Lesung

Ein toxisches Familiengeheimnis: „Mein Großvater, der SS-Kommandant"

Ein toxisches Familiengeheimnis: „Mein Großvater, der SS-Kommandant"

Ein toxisches Familiengeheimnis: „Mein Großvater, der SS-Kommandant"

Apenrade/Aabenraa
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Die Autorin aus Hamburg beantwortete viele persönliche Fragen aus dem Publikum. Foto: Jørgen Nissen

Wie geht man damit um, dass der eigene Großvater ein grausamer SS-Mörder war? Autorin Jennifer Teege las am Mittwochabend auf Einladung der AG Kultur aus ihrem Buch „Amon – mein Großvater hätte mich erschossen“ vor.

Im Alter von 38 Jahren erfuhr Jennifer Teege durch Zufall, dass der eigene Großvater ein sadistischer Lagerkommandant der SS in einem Konzentrationslager war. Ein Sadist, der von der Terrasse seiner Villa aus zum Spaß Menschen erschoss. Was macht man mit so einer Familiengeschichte?

Jennifer Teege erfuhr rein zufällig, dass ihr Großvater Amon Leopold Göth war,  Kommandant des Arbeits- beziehungsweise Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau in Polen. Am Mittwochabend sprach sie auf Einladung der LIT-AG des BDN Kulturausschusses im Haus Nordschleswig über diese Entdeckung. Über ihre Auseinandersetzung mit dem „toxischen und zerstörerischen Familiengeheimnis“. Wie sie lernte, ihre geliebte Großmutter mit der Lebensgefährtin eines grausamen SS-Mannes in Verbindung zu bringen.

Der zufällige Fund

Es ist vor zehn Jahren, als Jennifer Teege in der Hamburger Zentralbücherei zufällig ein Buch aus dem Regal zieht, das die Geschichte ihrer Familie offenbarte. In dem Buch sieht sie ungläubig auf Bilder ihrer Mutter, Monika Göth,  Tochter des Lagerkommandanten Amon Göth. „Auch ich hieß einmal Göth, bis mich meine Mutter mit sieben Jahren zur Adoption freigab“, liest Jennifer Teege aus dem Buchkapitel „Die Entdeckung“ vor. „Wer ist dieser Amon Göth? Und warum weiß ich nichts von ihm?“, fragt sich Jennifer Teege.

Sie erinnert sich an den Film Schindlers Liste, in dem der KZ-Kommandant von Plaszow mit willkürlichen Hinrichtungen, Demütigungen und Menschenjagden in Erinnerung blieb. „Schindlers Liste war für mich nur ein Film, er hatte nichts mit mir zu tun.“  Bis zu jenem Tag. An dem sie erfuhr, dass dieser österreichische SS-Mann ihr Großvater ist.

Die schockierenden Nachforschungen

Die heute 48-Jährige, die aus ihrem Buch „Amon – mein Großvater hätte mich erschossen“ mehrere Kapitel vorlas, kam als Tochter von Monika Göth und eines nigerianischen Vaters zur Welt, wuchs zunächst in einem Kinderheim auf und wurde  adoptiert. Als sie mit 38 Jahren von ihrer Ursprungsfamilie erfährt, ist sie schockiert. In der Nacht nach dem Zufallsfund in der Bücherei liest sie alles über Amon Göth. Über dessen Morde, die auf Menschen abgerichtete Hunde im Lager, seine Freude daran, die Angst in den Augen der Menschen zu sehen, kurz bevor er sie erschießt. Der in seinem Haus den Spruch „Wer zuerst schießt, hat mehr vom Leben“ anbringen ließ.  

„Zu wem gehöre ich? Ich kann es mir nicht aussuchen. Ich bin eine Göth.“ Gerade sie, die in Israel studiert, und viele jüdische Freunde hat. „Was ist Familie? Das, was wir erben oder das, was wir miteinander teilen?“ Jennifer Teege bricht innerlich zusammen. Braucht lange, bis sie  ihren Freunden sagen kann, wer sie ist. An einem Tiefpunkt ihres Lebens reist sie erstmals nach Krakau, besucht das Haus ihrer Großeltern und wird dort der Illusion beraubt, dass ihre Großmutter, die sie als Kind noch kennenlernte, nichts von den Vorgängen im Lager gewusst hat. „Sie war mittendrin“, liest Jennifer Teege. Die Villa zu klein, um von den Vergewaltigungen des Dienstpersonals nichts mitzubekommen, das Lager nicht weit. „Ein paar hundert Meter weiter sterben Menschen und sie feiert Feste mit Amon Göth.“

Jennifer Teege mochte, ja liebte ihre Großmutter. „Sie strahlte Güte aus.“ Jennifer Teeges Mutter Monika ist zehn Monate alt, als Amon Göth nach Ende des Zweiten Weltkrieges wegen seiner Verbrechen gehängt wird.

So schmerzlich die Entdeckung ihrer Familiengeschichte auch ist – es bleibt eine Befreiung von einem Familiengeheimnis. „Ich hatte immer das Gefühl, das etwas mit mir nicht stimmt. Diese Traurigkeit, die Depressionen. Hatten sie auch etwas mit meiner Herkunft zu tun?“ Mit dem Buch, das sie schreibt, bricht sie das Familiengeheimnis auf.

Jennifer Teege suchte am Mittwochabend den Dialog mit den rund 100 Besuchern. Eine kleine Runde für die Autorin, die ansonsten oft vor 5.000 Menschen spricht. Mit ihrem in 15 Sprachen übersetzten Buch ist sie oft in den USA unterwegs.

Jennifer Teege hält viele Vorträge in den USA. Foto: Jørgen Nissen

„Ich versuche, gehört zu werden“

Ob sie sich als Sprachrohr versteht, in Zeiten wie „Amerika first“ und Rechten Parolen? „Wir haben hier ein sehr beschauliches Leben. Wenn man sieht, wie die Menschen in einem der größten Flüchtlingslager in Jordanien leben, weiß und versteht man, warum die Menschen flüchten wollen.“ Worte wie Flüchtlingstourismus könne sie nur schwer ertragen. Ja, so ihre Antwort auf eine Frage,  ihre Stimme werde nun in der ganzen Welt gehört, bei vielen Vorträgen, in Artikeln, in Dokumentationen. „Ich versuche, gehört zu werden. Denn was ich sehe, ist, dass wir hier auf einer Insel der Glückseeligkeit leben. Auch was die geschichtliche Aufklärung über den Holocaust angeht. In den Schulen hier  ist  Wissensvermittlung über den Holocaust verpflichtend. In den USA hingegen steht das nicht auf dem Lehrplan. Ich habe Studenten kennengelernt, die wirklich klug waren, aber noch nie etwas vom Nationalsozialismus gehört hatten. In Deutschland gibt es ein breit gefächertes Wissen darum – und ich sage es mal vorsichtig, das wäre in Zeiten von Trump auch in den USA gar nicht so schlecht.“

Der Holocaust als Schablone

Der Holocaust diene als Schablone für gesellschaftliche Probleme. „Wir gehen wir mit Religionen um? Wie gehen wir mir den Flüchtlingen um? Wir brauchen aufgeklärte Meinungen!“ Ihr Buch sei keine Autobiografie, so Jennifer Teege, sondern eine Familienchronik. „Den Gegenüber zu achten, das beginnt schon in der Familie“, so Teege, die mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in Hamburg lebt. Dass sie das Familiengeheimnis gelüftet und sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen konnte, hat sie von Traurigkeit und Depressionen befreit. Das Publikum dankte Jennifer Teege mit langem Applaus für die tiefen, persönlichen An- und Einsichten. Dafür, dass sie  diese Familiengeschichte nutzt, um für Aufklärung und Versöhnung zu werben.

Die Hamburger Autorin beantwortete viele persönliche Fragen aus dem Publikum.

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