasten, zu finanzieren.» Die Munition werde zunehmend zur Gefahr für das Ökosystem Meer und damit auch für die Nahrungskette der Menschen.

Die Pilotanlage soll wichtige Erkenntnisse liefern, wie die Munition Stück für Stück aus Nord- und Ostsee herausgeholt werden kann. Es gehe jetzt darum, die von den Küsten-Bundesländern in den letzten zehn Jahren gewonnenen Erkenntnisse in Handeln münden zu lassen, sagt Albrecht. Diese Mammutaufgabe könnten die Bundesländer nicht alleine stemmen. Hier gehe es um viel Geld, da müsse der Bund helfen, um diese gesamtdeutsche Altlast anzugehen. Erkenntnisse seien gewonnen, Vorarbeiten geleistet. Insgesamt sollen in deutschen, dänischen, schwedischen, norwegischen und lettischen Gewässern 320.000 Tonnen Kriegsmunition liegen.

Das Problem wurde angesichts seiner Ausmaße lange ausgesessen. Die Landesregierung in Kiel hat wiederholt versucht, den Bund zu bewegen, hinreichend Geld lockerzumachen. Allein für den Start in eine industrielle Bergung der Munition werden Albrecht zufolge etwa 100 Millionen Euro gebraucht. Damit könnte eine Bergungs- und Entsorgungsplattform gebaut werden. Es kommen enorme Betriebskosten hinzu. Die Meere von den Kriegslasten zu befreien, wird viele Jahrzehnte dauern. Experten haben schon das Jahr 2100 als Ziel ausgegeben.

Mit einer mobilen Entsorgungsanlage für Munitionsaltlasten würde Deutschland Neuland betreten. Sie soll auch nicht nur in Schleswig-Holstein eingesetzt werden können, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern, in Niedersachsen oder weiter draußen in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Der Kieler Minister sieht hier die künftige Bundesregierung in der Pflicht, in Gesprächen mit den Ländern eine faire Lastenteilung hinzubekommen.

Die Dringlichkeit eines Einstiegs in die Entsorgung offenbart auch die Tatsache, dass auf dem Meeresgrund schon fast vollständig durchgerostete Munitionshüllen entdeckt wurden. Der Sprengstoff tritt Expertenangaben zufolge dadurch aus aus und wird im Sediment, im Wasser und auch in Lebewesen nachgewiesen. Die Hotspots liegen laut Kieler Umweltministerium in den bekannten Versenkungsgebieten. Die fortschreitende Korrosion erschwert es auch, die Munitionskörper genau auszumachen und später zu bergen. Dies könnte ein weiterer Kostentreiber werden. Folglich wäre es nicht nur für die Meeresumwelt sinnvoll, die Munition bald zu bergen, sondern auch aus Kostengründen.

Dabei gilt aufgrund der natürlichen Gegebenheiten eine Bergung aus der Ostsee als einfacher im Vergleich zur Nordsee. Eine geringere Strömung, die fehlende Tide und geringere Wassertiefen sind da wichtige Faktoren. Zudem ist das Wissen über die Versenkungsgebiete der Ostsee größer. Folglich könnte die Bergung in der Kolberger Heide oder in der Lübecker Bucht starten.

Die technischen Kapazitäten zur Entsorgung wird die Wirtschaft liefern müssen. Das Kieler Umweltministerium geht davon aus, dass in Schleswig-Holstein Werftkapazitäten für den Bau einer Entsorgungsplattform vorhanden sind. Darüber hinaus wird absehbar zusätzliches Personal in Behörden oder auch in einer möglichen Koordinierungsstelle erforderlich - wohl ein weiteres Gesprächsthema von Bund und Ländern.

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