Die Zukunft des Nordschleswigers

„Wer hier hat denn Kinder, die das Abo halten?“

„Wer hier hat denn Kinder, die das Abo halten?“

„Wer hier hat denn Kinder, die das Abo halten?“

Apenrade/Aabenraa
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Chefredakteur Gwyn Nissen stellte sich den Fragen und Kommentaren. Rechts Peter Kaadtmann, links Claudia Knauer. Foto: K. Riggelsen

Beim „Politischen Forum“ der deutschen Zentralbücherei ging es am Mittwochabend um die Zukunft des Nordschleswigers als rein digitales Medium. Chefredakteur Gwyn Nissen verteidigte die kommende Umstellung gegen die zahlreich anwesenden Zeitungsliebhaber.

„Stur und apodiktisch“ nannte Peter Kaadtmann am Dienstagabend im Haus Nordschleswig den Beschluss, die Papierausgabe des Nordschleswigers zum 2. Februar 2021 einzustellen und durch ein voll umfängliches, kostenloses Online-Angebot und ein Monatsmagazin zu ersetzen. 

Der in Mainz lebende, aus Hadersleben stammende langjährige ZDF-Journalist war, nach einem viel beachteten Plädoyer im Nordschleswiger, die Papierzeitung zu erhalten, dem Ruf von Büchereidirektorin Claudia Knauer nach Apenrade gefolgt. Im Rahmen der Reihe „Politisches Forum“ forderte er Chefredakteur Gwyn Nissen vor großem Auditorium heraus. 

Nissen seinerseits nutzte den Abend, um zu verdeutlichen, dass es beim Ende der Papierzeitung nicht darum gehe, Geld zu sparen, sondern darum, künftig nicht mehr nur den immer kleiner werdenden Teil der Minderheit zu erreichen, der die Papierzeitung abonniert – und so wieder zu dem „Kitt, der die Minderheit zusammenhält“, zu werden, als der der Nordschleswiger immer wieder bezeichnet wird. 

Viele waren gekommen, um an der Diskussion teilzunehmen. Foto: Karin Riggelsen

„Abwegig und enttäuschend“

In dem ausführlichen Beitrag, den Kaadtmann verlas, legte dieser sein Augenmerk vor allem auf den Verlust, den das Aus der Papierzeitung bedeuten würde. „Abwegig und enttäuschend“ sei deren Ende unter anderem deshalb, weil die Zeitung „gut aufbereitete Nachrichten“ aus Deutschland und der Welt“ in die Haushalte der Abonnenten bringe, die „ein beachtliches Niveau“ erreichten. Zudem sprach Kaadtmann die Mitteilungspflicht über die Vorgänge in der Minderheit an, die die Papierzeitung zu einem „wichtigen inneren Bindeglied“ mache. 

Er warf BDN und Zeitungsleitung vor, ein „rein wirtschaftliches Maß“ anzulegen und sich künftig an „Medienjunkies“ richten und sich dem Diktat vor allem junger Leser und derer Gewohnheiten unterwerfen  zu wollen.  Die Zeitung sei mehr als ein Nachrichtenübermittler, die „wohlige Gewohnheit“ der „täglich wiederkehrenden Erlebniswelt Zeitung“ dürfe nicht unterschätzt werden, die Lokalseiten der Zeitung würden zum „Nährboden für Information und Kommunikation“. 

Eine Online-Ausgabe, so Kaadtmann, würde Nachrichten lediglich „hinterherhecheln“ und sei „eine sinnvolle Ergänzung“, aber auch nur „eine Reduzierung auf das Wesentliche“. Die sich von den Zeitungen entfernende Jugend könne nicht das Maß aller Dinge sein. 

Es könne doch  nicht im Interesse der Geldgeber aus Deutschland sein, wenn die Nachrichten aus Deutschland und Schleswig-Holstein künftig nicht mehr mit der Papierzeitung verbreitet werden. Er, so Kaadtmann, vermisse einen „Aufschrei der Empörung“ angesichts eines „drohenden Verlustes an Informationen und Identität“. Eine Minderheitenzeitung habe schließlich eine Sonderstellung. 

Es wurde hitzig diskutiert. Foto: Karin Riggelsen

„Kein Technik-, sondern ein Menschenprojekt“

Gwyn Nissen machte  derweil deutlich, dass es nicht darum gehe, den Nordschleswiger aufzugeben, sondern im Gegenteil, ihm wieder die Rolle zu ermöglichen, die er einst in der Mitte der Minderheit gespielt habe. „Wenn wir über die Jungen reden, reden wir nicht über die 19-Jährigen, sondern über die unter 50“, verdeutlichte er das „riesige Problem“, vor dem die Papierzeitungen heute stünden. Die Auflage der Zeitung erreiche längst nicht mehr genügend Menschen, um sich noch als „Kitt der Minderheit“ bezeichnen zu können. „Wir haben die Geldfrage nicht in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Frage: ,Erreichen wir die Minderheit?’“, so Nissen. 

Rund 15.000 Menschen, so Schätzungen, zählen sich zur deutschen Minderheit in Dänemark, und „wir waren der Kitt der Minderheit, und für euch, die hier sitzen, sind wir es noch – aber für mehr als 70, 80 Prozent der Minderheit sind wir es nicht“, sagte Nissen. Er verwies darauf, dass heute nicht nur Geld, sondern auch ein großer Arbeitsaufwand der Mitarbeiter in die Herstellung der Papierzeitung gesteckt werde und zugleich ins Online-Angebot. Aber, so Nissen, „wir können entweder 100 Prozent Zeitung oder 100 Prozent Online machen“. Die Entscheidung für Online sei gefallen, nicht nur um „die junge Generation“ zu erreichen, sondern auch aus journalistischen Gesichtspunkten. Dabei betonte der Chefredakteur, dass es „dieselben Inhalte sein werden, auch die Familiennachrichten“ werde es weiterhin geben. „Wir sind immer noch präsent. Die Lokalredakteure sind vor Ort“, so Nissen.

„Die Digitalisierung ist kein Technikprojekt, sondern ein Menschenprojekt. Wie bekommen wir die Leser mit?“, fragte er und bat die rund 80 Anwesenden: „Fragt euch ganz ehrlich: Schaffe ich es, meine geliebte Papierzeitung zu entbehren und die gleichen Inhalte woanders zu lesen?“

„Es sind jetzt fast drei Jahre Zeit, die Pläne durchzuführen und den Lesern Zeit zu geben, aber auch den Mitarbeitern. Ich bin recht optimistisch, denn in Dänemark ist die Digitalisierung weit fortgeschritten, in der Infrastruktur und in den Köpfen“, so Nissen. 

Ein gewichtiges Argument für die Entscheidung für den Umstieg auf Online sei es auch, dass die Reichweite deutlich erhöht werde. „Die Hürde für viele Dänen, den Nordschleswiger zu abonnieren, ist wahnsinnig hoch. Online ist sie viel geringer. Dadurch steigt der Bekanntheitsgrad. Und: Wir sind kein reines Nachrichtenportal, wo es Schlag auf Schlag geht. Wir wollen auch mehr Tiefe“, erklärte er die Entscheidung, sich hundertprozentig auf ein Medium fokussieren zu wollen. Schon im Laufe des Jahres 2019 würden sämtliche Inhalte des Nordschleswigers kostenlos online gestellt werden, ab Januar die E-Zeitung kostenlos zugänglich gemacht. „Wir brauchen keine Bezahl-Hürden, sondern die Leser – aus der eigenen Minderheit und von außerhalb“, so Nissen.

BDN-Hauptvorsitzender Hinrich Jürgensen verteidigte die Entscheidung der digitalen Umstellung. Foto: Karin Riggelsen

„Mehr für’s Geld“

In der anschließenden offenen Debatte legte  der Chefredakteur angesichts Kritik am Prozess der Beschlussfindung dar, dass es eine offene Generalversammlung, eine offene Delegiertenversammlung und das Haushaltsseminar gegeben hat, bei denen jeweils die Zukunft der Zeitung Thema war. „Es gab Möglichkeiten“, so Nissen, der aber einräumte, dass diese noch offensiver hätten kommuniziert werden können.  

BDN-Hauptvorstandsmitglied Olav Hansen beklagte unterdessen, dass das Ziel, die ganze Minderheit wieder zu erreichen, zwar klar sei – doch dass „sehr viele Aspekte noch immer nicht gelöst“ seien. Er, so Hansen, halte es für gefährlich, ohne Plan in die Umsetzung zu gehen. Auch Claudius Schultz schlug in diese Kerbe: „Ihr habt einen Entschluss gefasst und keine Ahnung, wohin ihr wollt. Nach dem Motto: Wir asphaltieren, während wir fahren.“ Auch Andrea Kunsemüller fragte nach dem Konzept: „Warum sollen wir den Nordschleswiger lesen – online oder in der Zeitung?“

„Wir müssen erst noch den Weg finden und dann die Zielgruppen erreichen, die 90 Prozent, die heute keinen Nordschleswiger lesen“, so Nissen, der betonte, dass er sehr viele Fragen bereits beantworten könne – aber eben nicht alle. „Aber es gibt zwei wichtige Punkte: Wir sind Dreh- und Angelpunkt der Minderheit. Unsere Priorität ist die Minderheit.  Aber wir sind nicht mehr nur das Mitteilungsblatt der Minderheit. Wir sind auch richtige Zeitung und deutsch-dänischer Brückenbauer. Davon sind wir überzeugt. Das ist nicht kopflos.“

Nissens Stellvertreter Cornelius v. Tiedemann merkte unterdessen an,  dass sich die Zeitungsleitung seit Jahren intensiv mit dem Thema Digitalisierung und Leserbindung auseinandersetze und dass die technischen und redaktionellen Schritte hin zur reinen Online-Zeitung sorgfältig vorbereitet und immer wieder überprüft würden. Zudem werde mit Studierenden der Süddänischen Universität zusammengearbeitet, die die Umstellung wissenschaftlich begleiten. Schon jetzt, so Tiedemann, erreiche der Nordschleswiger durch diese Maßnahmen mehr Menschen online als über die Papierzeitung.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragte entsprechend Leser Edlef Bucka-Lassen. „Wer hier hat denn Kinder, die das Abo halten? Für mich ist es ein Zeichen der Ehrlichkeit, und es verdient Respekt zu sagen, dass man nicht alle Antworten hat“, sagte er.

Während  Pastor  Matthias Alpen die Bedeutung der Entscheidung für die Minderheit im Ganzen betonte und bedauerte, dass die Debatte viel zu schnell geführt worden sei („Unser Hinterland sieht die Zukunft der Minderheit in Gefahr“), betonte BDN-Generalsekretär Uwe Jessen: „Alle sind mit Peter (Kaadtmann, Red.) einer Meinung – aber es geht so nicht weiter. Wir sind einfach zu wenige, die derzeit die Zeitung lesen, und die Zahlen online steigen. Es dreht sich hier ja eben nicht um eine Sparmaßnahme – sondern wir wollen mehr für’s Geld.“

Um wie viel Geld es geht und weshalb sich auch der Umstieg auf eine Wochenzeitung ökonomisch und ideell nicht auszahle, rechnete der BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen den Anwesenden vor und sprach mit A. P. Møller von „rechtzeitiger Fürsorge“, denn „die Kosten laufen uns davon!“. Er selbst habe als Zeitungs-Anhänger den Versuch unternommen, sich ausschließlich digital zu informieren – und festgestellt, dass er „plötzlich viel mehr“ habe. Mehr Bilder, dazu Videos und Liveübertragungen auf nordschleswiger.dk, die es in der Zeitung nicht gibt. 

„Es geht nicht nur darum, was wir verlieren“, so Jürgensen, der berichtete, dass er häufig auch positiv auf die digitale Umstellung angesprochen werde.

„Nichts ist so wichtig wie eine Papierzeitung“, zog Kaadtmann schließlich Bilanz und machte ein „sehr starkes gesellschaftliches Problem“ aus. „Es geht der Minderheit einfach zu gut.“ Der innere Zusammenhalt, die Solidarisierung in der Minderheit sei nicht mehr gegeben, wenn nicht mehr die Papierzeitung unterstützten. Er werde den Nordschleswiger vermissen. 

„Es ist noch ein langer Weg, bevor wir am 2. Februar 2021 das 75-jährige Bestehen des Nordschleswigers feiern“, sagte Gwyn Nissen zuletzt, „und am Tag darauf darüber berichten – online!“

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