Leitartikel

„Trumps Schatz“

Trumps Schatz

Trumps Schatz

Washington/Kopenhagen
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Was hat Donald Trump mit den Erzählungen des britischen Autors J. R. R. Tolkien zu tun? So einiges, meint Walter Turnowsky.

Wer die Romantrilogie „Herr der Ringe“ kennt, kennt auch die Figur Gollum. Jenes Wesen, das einst Mensch war, „mein Schatzzzz“ (my precious) zischelt und damit den Ring meint. Er kann den Ring nicht loslassen und behauptet, er sei ihm gestohlen worden. Um ihn wiederzuerlangen, lügt und betrügt er, ist zu jeder Schandtat bereit.

Seit der Wahlniederlage im November benimmt sich Donald Trump ähnlich. Der Wahlsieg sei ihm gestohlen worden, behauptet er stur. Es scheint so, dass er seinen Lügen selbst fast Glauben schenkt. So stark ist die Anziehung der Macht. Wobei die Lügen und Übertreibungen, vor allem auf Twitter, seine gesamte Amtszeit geprägt haben.

Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Gollum und Trump. Gollum war ein vereinsamtes Wesen. Trumps Lügen haben sich, einem Virus gleich, verbreitet. In den sozialen Medien, aber auch in etablierten rechten Medien, wurde die Mär vom gestohlenen Wahlsieg beharrlich wiederholt. Eine große Anzahl von Menschen hat ihr Glauben geschenkt.

Ein Ergebnis davon war der Sturm auf das Capitol. Angespornt von Trump und den rechten Medien, hat der Mob das Herz der amerikanischen Demokratie angegriffen. Wobei der Ausdruck „Mob“ eigentlich ungenau ist, denn wie sich mittlerweile herausgestellt hat, war die Aktion geplant gewesen. Einen bewaffneten Angriff auf die Institutionen des Staates nennt man üblicherweise Terrorismus.

Nun muss die Einsetzung des neuen Präsidenten Joe Biden und der Vizepräsidentin Kamala Harris in einem von Soldaten abgeriegelten Washington stattfinden. Das ist das Erbe, das Trump hinterlässt: Ein zerrissenes Land, in dem eine bedeutende Minderheit eine alternative Ausgabe der Wirklichkeit abonniert. 

Und hier liegt vielleicht das eigentliche Problem: Denn wo kein grundsätzlicher Konsens mehr darüber existiert, was wahr ist und was nicht, da kann keine sinnvolle demokratische Auseinandersetzung mehr stattfinden. Wenn keine Einigkeit mehr über die grundsätzlichen Werte herrscht, dann wird das demokratische (Streit-)Gespräch durch gegenseitige Anschuldigungen und Verdächtigungen ersetzt.

Dieses zu überwinden, wird eine monumentale Aufgabe für Biden und Harris. Ob sie überhaupt gelingen kann, ist eine große Frage.

Nun ist es vielleicht ein wenig billig, von Europa aus Trump mit Gollum zu vergleichen. Denn letztlich verstehen wir wohl nur teilweise die Dynamik der amerikanischen Politik. Und eigentlich ist das ein Segen, denn es bedeutet, dass gerade in Dänemark ein Grundkonsens tief verankert ist. Das gegenseitige Vertrauen unter den Bürgern und zwischen Bürger und Staat ist hoch. Konspirationstheorien bleiben auf kleine Randgruppen begrenzt. 

Bereits südlich der Grenze sieht das ein wenig anders aus. Das gegenseitige Vertrauen ist geringer. Das ändert nichts daran, dass auch in Deutschland die breite Mehrheit ganz selbstverständlich hinter den Grundfesten der Bundesrepublik steht.

Doch vor allem in Polen und Ungarn hat sich gezeigt, dass auch in Europa Politiker vom Schlage Trumps Fuß fassen können. 

In Dänemark sollten wir jedoch nicht vergessen, dass nicht nur Gollum der Verlockung des Rings erlegen ist. Selbst der absolut nicht machtversessene Hobbit Frodo konnte am Ende den Ring nicht loslassen. Wäre da nicht sein treuer Freund Sam gewesen, Tolkiens Erzählung wäre böse ausgegangen.

Wenn wir uns umsehen, können wir wohl auch unter dänischen Politikern Beispiele finden, die die Macht nur sehr schwer wieder abgeben können. Auch Politiker, die bereits, während sie an der Macht sind, ausstrahlen, dass ihnen das ein wenig zu gut gefällt. Die Moral von Tolkiens Werk ist, dass keiner vor dem Lockruf des Ringes sicher ist.

Einen Impfstoff dagegen gibt es nicht. Doch kann die Versuchung durch eine kritische Öffentlichkeit begrenzt werden. Eine Öffentlichkeit, die genau beobachtet, ob Regierungen, ganz gleich wie gut die Absichten sind, sich innerhalb des Rahmens des Gesetzes bewegen. Eine Öffentlichkeit, die darauf pocht, dass gewisse Grundsätze eben das sind: grundsätzlich.

Oder wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (in deutscher Originalübersetzung) heißt: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht (self-evident), daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ 

Das ist der eigentliche Schatz, den es zu schützen gilt. Und hier sind wir alle gefragt, denn die zwei kleinen Hobits wohnen im Reich der Fantasie.  

Der Name von Bilbo ist 21.1. 14.30 Uhr korrigiert worden

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