Geschichte

Erinnerungskultur in der Minderheit: Täter oder doch Opfer?

Erinnerungskultur in der Minderheit: Täter oder doch Opfer?

Erinnerungskultur in der Minderheit: Täter oder doch Opfer?

Jon Thulstrup
Jon Thulstrup
Fröslee/Frøslev
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Am Donnerstag bei der Buchvorstellung im Fröslevlager Foto: Karin Riggelsen

Am Donnerstag hat Historiker Henrik Skov Kristensen sein neues Buch vorgestellt. Auf 400 Seiten wird die Erinnerungskultur der Minderheit analysiert.

Infos zum Buch:

Das neue Buch von Henrik Skov Kristensen heißt „Gerningsmænd eller ofre? Erindringen i det tyske mindretal i Sønderjylland om nazismen, verdenkrigen og retsopgøret i komparativ belysning“. Es hat 400 Seiten und kostet 249 Kronen.

BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen (r. im Hintergrund) nahm an der Buchvorstellung teil. Foto: Karin Riggelsen

„Das regnerische Wetter passt zur heutigen Veranstaltung im früheren Gefangenenlager in Fröslee.“ So begrüßt der Historiker Hans Schultz Hansen am Donnerstag die anwesenden Personen. Sie sind gekommen, um bei der Präsentation des neuesten Buches des Historikers Henrik Skov Kristensen dabei zu sein. Der Titel des Buches fragt: Täter oder Opfer?

Es wurden zwar schon viele Bücher über die Nazizeit veröffentlicht, sagt Hans Schultz Hansen. „Doch dieses Werk unterscheidet sich von den anderen. Hier beleuchtet Kristensen insbesondere die Erinnerungskultur in der deutschen Minderheit in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg“, so Hansen.

Er weist darauf hin, dass die Debatte zur eigenen Geschichte in der Minderheit weiterhin lebhaft geführt wird. „Viele Emotionen kamen bei der jüngsten Debatte zur Gedenkstätte im vergangenen Dezember hervor. Und das ist durchaus positiv zu bewerten“, sagt der Historiker, bevor er das Wort an den Autor weitergibt.

Foto: jt

Tieferen Einblick

Kristensen selbst gibt den Anwesenden einen tieferen Einblick in sein fast 400-seitiges Buch. In seinem Buch „Straffelejren“ habe er zeigen wollen, wie die Minderheit ihre eigene Geschichte kritisch aufarbeitet. „In meinem neuen Buch wollte ich diese Arbeit vertiefen“, erklärt Kristensen, der sich mit einem Augenzwinkern über den Titel des Buches auslässt „Der Titel ist recht deutsch – sehr akademisch“, so Kristensen lachend.

Eines der Hauptthemen: Die Frage nach Schuld und Verantwortung. Sowohl juristisch, aber auch moralisch. Und der Aspekt, wie die Antworten in die Erinnerungskultur der Minderheit integriert wurden. Kristensen zieht durchweg Parallelen zur Bundesrepublik, zieht Vergleiche, wie mit Geschichte umgegangen wurde – und wird.

„Die Minderheit und die Bundesrepublik wiesen am Anfang die Schuld einem kleinen Kreis leitender Persönlichkeiten zu“, so Kristensen. Aber anders als in Deutschland hat man sich in der Minderheit über die Jahre hinweg als Opfer gesehen. „Erst als in Deutschland um die Jahrtausendwende der Diskurs durch eine Opfernarrative geprägt wurde, hat man nach und nach in der Minderheit die Auffassung gehabt, dass es auch Täter in der Volksgruppe gab“, so Kristensen.

Er verweist in seiner Rede und im Buch zudem auf den Unterschied zwischen der kommunikativen und der kulturellen Erinnerung. Diese wurde vom deutschen Soziologen Harald Welzer untersucht. Während die kommunikative Erinnerung insbesondere durch Familienerinnerungen geprägt wird, ist die kulturelle Erinnerung eine Erinnerung, die beispielsweise durch Schulbücher in der Öffentlichkeit erstellt.  

„Die Bundesrepublik richtete ihren Fokus auf die kulturelle Erinnerung. In der Minderheit hat eine Zusammensetzung beider das Selbstverständnis und die Erinnerungskultur geprägt“, so Kristensen.

Der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) hat die jüngste Arbeit Kristensens unterstützt. Und so waren auch mehrere BDN-Vertreter vor Ort. Darunter der Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen, der ebenfalls das Rednerpult betrat.

Hart, aber doch gerecht

„Dein Buch Straffelejren war hart gegen die Minderheit, aber doch gerecht. Dein neues Buch ermöglicht es uns, die Debatte zu unserer eigenen Geschichte auf einer soliden Grundlage zu führen“, so Jürgensen. „Dass wir das Buch unterstützt haben, kam nicht überall in der Minderheit gut an. Einige meinen, dass wir die Geschichte ruhen lassen sollten – doch das sehe ich anders“, betont der Hauptvorsitzende und ergänzt: „Es ist ungemein wichtig, dass wir immer wieder über unsere Geschichte diskutieren“, erklärte Jürgensen abschließend. 

Der Autor und sein Werk im Fröslevlager Foto: Karin Riggelsen
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