Deutsche Minderheit

Im Stillen entfernt - Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit

Im Stillen entfernt - Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit

Im Stillen entfernt - Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit

Sankelmark
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Der Historiker Jon Thulstrup aus Nordschleswig stellt Ergebnisse seiner Forschung vor. Foto: Karin Riggelsen

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Die Geschichte der Minderheit ist auch eine Geschichte Deutschlands, die belastet ist. Der Historiker Jon Thulstrup legt in seiner Dissertation ein Augenmerk auf diejenigen, die in den Nachkriegsjahren aus Enttäuschung die Minderheit verließen.

Ein verlorener Erster Weltkrieg, der Verlust des Heimatlandes durch die Grenzziehung 1920, die Zeit des Nationlsozialismus, ein weiterer aus deutscher Sicht verlorener Krieg. – Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig, die nach 1920 zur Minderheit wurde, hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich, Schuld gesellt sich zu Leid, Vergangenheitsbewältigung zu Vergangenheitsverdrängung, Revanchismus zu Versöhnung. 

Genug Stoff für eine Doktorarbeit, die der nordschleswigsche Historiker Jon Thulstrup derzeit schreibt. Seit 2020 ist er dabei, die Geschichte der Minderheit aufzuarbeiten und befindet sich auf der Zielgeraden. Am Freitag gab er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf der Neujahrstagung in Sankelmark Einblicke in die innere Sicht der deutschen Minderheit  – über eine Zeitspanne von drei Generationen. Thulstrup zufolge stand im Zentrum seiner Aufmerksamkeit nicht die jeweilige Führung, sondern die Basis der Minderheit.

Menschen wenden sich von der Minderheit ab

Und diese wandte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Teilen von der Minderheit ab, wie der Historiker zeigte. Männer aus Nordschleswig aus dem Raum Tingleff (Tinglev), die für Deutschland gekämpft hatten und dafür nach dem Krieg im Faarhuslager interniert wurden – und somit in Akten auftauchten –, fehlten zum beträchtlichen Teil 1949 und 1950 auf Spendenlisten des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN). Für Jon Thulstrup ein Hinweis darauf, dass sie der Minderheit den Rücken gekehrt hatten. Auch die Zahl der Ausleihen in der deutschen Bücherei ging im Vergleich zur Vorkriegszeit stark zurück. Ein weiteres Indiz dafür, dass Menschen mit der Minderheit gebrochen hatten. „Viele haben sich womöglich nach dem Krieg im Stillen von der Minderheit entfernt“, so Thulstrup.

Die Einstellung von drei Generationen

Das Brechen hatte Gründe. Als Elterngeneration definiert Thulstrup die Menschen, die, um 1900 geboren, den Ersten Weltkrieg erlebten, an ihm teilnahmen und dem Historiker zufolge die eigentlichen Verantwortlichen für das Schicksal der Minderheit waren, denn sie führten die nationalsozialistische Ideologie und den Gesellschaftsaufbau in die Minderheit ein.

Die Sicht als Opfer, ein fehlendes Schamgefühl und die Schuldzuweisung an den dänischen Staat ließen ein Narrativ entstehen, das, so Thulstrup, die Elterngeneration und die ehemalige Funktionselite von jeglicher Verantwortung habe befreien können.

Dieses Narrativ übernahm die Kriegsgeneration nicht zuletzt, weil es für das Sterben an der Front einen Sinn geben musste – oder sie wandten sich, wie oben beschrieben, ab. Zudem gab es auch Familien, die den Namen ihres gefallenen Sohnes oder Mannes nicht im damaligen Ehrenhain sehen wollten, der später, im Jahr 2012 zur Gedenkstätte wurde, was nach dem Vortrag während der Diskussion Erwähnung fand.

Ein Buch des Anstoßes

An einen weniger stillen Abschied erinnerte Jon Thulstrup auch. Manfred Spliedt verabschiedete sich mit „Sådan en dum knægt“ aus dem Jahr 1975 mit einem Buch aus der Minderheit, in dem er sich gegen die damalige Geschichtsinterpretation stellte und den Zorn auf sich zog. Als er das Buch ausgeliehen habe, sei ihm die Verfärbung des Papiers und der markante Geruch nach Urin aufgefallen, so Thulstrup.

Das Narrativ der Elterngeneration zog sich Thulstrup zufolge bis in die frühe Kindergeneration. Allerdings zeigt sich laut den Untersuchungen des Historikers diese Generation nicht einheitlich. Eine andere frühe Kindergeneration begann viele Jahre später, die Rolle der Minderheit infrage zu stellen. Die späte Kindergeneration schließlich sah eine Mitverantwortung der Minderheit in der NS-Zeit und setzte sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinander.

Aus den vielen Protokollen, Briefen, Leserbriefen, Zeitungsartikeln und Interviews stellte Jon Thulstrup aber auch fest: „Alle Generationen haben über die Zeit ihre Haltung zur Vergangenheit der Minderheit geändert.“

 

 

 

 

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