Erster Weltkrieg

Eingetaucht in das Leben der Kriegsgefangenen

Eingetaucht in das Leben der Kriegsgefangenen

Eingetaucht in das Leben der Kriegsgefangenen

Mögeltondern/Møgeltønder
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Über das Leben von Kriegsgefangenen in Russland und in Nordschleswig erzählt Ingolf Haase in zwei neuen Büchern. Foto: Brigitta Lassen

Zwei Jahre nach dem 100. Jahrestags seit Beendigung des Ersten Weltkriegs erscheinen Ingolf Haases jüngsten Werke. Russische Kriegsgräber auf dem Tonderner Friedhof gaben ihm den Antrieb.

Ein Schreiben von der russischen Botschaft in Kopenhagen an das lokalhistorische Archiv in Tondern, in dem es um die Gräber russischer Soldaten auf dem Tonderner Friedhof ging, weckte bei ihm das Interesse. Lokalhistoriker Ingolf Haase und die freiwillige Helferin im lokalhistorischen Archiv, Else Harck,  nahmen die Nachforschungen auf. Diese waren der Anlass, dass Haase die Bücher „Russiske krigsfanger i Tønder Amt under 1. Verdenskrig“ und Sønderjyske Krigsfanger i Rusland 1914-18“ schrieb, die kürzlich erschienen sind.

Mit Privatchauffeurin unterwegs

Dieser Brief löste eine rege Korrespondenz mit der russischen Botschaft aus. „Ich durchstöberte Kirchenprotokolle und las alte Zeitungsartikel, fuhr ins Landsarchiv nach Apenrade, wo es auch noch Briefe der Gefangenen gibt. Ich machte mich mit meiner Frau Jette auf die Suche nach Gräbern auf den Friedhöfen“, erzählt der im Rollstuhl sitzende und in Mögeltondern/Møgeltønder wohnhafte Lokalhistoriker. „Er hatte die Namen, und ich habe die Gräber auf den Friedhöfen gesucht“, lacht Jette Haase, die die Bücher ihres Mannes auch Korrektur liest. „ Auf diese Weise kenne ich auch den Inhalt seiner Bücher“, lacht Jette Haase. Auch die Archivleiterin Birgitte Thomsen und die freiwillige Archivhelferin Else Harck haben ihn bei seinen Nachforschungen sehr unterstützt.

Jette und Ingolf Haase in ihrer gemütlichen Stube Foto: Brigitta Lassen

„Ich wurde überrascht, dass es so viele russische Kriegsgefangene gegeben hat. Es waren etwa 300 in ganz Nordschleswig, die alle auf den Höfen arbeiteten. Allein in Mögeltondern gab es zwei Lager. Eins im früheren Armenhaus. Wer dort lebte, arbeitete meist auf dem Gutshof Røj“, berichtet Haase, der schon mehr als 100 Bücher geschrieben hat. Für die beiden neuesten reichten ihm nur ein paar Monate. In Kürze feiert er seinen 70. Geburtstag, und seine Lust auf Lokalhistorie und das Schreiben von Büchern ist ungebrochen, obwohl er im Einfinger-System in die „Tasten haut“.

Jeder Ort habe sein eigenes Lager für Kriegsgefangene gehabt, erzählt er. An den arbeitsfreien Sonntagen saßen die Kriegsgefangenen im Freien vor ihren Lagern und musizierten, sangen und führten Kosakentänze auf. Etwa 100 Russen starben in Dänemark und sahen ihre Heimat nie wieder.

Ingolf Haase ist am Schreibtisch in seinem Element. Foto: Brigitta Lassen

Seine Recherchen ergaben, dass die russischen Kriegsgefangenen in Nordschleswig äußerst respektiert waren. Sie waren kinderlieb und packten auf den Höfen kräftig mit an. Im Vergleich zu Franzosen und Engländern, die immer wieder auf ihre Rechte als Kriegsgefangene pochten und kaum so beliebt waren, fragten die Russen nicht zu viel und machten, was ihnen aufgetragen wurde. Die Verpflegung war kümmerlich. Die Mahlzeiten entsprachen nur der Feldration. Sie durften nicht gemeinsam mit den anderen essen und durften keinen Kontakt mit der Lokalbevölkerung aufnehmen. 

„Da hatten die dänisch gesinnten Kriegsgefangenen aus Nordschleswig in Russland wesentlich bessere Lebensbedingungen. Die Lager waren offen, sie durften eine Arbeit außerhalb des Lagers annehmen, und das Essen war besser.“

Ingolf Haase ist Vorsitzender des lokalhistorischen Vereins in Tondern, hier mit Archivleiterin Birgitte Thomsen. Foto: Elise Rahbek

 

Ein Gefangener bedankt sich

 

Ein russischer Kriegsgefangener hatte nach seiner Heimkehr nach Russland einen Dankesbrief an die Nordschleswiger an die Zeitung „Heimdal“ geschickt und sich trotz der Gefangenschaft bei den dänischen Nordschleswigern bedankt, die sehr wohl zwischen Gut und Böse unterscheiden konnten und nach moralischer Vollkommenheit gestrebt hatten. Sie hätten ihn und seine Landsleute nicht als Kriegsgefangene, Kriegsbeute oder Sklaven behandelt. Ihr Auftreten sei stets korrekt und kameradschaftlich gewesen, schrieb der Kriegsgefangene.

 

Neue Heimat von Russen

Doch nicht alle seiner Landsleute gingen zurück in die Heimat. Als Beispiel nennt Ingolf Haase Iwan Apuschkin, der nördlich von Moskau zu Hause war. Er wurde 1915 von den Deutschen gefangen genommen und kam auf den Hof Grøngård bei Lüdersholm/Lydersholm. Er heiratete 1921 die 21-jährige Johanne Sophie Marie Walter. Zu dieser Zeit lebten noch etwa 170 Russen in ganz Dänemark, die meisten in Nordschleswig.

Das Paar Apuschkin, das in Hostrup oder Jeising und später in Lüdersholm wohnte, bekam acht Kinder. Er arbeitete als Malermeister, sehnte sich aber danach, sein Heimatland noch mal besuchen zu können. Trotz finanzieller Not fuhr er nach Russland. Nur durch das Einlenken des dänischen Konsulats konnte er wieder zu seiner Familie in Lüdersholm zurückkehren. Er starb 1937 und fand seine Ruhestätte auf dem Friedhof in Saxburg/Saksborg.

Die Kisten mit Büchern stapeln sich im Flur des kleinen Hauses des Ehepaares Haase. Foto: Brigitta Lassen

Fast auf jedem Friedhof finden sich Gräber russischer Kriegsgefangener. In Lügumkloster/Løgumkloster wurden 71 russische, französische und belgische Soldaten aus dem nahe gelegenen Gefangenenlager zur letzten Ruhe gebettet. Im alten Amt Tondern findet man insgesamt 95 Gräber russischer Kriegsgefangener. Allein in Lügumkloster waren es 54.

Opa im Krieg

Auch Haases Großvater, Eduard Haase aus Hostrup, war als deutsch gesinnter Soldat im Ersten Weltkrieg. Er wurde 1918 in Frankreich von den Briten gefangen genommen und mit nach England genommen. In Feltham bei London gab es aber nur ein Gefangenenlager für dänisch gesinnte Nordschleswiger. Dort waren schon andere Gefangene aus Hostrup einquartiert. Sie machten sich dafür stark, dass Eduard Haase bei ihnen aufgenommen wurde.

Sein Großvater, dessen Familie aus Pommern stammte, hatte Glück. Denn viel schlechter erging es den deutsch gesinnten Nordschleswigern in russischer Gefangenschaft und in den anderen gegen Deutschland Krieg führenden Nationen. „Sie hatten ein hartes Leben“, erzählt Haase.

 

 

 

Die Bücher „Russiske krigsfanger i Tønder Amt under 1. Verdenskrig“ und „Sønderjyske Krigsfanger i Rusland 1914-18“ sind in der Buchhandlung Jefsen in Tondern erhältlich. Herausgeber sind der Lokalhistorische Verein und das Archiv in der früheren Kommune Tondern, finanziell unterstützt von der russischen Botschaft und „Dansk Kultursamfund af 1910“. 

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