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Grüne wollen Umweltministerium mit Vetorecht

Grüne wollen Umweltministerium mit Vetorecht

Grüne wollen Umweltministerium mit Vetorecht

dpa
Biesenthal
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Annalena Baerbock und Robert Habeck stellen das «Klimaschutz-Sofortprogramm» ihrer Partei vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

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In einer Landschaft, die die letzte Eiszeit geformt hat, erklärt die Grünen-Spitze, was sie im Kampf gegen die Erderwärmung als Erstes vor hat.

Mücken schwirren, Ameisen krabbeln geschäftig durchs Gras, irgendwo kreischt ein Greifvogel.

Ein viel grüneres Ambiente als das Naturschutzgebiet «Biesenthaler Becken» bei Berlin mit seinen feuchten Wiesen und Wäldern hätten Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihr Co-Parteichef Robert Habeck kaum finden können zur Vorstellung ihres «Klimaschutz-Sofortprogramms». Zentraler Punkt: Ein Umweltministerium mit Vetorecht bei Gesetzesvorhaben, die nicht konform mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 sind.

Umwelt versus Wirtschaft?

Umweltministerinnen und -minister sind traditionell nicht gerade Schwergewichte am Kabinettstisch. So dürfe das nicht weitergehen, sagt Baerbock. «Es gibt ein Umweltministerium, das ist für alles Gute zuständig. Und dann gibt es ein Wirtschaftsministerium, was die ganzen Jahre immer nur «nein» sagt, weil es unionsgeführt ist.»

Die Zeit dränge beim Klimaschutz, mahnen die Grünen und werben mit der «historischen Chance», im nächsten Jahrzehnt «klimagerechten Wohlstand» für künftige Generationen zu schaffen.

Die 1,5-Grad-Hürde

«Wir stehen vor einer Weichenstellung, um überhaupt noch auf den 1,5-Grad-Pfad kommen zu können», mahnt Baerbock. Eine Regierungsbeteiligung, ohne dass man überprüfbar mit Maßnahmen auf diesem Weg sei, mache keinen Sinn, sagt Habeck. Nach dem Pariser Klimaabkommen soll die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad begrenzt und alles daran gesetzt werden, den Temperaturanstieg bereits bei 1,5 Grad zu stoppen.

Den Ausbau vor allem der Windkraft an Land hemmen aus Sicht der Energiebranche lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, zu wenig ausgewiesene Flächen und viele Klagen. Ein ungelöster Konflikt ist bisher der zwischen dem Windkraftausbau und dem Artenschutz. Habeck sagte, der Ausbau könne im Einklang mit dem Artenschutz gelingen, die Grünen hätten dies mit Umweltverbänden «vorbesprochen».

Kernthema Klimaschutz

Nach dem holprigen Start in den Wahlkampf mit Debatten etwa um Baerbocks Lebenslauf versuchen die Grünen nun, ihr Kernthema Klimaschutz als wahlentscheidendes Thema in den Vordergrund zu rücken.

Motto: Volle Kraft für den Klimaschutz - und nicht wieder Jahre verplempern wie die amtierende Regierung aus CDU, CSU und SPD. Zwar seien Klimaziele angehoben worden, sagt Habeck - es fehlten aber konkrete Schritte. In seinen Worten: «Ziele allerdings ohne Maßnahmen sind brotlose Kunst.»

Ähnliche Wortmeldungen kommen von Umweltverbänden. Die Geschäftsführerin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Antje von Broock, begrüßt die Vorschläge für «konkrete inhaltliche Schritte».

Lisa Göldner von Greenpeace unterstreicht: «Akute Risiken wie die Klimakrise lassen sich nur mit schnellen Reaktionen mindern» - weshalb die Vorschläge eine gute Sache seien. «Aber das Programm der Grünen weist Lücken auf. Um den Temperaturanstieg tatsächlich auf 1,5 Grad zu begrenzen, dürfen schon ab 2025 keine weiteren Verbrenner mehr zugelassen werden.»

Mehr neue Windräder, mehr Solarenergie

In ihrem «Sofortprogramm» setzen sich die Grünen für eine schnelle Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ein - mit deutlich höheren Ausbauzielen. So wollen sie bei Wind an Land den Ausbau auf sechs Gigawatt pro Jahr erhöhen, um ihn «im Weiteren gegenüber dem heutigen Stand zu verdreifachen».

Das bedeutet: deutlich mehr neue Windräder. Zum Vergleich: Nach zwei schwachen Ausbaujahren 2019 und 2020 rechnen Branchenverbände in diesem Jahr mit einem Ausbau der installierten Leistung von 2,2 bis 2,4 Gigawatt. Insgesamt gibt es in Deutschland derzeit rund 29.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 55 Gigawatt.

Auch bei der Solarenergie wollen die Grünen eine «Ausbauoffensive». Im «Sofortprogramm» heißt es, auf den Dächern solle Solar zum Standard werden beim Neubau, bei öffentlichen Gebäuden und Gewerbegebäuden sowie bei umfangreichen Sanierungen: «Eine solche Solarpflicht verankern wir im Gebäudeenergiegesetz.» Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) etwa lehnt eine Solarpflicht ab. Er warnte vor kurzem vor zusätzlichen Kosten für private Häuslebauer.

«Veränderungen» und «Zumutungen»

Habeck sagt mit Blick auf das Ziel der Klimaneutralität 2045, die Transformationsphase der nächsten 20 Jahre sei eine Phase von «Veränderungen» und eine Phase von «Zumutungen». Zugleich betonte er aber die Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichs.

FDP-Chef Christian Linder merkt an: «In der Not ihres Wahlkampfs ziehen die Grünen für ihre Kernklientel alle Register der Verbotsorgel.» Sein Parteikollege und Klimapolitiker Lukas Köhler spricht von einem «wilden Durcheinander an kleinteiligen Einzelmaßnahmen» und will stattdessen auf den Emissionshandel setzen.

Baerbock weiß um dieses gern bemühte Image der Grünen als Verbotspartei und betont auffällig die Rolle der Industrie, die längst auf dem Weg sei. Ein weiteres Abwarten beim Klimaschutz gefährde den Standort Deutschland. Die Botschaft: Mehr Klimaschutz erhält Arbeitsplätze und schafft neue Jobs.

Ganz ohne Verbote aber soll es auch nicht gehen. Baerbock führt aus, es brauche beim Klimaschutz einen Dreiklang aus Ordnungsrecht, einem klaren CO2-Preis und Förderpolitik. Ordnungsrecht aber bedeutet: Klare gesetzliche Vorgaben. So bekräftigt Habeck, das Ende des Verbrennungsmotors müsse kommen, 2030 sei «gesetzt». Und den Kohleausstieg wollen die Grünen auf das gleiche Jahr 2030 vorziehen - auch wenn Habeck meint, entscheidend sei, möglichst schnell viele Kraftwerke abzuschalten, und nicht, wann das letzte Kraftwerk vom Netz gehe. Das Ziel bisher ist ein Kohleausstieg bis spätestens 2038.

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