Deutsche Minderheit

„Wir müssen gut sein – und dürfen dann auch etwas verlangen“

„Wir müssen gut sein – und dürfen dann auch etwas verlangen“

„Wir müssen gut sein – und dürfen dann auch etwas verlangen“

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Generalsekretär Uwe Jessen Foto: Karin Riggelsen

Uwe Jessen blickt im Interview mit dem Nordschleswiger auf zehn Jahre als BDN-Generalsekretär zurück – und nach vorne.

Zur Person: Uwe Jessen

Uwe Jessen wurde am 11. November 1971 in Lügumkloster geboren. Er ist seit dem 1. Dezember 2008  Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger.

Nach dem  Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig in Apenrade erwarb er 1999 den Titel als Diplom-Betriebswirt (cand. oecon.) an der Uni Aarhus. 1998 bis 2001 war Jessen Direktionsassistent  bei Sønderjyllands ErhvervsCenter und Leiter des EXPO 2000-Projektes „Kulturen, Sprachen, Minderheiten“.

Von 2001 bis 2004 war er in verschiedenen leitenden Positionen bei der Kommune Rödding beschäftigt und ab 2006 Projektleiter von sprogfocus.dk, einem Projekt von VUC Sønderjylland. Nebenberuflich war er von 2000 bis 2005 EU-Berater der FUEN. 2005 wurde er als erster Vertreter der Schleswigschen Partei nach dem Sondervertretungsrecht für die deutsche Minderheit in Dänemark als Stadtratsmitglied ohne Stimmrecht in den Kommunalrat der neuen Großkommune Hadersleben gewählt.   2017 trat er nicht mehr an.

Uwe Jessen lebt mit Ehefrau Hanne, Tochter Christina, Sohn Andreas, Hund und Meerschweinchen in einer über Jahre liebevoll restaurierten Patriziervilla in Hadersleben. In seiner Freizeit geht er auf die Jagd – auch mit Hinrich Jürgensen und/oder den beiden Kindern – und fährt Rennrad.

Seit genau zehn Jahren ist Uwe Jessen Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger, der Dachorganisation der deutschen Minderheit in Dänemark. Im Haus Nordschleswig in Apenrade hat er eines der größeren Büros – und den Platz braucht er auch. Denn so gut wie jeder wichtige Besuch bei der Minderheit wird hier mit Kaffee – und wenn es irgend geht auch mit Smørrebrød und einem netten nordschleswigschen Schnack  – versorgt. Ob kleine oder große Delegationen aus Kiel, Berlin oder Kopenhagen – an Jessens Tisch ist Platz für alle. Und das hat Methode, verrät der 47-Jährige schmunzelnd:„Es ist doch ganz bewusst so, dass wir die Leute für halb zwölf einladen und nicht für 9.30 Uhr – weil du dann eben auch Hygge kriegst – und auch über etwas anderes reden kannst als nur den eigentlichen Tagesordnungspunkt.“

Unser Tagesordnungspunkt bist heute du – vor genau zehn Jahren wurdest du zum Nachfolger von Peter Iver Johannsen bestimmt. Wie bist du damals eigentlich auf die Idee gekommen, Generalsekretär des BDN zu werden?

(lacht) Auf die Idee? Ich habe das eigentlich immer gerne gewollt. Es ist natürlich Quatsch, zu erzählen, dass ich schon als Kind Generalsekretär werden wollte, das ist jetzt Blödsinn. Aber es war passend mit meinem Studium als Ökonom. Und wir sind ja bewusst nach Nordschleswig zurückgekommen. Wir sahen so viele in unserem Bekanntenkreis, die das nicht taten. Der eine bekam einen Job in Frederiksværk, der andere in Nørresundby, und da dachten wir, das wollen wir nicht. Wir wollten zurück. Und 1997 taten wir das, erst mal zur Miete, um zu sehen, ob es hier Arbeit für uns gibt. Dann habe ich, schon minderheitenbezogen, das Projekt Kultur, Sprachen, Minderheiten als eines der dezentralen Projekte der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover gemacht als Projektleiter.

Wie kam es dazu?

Peter Iver schickte mich zu einer Konferenz an der Højskolen Østersøen, und er hatte wohl nicht genau gelesen, welche Altersgruppe es war. Alle anderen waren Abiturienten und ich war gerade mit dem Ökonomiestudium fertig. Das Thema war damals noch der ECU (Vorgängerbezeichnung des Euro, Red.). Einer der Vortragshalter war Peter Asmussen und nach der ersten Kaffeepause hatte ich dann den Job als Projektleiter. Das war meine erste berufliche Berührung mit der Minderheit, bis 2001. (...) Na ja, irgendwann wurde mehr und mehr darüber geredet, dass Peter Iver irgendwann aufhören würde, und dann habe ich mich dafür interessiert und natürlich mit Leuten darüber geredet, was das beinhaltet, und dann habe ich mich beworben.

Und die Stelle bekommen. Als „richtiger“ Nordschleswiger. Das kann man so sagen, oder?

Ja. Also die Familie meiner Mutter hat schon immer in und um Lügumkloster gelebt. Meine Mutter war Leiterin des deutschen Kindergartens in Lügumkloster, ist jetzt in Rente. Schon ihr Vater hat früher am Donnerstag seinen besten Freund in seinen VW-Käfer gepackt und dann fuhren sie nach Sankelmark und Sonntagabend kamen sie wieder zurück. Also das kenne ich schon von früher. Und mein Vater ist zwar in Ratzeburg in Deutschland geboren, aber meine Großmutter ist aus Kappeln und mein Großvater aus Lautrup bei Tingleff. Und deshalb habe ich ja, im Gegensatz zu den meisten Ur-Nordschleswigern, die deutsche Staatsbürgerschaft, weil Opa die Möglichkeit des Optierens nutzte.
 

Uwe Jessen in seinem Büro Foto: Karin Riggelsen

Was bedeutet das genau?

Das bedeutet, als alle 1920 die neue Staatsbürgerschaft bekamen, ging er in Uk aufs Amt und sagte: „Ich bleibe Deutscher." Er war zu der Zeit zu Studienzwecken in Leipzig. Er war dann Pastor in Oeversee, in Ratzeburg, wo mein Vater geboren ist, und nach dem Krieg war er dann, zusammen mit Nis-Edwins (List-Petersen, ehem. Büchereidirektor, Red.) Vater der erste Pastor in Nordschleswig. Mein Vater (...) wurde vom altehrwürdigen Harro Marquardsen, der auch Schulvorsitzender in Lügumkloster war, als Junglehrer angestellt. Da traf er meine Mutter – und wurde Lehrer und später auch Schulleiter in Lügumkloster. Ich habe meine Eltern also die ganze Zeit dabeigehabt. Erst im Kindergarten und dann bis zur 7. Klasse in der Schule.

Und nun bist du seit zehn Jahren Generalsekretär beim Bund Deutscher Nordschleswiger. Es liegt dir, Verantwortung zu übernehmen, oder?

Ja. Ich habe auch immer als Erster in der Klasse die Hand gehoben, wenn es hieß „Wer kann Kuchen mitbringen?“, „wer macht ...?“. Ich will gerne dabei sein, wo Entscheidungen getroffen werden. Deswegen gefällt mir der Job auch gut. Man könnte manchmal meinen, das sei alles zu viel, aber die Alternative wäre auch nichts. Zeitlich ist es aber schon gut, dass ich nicht wieder für den Stadtrat kandidierte, vor allen Dingen für die Familie.

Apropos Familie, ihr habt zwei Kinder und einen Hund. Wie sprecht ihr alle untereinander?

Ich spreche mit meiner Frau Dänisch und mit meinen Kindern Deutsch, und sie spricht mit den Kindern Dänisch. Das haben wir von Anfang an konsequent gemacht. Mittlerweile sind sie ja groß, aber als sie klein waren und es Geburtstag mit der Familie mit 20 Leuten gab, redeten sie mit Onkel A Deutsch und mit Tante B Dänisch, ganz ohne darüber nachzudenken. Das finde ich doch herrlich. Ach, und mit meinem Hund rede ich Dänisch. Das liegt aber daran, dass, wenn man seinen Hund im Jagdverein ausbildet, dann kommen die Kommandos eben auf Dänisch.

Der würde also deutsche Kommandos ignorieren?

Ja, es ist aber auch ein irischer Setter, von daher ...

Eine Vielfalt an Sprachen bei euch zu Hause, denn Sønderjysk sprichst du natürlich auch. Heute wirbt auch die Schleswigsche Partei, für die du über Jahre im Haderslebener Stadtrat saßest, du erwähntest das eben, mit Sønderjysk, der Sprache, die Deutsche und Dänen im Landesteil verbindet. Aber eben diese Heimatverbundenheit war ja sehr lange noch eine komplizierte Sache in Nordschleswig – und auch innerhalb der Minderheit, die heute durch viele Zugezogene eine andere ist als noch zu deinen Jugendzeiten. Wo stehst du da?

Ich habe noch reichlich Kloppe gekriegt, weil ich Minderheit bin. Gwyn Nissen sagt immer, wir haben nicht Kloppe gekriegt, wir haben Kloppe verteilt. Aber das ist auch klar aus seiner Sicht, denn in Tingleff, da war man viele. Als Sohn meiner Eltern war ich aber natürlich auch noch deutscher als der normale Schüler – und da habe ich oft, weil ich Deutsch gesprochen habe, einen auf die Mütze gekriegt. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich es so erinnere, dass man voll und ganz Minderheit war. Wenn in der Zeitung stand, dass auf dem Knivsberg ein Wochenende für Neun- bis Zwölfjährige stattfand, dann reichte das, und man ging hin. Wenn in der Zeitung stand, am nächsten Mittwoch ist Arbeitstag im Kindergarten, dann waren da auch Leute, und man hat den Zaun zusammen angemalt. Sicher auch Sønderjysk geschnackt, da waren auch gemischte Paare aus Mehrheit und Minderheit, aber man hat noch mehr teilgenommen.

Und hat man aber gleichzeitig auch den Kontakt zur Mehrheit gehabt wie heute?

Also, meine Fußballkarriere hat nie angefangen, weil wir im TSV Lügumkloster nie genug waren, um eine Mannschaft zu stellen. Ich habe nie Fußball gespielt und wollte als Kind immer Fußball spielen. Das ging nicht. Ich habe es so in Erinnerung, dass ich bei LIF im dänischen Verein auch nicht hätte spielen können. Mit dem Hintergrund, den ich hatte, spielte man da nicht. Ich glaube, es wäre bei unseren Leuten nicht gut angekommen, aber es wäre auch bei denen nicht gut angekommen. Aber ich habe es eben auch nie probiert. Das heißt, ich spielte Handball, so lange es noch gemischte Mannschaften gab, und dann fing ich mit dem Rudern an.

Wir sprechen über die späten Siebziger, frühen Achtziger?

Ja. Und das ist  eben bei unseren Kindern jetzt anders. Meine Tochter hat beim dänischen Gymnastikverein Gymnastik gemacht, mein Sohn hat beim dänischen HFK Fußball gespielt, weil der HTB das nicht anbot. Wo es die deutsche Möglichkeit gab, haben wir es genommen, zum Beispiel im deutschen Ruderverein.

Man wählt sich also mehr als früher das heraus, wo es das passende Angebot für die eigene Situation gibt?

Alleine Deutsch reicht heute nicht mehr. Eltern wählen heute nicht mehr so. Bei meinen Eltern, gerade mit dem beruflichen Hintergrund, gab es keine Frage, wohin. Aber die Leute heute wählen heute nicht mehr nur, weil da „deutsche“ Schule steht – sondern wenn das steht: „Deutsche Schule mit kleinen Klassen, mit guten Schulreisen, mit IT-Ausrüstung, ordentlicher Pädagogik“. Deutsch ist nicht mehr das Alleinwertige. Das heißt, dass wir beim Deutschen, aber auch bei allen anderen Sachen, gut sein müssen. Und man braucht immer das Beispiel Schule. Aber das ist nur ein Beispiel. Wenn unsere Büchereien verwahrlosen, dann gilt dasselbe, das Gleiche gilt für unsere Sportvereine. Wenn man in einem Sportverein Trikots bekommt, da sind ordentliche Trainer, und zweimal im Jahr gibt es eine Ausfahrt, und unsere spielen auf einem Kiesfeld und müssen selbst alles mithaben ..., nicht dass es so ist – aber die Leute wählen eben nach allen Parametern heute.

Was bedeutet das für die Zukunft der Minderheit?

Gerade deswegen müssen wir alle gut sein und ich natürlich nicht weniger. Aber das können wir auch. Wir sind gut. Müssen uns aber auch verkaufen – und dazu stehen. Und gerade damit hapert es manchmal etwas. Wir müssen gut sein – und dürfen dann auch etwas verlangen von den Leuten.

Was wäre das? Geht es dabei auch darum, sich ganz persönlich zu Nordschleswig zu bekennen, dass Lehrer an deutschen Schulen zum Beispiel auch im Landesteil leben sollten?

Ich stehe dazu, dass alle neu Angestellten Mitarbeiter des BDN, seitdem ich angestellt bin, in Nordschleswig wohnen. Ich habe noch einen Mitarbeiter, der nicht in Nordschleswig wohnt, und die Person ist vor meiner Zeit angestellt worden. Ich weiß, das finden nicht alle gut, und ich sehe auch, dass es bei einigen Sachen Probleme bereitet, ob man Leute kriegt, aber dann müssen wir auf anderen Feldern eben so gut sein, sei es mit den Arbeitsverhältnissen, mit dem Gehalt, mit dem Jobinhalt, dass sie auch hier wohnen wollen. Ich habe mit einigen der Angestellten hier diskutiert am Anfang, die sagten, sie wollten doch gerne, aber könnten sie nicht vielleicht doch in Flensburg wohnen – und denen habe ich gesagt, du kannst gerne in Flensburg wohnen, aber dann kriegst du den Job nicht. Und das steht auch in den Verträgen heute.

Residenzpflicht also?

Ja, das ist Residenzpflicht. Und das Wort wird von vielen negativ aufgefasst. Aber ich finde, dass wir so viele gute Angebote hier haben, dass wir es den Leuten einfach schmackhaft machen müssen, und es kann gut sein, dass wir noch schmackhafter werden sollen mit gemeinsamen Paketen, dass die Leute hierherkommen. Ich sage gar nicht, dass wir es von heute auf morgen machen müssen, aber ich finde, wir sollten es uns zum Ziel machen, dass wir sagen, im Jahr x sind y Prozent hier und im Jahr x+5 sind es fünf Prozent mehr oder irgendwie so etwas. Denn das beißt sich ja. Das sind alles auch unsere Nutzer, wenn sie hier wohnen. Und ich rede nicht nur von Lehrern, sondern von Angestellten der Minderheit. Und für mich ist Kolding genauso schlecht wie Flensburg.

Ist ein Lehrer an der deutschen Schule in Tondern, wenn er in Lügumkloster wohnt, Teil der Minderheit, wenn er aber in Niebüll wohnt, dann nicht? Ist das die Gleichung, die du da aufmachst?

Ich glaube, man kann das so nicht sagen. Wir haben ganz viele Beispiele von Angestellten, die auch nach der Arbeit hier ehrenamtlich tätig sind, und da habe ich ganz großen Respekt vor und finde das ganz toll. Aber das ist ja die aktive Mitgliedschaft. Aber du hast ja auch die passive Mitgliedschaft. Ob man den Redakteur auch mal bei Kvickly trifft. Ob man die Büchereiangestellten auch beim Lottospielen im BDN-Ortsverein trifft und deren Kinder auch bei uns hier in den Einrichtungen sind. Das sind die Angestellten, aber auch bei den Mitgliedern gilt: Man kann auch Forderungen stellen.

Foto: Karin Riggelsen

Der Anspruch an dich und den Hauptvorsitzenden Hinrich Jürgensen ist es, das Schiff Minderheit auf Kurs zu halten. Ist euch, ist dir das in den vergangenen zehn Jahren gelungen? Auf welche Ergebnisse bist du stolz?

Es läuft gut, und ich bin vor allen Dingen stolz darauf, dass wir, das hört sich nach Floskel an, aber dass wir wirklich eine gutes Team sind. Der Haushalt zum Beispiel, der läuft im Moment. Da bin ich stolz drauf, dass wir das hingekriegt haben, dass wir das in eine Festbetragsfinanzierung geändert haben, das ist viel ruhiger, die Leute können mit dem rechnen, was sie haben. Aber wie gesagt, das ist nichts, was ich alleine erreicht habe, das ist mit Hinrich, mit Rasmus, in den Buchhaltungen, also das ist überall. Auch an der Diskussion über den Nordschleswiger bin ich ja mitbeteiligt und ich finde es gut, dass wir das können und dass der Hauptvorstand solche Beschlüsse fasst – aber das ist ja eine generelle Entwicklung, die ich mitgestalte, aber es geschieht ja nicht alles aus meinem Wirken. Und ich bin auch stolz, dass wir den Leuten nicht hinterherzurennen brauchen, wenn zum Beispiel Sankelmarktagung ist, da ist immer volles Haus. Wenn beim Tag der Deutschen Einheit 130, 140 Leute hier sitzen, das finde ich toll. Vor allen Dingen, wenn es unsere eigenen sind – aber auch Mehrheitsleute, die das gut finden. Ein Projekt, auf das ich mich freue, ist jetzt gerade am Werden mit dem Deutschen Museum. Das wird ja doch schon ein großer Bau.

Wenn man ein großes Deutsches Museum in Sonderburg eröffnet, welches Signal sendet die Minderheit damit?

Das neue Museum ist eigentlich ein Kommunikationsprojekt. Es ist recht illustrativ, wenn man sich Fotos von dem jetzigen Haus anguckt. Es ist relativ versteckt hinter Bäumen, neben Museum steht noch Bücherei dran, es ist recht zugewachsen. Eigentlich weiß keiner davon. In Sonderburg entdecken jetzt ganz viele die deutsche Bücherei, weil sie aus diesem Dickicht herausgekommen ist – und das Gleiche hoffen wir auch für das Museum. Und dafür muss es eben auch sichtbar werden. Und wenn dann statt wie jetzt 1.600 5.000 da rein gehen, dann ist das auch ein Kommunikationsprojekt. Denn wenn keiner etwas von uns weiß, ist es auch schwierig, für den Rest des Betriebes Mittel zu finden. Und darum geht es ja generell. Da soll ja auch rein, warum es hier geklappt hat. Warum können wir heute erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen und sagen: Ich gehöre der deutschen Minderheit an. Warum hat es geklappt, dass wir uns hier nicht die Köpfe einschlagen?

Was du ja in deiner Schulzeit noch ansatzweise erlebt hast ...

Mein bestes Beispiel ist immer ein Erlebnis, als ich mit meiner sechs-, siebenjährigen Tochter bei Føtex an der Kasse stand. Ich rede mit ihr Deutsch. Da dreht sich ein vielleicht zwei, drei Jahre älteres Mädchen vor ihr um und sagt „Warum sprichst du Deutsch“? Und bei mir sträuben sich schon alle Nackenhaare, und ich denke, „geht das jetzt schon wieder los?“. Und dann sagt Christina zu ihr: „Ja, aber das ist, weil ich mit meinem Vater Deutsch rede und mit meiner Mutter Dänisch." Und das Mädchen antwortet: „Das ist aber toll, dass du beides kannst.“ Das ist eben auch die Entwicklung innerhalb einer Generation. Anderswo ist es vielleicht schneller oder langsamer gegangen, aber es freut mich dann doch – erfordert aber auch, dass es uns nicht gleichgültig ist.

Das Wort gleichgültig fällt in den vergangenen Jahren immer häufiger, überall in Europa und auch in Nordschleswig macht sich so ein Vorwurf der Gleichgültigkeit der angeblichen Eliten breit. Das Wort von „die da oben“ oder „die da in Apenrade“ macht bei einigen hier im Landesteil die Runde. Wie begegnest du dem?

Erstens mal ist das ja sowieso ein Mythos mit „die da oben“. Wir sind nicht weit weg voneinander. Aber es erfordert natürlich auch von beiden Seiten, dass man sich treffen will. Nehmen wir als Beispiel mal die ganze Diskussion um Ortsschilder. Das kommt mit von einem Seminar, das wir mit den Orts- und Bezirksvorsitzenden gemacht haben, das ist in allen Gremien behandelt worden, und heute findest du ganz viele, die sagen, das ist von denen in Apenrade bestimmt. Da kann man mehrere Beispiele finden. Und es stimmt, man kann nie genug informieren, man kann immer mehr machen. Man muss sich laufend begegnen, und das versuche ich auch zu tun. Ich denke, ich kann mit allen reden. Es ist doch toll, in Flensburg mit dem Bundespräsidenten zu Tisch zu sitzen oder in Kopenhagen Angela Merkel zu treffen, oder man gibt Sigmar Gabriel die Hand. Das ist doch toll. Aber der tägliche Betrieb, der läuft in Rothenkrug, in Tondern, in Gravenstein, um nur einige Orte zu nennen. Und das muss man auch, wenn man einer von „denen in Apenrade“ ist, immer erinnern. Das andere ist auch nett, sogar sehr nett, aber es ist Teil des Jobs. Man hört oft: „Die sitzen dann da nur und essen fein.“ Ich esse auch gerne, leider, aber wenn man das tut, dann ist es auch Arbeit. Ich klage nicht darüber, ich mache das gerne, und es macht mir sehr viel Spaß, aber es ist eben auch Arbeit.

Foto: Karin Riggelsen

Du hast es anfangs schon erwähnt, gerade deutsche Politiker weichen bei einem Smørrebrød auf und werden vielleicht auch zugänglicher für die Anliegen der Minderheit ...

... und wo du das sagtest mit „die da in Apenrade“, was ich mir wünschen würde: Meine Nummer ist 73 62 91 01. Man darf mich jederzeit anrufen, wenn man ein Problem hat oder irgendetwas zu kritisieren hat. Das finde ich besser, als dass man es erst allen anderen erzählt. Aber, was übrigens eine sehr nordschleswigsche Krankheit ist, ist, dass es offenbar sehr schwerfällt, sich rechtzeitig bei Veranstaltungen an- oder abzumelden. Das beschäftigt die Mitarbeiter doch sehr. Und das geht von ganz normalen Mitgliedern bis zum Hauptvorstand.

Apropos rechtzeitig vorsorgen: Du bist jetzt 47, hast also noch eine lange Laufbahn vor dir. Willst du den Job bis zur Rente weitermachen, hast du andere Pläne?

Das kann ich ja nicht selber bestimmen. Aber ich verstehe gar nicht, dass das schon zehn Jahre her ist. Einerseits, weil wir viel zu tun haben und vieles machen wollen. Wir haben noch viel zu tun, Zeitung ist ein Thema, man kann noch sehr viel mehr machen. Eines der großen Themen ist Mitgliedschaft in der Minderheit, in den Verbänden, mit der Orts- und Bezirksebene, da sehe ich eine große Herausforderung auch für mich, wir haben eine Veranstaltung wie den Deutschen Tag, nach dem Knivsbergfest könnten wir uns überlegen, was wir da machen. Der Deutsche Tag ist auch gut besucht, aber da könnte man noch mehr machen. Also mir und uns hier im Hause ist nicht langweilig. Ich hatte also eigentlich vorläufig nicht vor, aufzuhören. Und ich habe ja auch hauptamtlich, aber auch ehrenamtlich, hier ein super Team.

Vor allem mit Hinrich Jürgensen, arbeitest du sehr eng zusammen ...

Wir sind ja öfter miteinander unterwegs als mit unseren Frauen.

Kanntet ihr euch vorher eigentlich gut?

Nicht so. Ich hatte mein erstes Ehrenamt in der Minderheit als 14-Jähriger im TSV Lügumkloster, später viel in der SP, war auch mal Wahlausschussvorsitzender, und da war Hinrich ja immer auch als Amtsratsmitglied einer von denen, die dabei waren. Aber wir kannten uns nicht so, wie wir uns jetzt kennen. Das ist eine hervorragende Zusammenarbeit, es klappt einfach nur super. Wir wissen mittlerweile voneinander, was wir denken.

Ihr tretet in Kiel, Kopenhagen und Berlin, den drei großen „außenpolitischen“ Fixpunkten für Nordschleswig, als das Team aus Nordschleswig auf. Merkt ihr Unterschiede in der Wahrnehmung in Deutschland und Dänemark?

Eine der Sachen, die mich am meisten freuen und überrascht haben ist, dass wir, wenn wir irgendwo anrufen, doch immer einen Termin bekommen. Es ist toll, dass wir als Minderheit, nicht ich als Person, so einen Stellenwert haben. Damit muss man natürlich auch umgehen und das nicht ausnutzen. Wenn man das dänische Durchschnittsparlamentsmitglied in Dänemark nimmt, dann kennen uns mehr als in Deutschland. Dänemark hat eine nationale Minderheit im Ausland und eine im Land. Deutschland hat über 20 im Ausland und vier in Deutschland. Da kämpfen wir täglich, denn es wird immer schwieriger, es deutschen Politikern zu erklären, die uns nicht kennen oder die nicht aus dem nördlichen Schleswig-Holstein kommen, wo wir große Unterstützung haben. Wenn die uns helfen, werden wir auch bei den anderen bekannt, aber einem aus Nordrhein-Westfalen zu erklären, dass wir hier Privatschulen sind, die nicht Privatschulen im Sinne einer deutschen privaten Schule sind, fordert schon eine Menge Überzeugungskraft, dass die das auch akzeptieren und nicht finden, das sei Luxus.

Beim Thema deutsche Minderheiten denken in Deutschland viele, wenn sie überhaupt etwas denken, an Osteuropa, oder?

Generell ist es schon so, dass es auch eine Herausforderung durch die Minderheiten in Osteuropa gibt, was ich aber gut finde. Viele der mittel-und osteuropäischen Minderheiten fordern jetzt auch etwas, und da liegt es an uns allen als Minderheiten, dass der Kuchen größer wird – und dass wir den Kuchen nicht nur anders schneiden. Sonst haben wir ein Problem, denn wir müssen uns schon bewusst sein, dass wir viel Geld aus der Bundesrepublik bekommen. Und da bin ich auch stolz drauf, dass es uns gelungen ist, dass wir die Bundesrepublik wieder davon überzeugen konnten, dass wir wieder einen Inflationsausgleich für Personalverstärkungsmittel bekommen und die 100-prozentige Gleichstellung mit den dänischen Schulen.

Mehr lesen