Justiz

Nach Fall aus Nordschleswig: Dutzende fordern Schadenersatz wegen harter Disziplinarstrafen in dänischen Gefängnissen

Nach Fall aus Nordschleswig: Dutzende Klagen wegen harter Disziplinarstrafen

Nach Fall aus Nordschleswig: Klagen wegen zu harter Strafen

Kopenhagen
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Die Justizvollzugsanstalt Reinbek (Renbæk) in Nordschleswig Foto: Kriminalforsorgen

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Jahrelang wurden Inhaftierte isoliert, wenn sie diszipliniert werden sollten. Laut Höchstgericht häufig ohne rechtliche Grundlage. Bis zu 75 Personen wollen jetzt Geld oder Strafverkürzung. Deutlich mehr könnten betroffen sein. Die UN fordert Dänemark seit Jahren zum Umdenken auf.

Zwischen 70 und 75 Personen verlangen Schadenersatz dafür, zu Unrecht im dänischen Strafvollzug mit dem Einsperren in eine sogenannte Strafzelle diszipliniert worden zu sein. Das berichtet die Nachrichtenagentur „Ritzau“ auf Grundlage einer E-Mail der für den Strafvollzug zuständigen Behörde für Kriminalfürsorge.

Vorausgegangen war ein Urteil des dänischen Höchstgerichtes, der höchsten Instanz des dänischen Gerichtswesens. Darin bekam ein ehemaliger Inhaftierter des Gefängnisses in Reinbek (Renbæk) in der Kommune Tondern (Tønder) Recht in seiner Klage, zu Unrecht zwölf Tage lang in einer Strafzelle isoliert worden zu sein.

 

Zellenwand im Vestre Fængsel in Kopenhagen (Archivfoto) Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Was ist eine Strafzelle?

• In Dänemark gibt es drei Stufen von Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug: Erstens die Verwarnung, dann die Strafe und dann die Strafzelle. Dadurch sollen die Grenzen akzeptablen Verhaltens aufgezeigt und Verhaltensänderungen erwirkt werden.

• Personen, die in einer Strafzelle sitzen, werden für mindestens 23 Stunden täglich vom Rest der Gemeinschaft in der Strafvollzugsanstalt ausgeschlossen. Es können bis zu vier Wochen Strafzelle angeordnet werden. Für Jugendliche unter 18 gelten mildere Regeln.

• In den Jahren von 2015 bis 2018 hat sich die Zahl der Strafzellen-Anordnungen fast verdoppelt und ist seither nur leicht zurückgegangen. Die Zahl der langen Strafen von mehr als 14 Tagen ist von 2015 bis 2019 von 7 auf 705 gestiegen.

• Grund sind mehrere Verschärfungen der Regeln für Disziplinarstrafen in den vergangenen Jahren.

• Zudem müssen Inhaftierte, die bestimmte Vergehen begehen, seit 2016 bestraft werden – dies liegt nicht länger im Ermessen der Vollzugsbeamten.

• Als Grund für Isolationshaft gelten u. a. Rauchen in der eigenen Zelle, der Besitz eines Mobiltelefons und unpassender Sprachgebrauch.

• Mehrere Organisationen und Komitees haben die Strafzellenpraxis in Dänemark kritisiert, das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen fordert seit 2016 ihre Abschaffung.

Quellen: menneskeret.dk und dignity.dk

Urteil: Isolationshaft wurde jahrelang auf falscher Grundlage angeordnet

Das Höchstgericht hatte im vergangenen Herbst außerdem entschieden, dass die Disziplinarpraxis im dänischen Strafvollzug über Jahre hinweg nicht rechtmäßig gewesen sei.

In dem konkreten Fall war für den Inhaftierten zwölf Tage Isolationshaft angeordnet worden, weil er einem Mitglied des Personals gegenüber drohend aufgetreten sein soll. Er habe in erregtem Tonfall gefragt, wie es der Familie der Person gehe und sei dabei einen Schritt auf die Person zugegangen.

Die Staatsanwaltschaft hatte damals entschieden, dass dies nicht für einen Prozess ausreiche – womit auch die Grundlage der Isolationshaft entfiel. Die „Disziplinarstrafe war ein unverschuldeter Eingriff“, so das Höchstgericht.

Behörde hat nicht alle möglicherweise Betroffenen informiert

Erst ein halbes Jahr später kontaktierte die Behörde für Kriminalfürsorge den Justizminister in der Angelegenheit, der daraufhin das Folketing informierte.

Die Behörde kündigte zudem an, dass Personen, die auf falscher Grundlage mit Isolation diszipliniert geworden sind, dafür kompensiert werden sollten. Darüber wurde in den Haftanstalten und im Internet aufgeklärt.
Bis zur Frist am 7. August haben sich nun laut Behörde 70 bis 75 Personen gemeldet, die als Schadenersatz eine Haftverkürzung oder Geld bekommen wollen. Eine genauere Zahl habe aus technischen Gründen nicht ermittelt werden können.

Sie mussten 23 Stunden am Tag in Isolation ohne nennenswerten menschlichen Kontakt über Tage hinweg. Intensiver geht es kaum.

Frederik Blicher Jepsen

 

Der Jurist Frederik Blicher Jepsen ist der Meinung, dass die Behörde angesichts der Tausenden Fälle von Isolationshaft in den vergangenen Jahren nicht genug getan habe, um bei ehemaligen Inhaftierten auf die Möglichkeit des Schadenersatzes aufmerksam zu machen. Die Behörde hatte sich geweigert, alle persönlich zu kontaktieren. Die Begründung: Es sei ein zu großer bürokratischer Aufwand, möglicherweise Berechtigte zu ermitteln.

Der Anwalt ist hingegen der Meinung, dass es die Pflicht der Behörde sei, allen die Möglichkeit zum Schadenersatz zu geben. Dies hänge auch mit der Härte der fälschlicherweise vorgenommenen Maßnahmen zusammen. „Sie mussten 23 Stunden am Tag in Isolation ohne nennenswerten menschlichen Kontakt über Tage hinweg. Intensiver geht es kaum“, sagt er.

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