Zukunftspläne

„Ich habe erfahren, wie schnell das Leben vorbei sein kann“

„Ich habe erfahren, wie schnell das Leben vorbei sein kann“

„Ich habe erfahren, wie schnell das Leben vorbei sein kann“

Bettina P. Oesten
Bülderup-Bau/Bylderup-Bov
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In ein paar Jahren möchten Nelda und Deon in See stechen. Am Yachthafen in Apenrade drehen sie regelmäßig eine Runde, um sich schon mal auf ihr nächstes großes Abenteuer einzustimmen. Foto: Karin Riggelsen

Nelda und Deon Deane aus Bülderup-Bau sind das lebende Beispiel dafür, wie man harte Zeiten mit Mut und Vertrauen überwindet und seine Lebensträume nie aus den Augen verliert.

Im Juni 1992 beschließt ein junger Mann, sein afrikanisches Heimatland Simbabwe zu verlassen. Die Gewalt gegen die weißen Farmer des Landes nimmt von Tag zu Tag zu, er fürchtet um sein Leben. Außerdem hat er eine Frau kennengelernt.

Sie lebt in Großbritannien, also nicht gerade um die Ecke. Er möchte unbedingt zu ihr. Einziges Problem: Er kann sich kein Flugticket leisten, und nach Arbeit sucht man als junger weißer Farmer in diesen Jahren in Simbabwe vergeblich.

Mit nicht viel mehr als einem Rucksack und der Kleidung, die er am Körper trägt, macht er sich zu Fuß auf den Weg. Nach anderthalb Jahren ist er am Ziel und kann tatsächlich die Frau seines Herzens in die Arme schließen, wohl wissend, dass die Strapazen, die er auf seiner Odyssee quer durch den afrikanischen Kontinent durchlebt und durchlitten hat, ihn nicht nur einmal das Leben hätten kosten können: 

Auf seinem Treck durch den afrikanischen Kontinent lernte Deon Überlebensstrategien, die ihm seitdem geholfen haben, manch eine Krise zu überwinden. Foto: Karin Riggelsen

Viermal erkrankt er an Malaria und krepiert fast daran. In Kamerun manövriert er sich in eine ausweglose Situation hinein und ist nah am Verhungern. In Somalia gerät er in die Wirren des Bürgerkrieges, bekommt mit, wie US-Soldaten in der Schlacht von Mogadischu herbe Verluste erleiden. 

Gräueltaten

Auch im Sudan herrscht Krieg. Hier arbeitet er eine Zeit lang freiwillig für die UNO, bringt medizinische Hilfsgüter in ein Flüchtlingslager im Südsudan, wird von Rebellen beschossen, überlebt nur knapp. 

Er sieht schwangere Frauen, die mit Bajonetten zu Tode gestochen worden sind, wird Zeuge von ungeheuerlichen Gräueltaten. In Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, stellt er sich dem Roten Kreuz zur Verfügung, das Flüchtlingsfamilien aus dem Sudan betreut. Man legt ihm sterbende Kinder – insgesamt über 30 – in den Arm. 

Die medizinische Versorgung in den RK-Lagern ist katastrophal, er kann nicht viel mehr tun als ihnen ein letztes Gefühl von menschlicher Wärme und Geborgenheit zu geben.

Abwechselnd geht er zu Fuß, reitet auf Kamelen, schwitzt in gerammelt vollen Bussen und Zügen oder sitzt auf Bergen von Zuckerrohr oder Mais auf irgendwelchen Lkw-Ladeflächen, Hauptsache nicht immer zu Fuß durch die trockenen Ebenen Afrikas laufen müssen. 

Er wird ausgeraubt, landet einmal im Knast, weil er einem Beamten widersprochen hat, und muss dort unglaubliche Erniedrigungen erdulden. Es ist der Treck seines Lebens, der ihm nicht nur ganz neue Überlebensstrategien an die Hand gibt, sondern auch Eindrücke und Einblicke eröffnet, an denen er bis heute schwer zu knabbern hat.

Zurück zur Normalität

Im Dezember 1993 hat Deon Deane, so der Name des jungen Mannes, schließlich sein Ziel erreicht. Er heiratet die Frau, für die er im wahrsten Sinne durchs Feuer gegangen ist, wird Vater von zwei Kindern, lebt ein ganz normales Familienleben. 

Nach über zehn Jahren dann die Trennung. Auf der Suche nach Arbeit verschlägt es ihn 2008 nach Nordirland. In einer Brotfabrik lernt er Nelda kennen und lieben. Auch sie ist auf einer Farm aufgewachsen, im lettischen Roja.

Mit Anfang 20 lernte Nelda ihren Mann Deon kennen. Seitdem ist das Paar unzertrennlich. Foto: Karin Riggelsen

Als die Verhältnisse in der Fabrik immer unerträglicher werden, beschließen sie, es in Lettland mit der Viehzucht zu versuchen. Ihr Vater, selbst Milchlandwirt, schenkt ihnen zum Einstand zwei Rinder, bis 2014 können sie sich trotz internationaler Finanzkrise mit zuletzt 15 Rindern einigermaßen über Wasser halten. 

Doch dann machen ihnen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Denn auf die Sanktionen antwortet Russland mit Gegensanktionen, die insbesondere in den baltischen Staaten mit voller Härte einschlagen.

Im Mai 2014 kommt das Paar das erste Mal nach Dänemark, heuert bei einem nordschleswigschen Landwirt als Erntehelfer an. 

Noch ist in Lettland nicht alles verloren, und mit dem gesparten Geld aus der dreimonatigen Saisonarbeit können sie sich vielleicht einen Traktor kaufen und ihren Kleinbetrieb etwas aufrüsten, so ihre Hoffnung.

Außerdem haben beide einen Nebenjob in einer lettischen Fischfabrik. Zusammen verdienen sie dort etwa 500 Euro im Monat.

Doch irgendwann müssen Nelda und Deon einsehen: Das Geld reicht hinten und vorne nicht, und ein Ende der lettischen Wirtschaftskrise ist nicht in Sicht.

Das Angebot ihres dänischen Saison-Arbeitgebers kommt da gerade richtig. Er bietet ihnen feste Jobs an, sie schlagen ein, verkaufen ihren kleinen landwirtschaftlichen Betrieb in Roja. Der Erlös reicht für den Erwerb einer Immobilie in Bülderup-Bau, ihr neues Zuhause.

Rückschlag

Alles sieht nach einem guten Neuanfang aus. Bis Deon 2016 während der Feldarbeit einen  Herzinfarkt erleidet. „Den dänischen Ärzten habe ich zu verdanken, dass ich überhaupt noch am Leben bin, denn es sah nicht gut aus“, sagt der 53-Jährige.

In Nordirland lernten sie sich kennen, in Lettland hatten sie eine kleine Rinderfarm, jetzt leben Nelda und Deon in Bülderup-Bau. Foto: Karin Riggelsen

 

Er erholt sich nur langsam, kann nicht arbeiten, mit Neldas Gehalt kommen sie knapp über die Runden. 

„Kaum war Deon halbwegs wiederhergestellt, da fiel ich aus“, erzählt die 31-jährige Nelda. Bei ihr wird eine schwere Chemikalien-Unverträglichkeit diagnostiziert, die besonders an Händen und Füßen deutliche Spuren hinterlässt. Notgedrungen muss sie die Arbeit ruhen lassen.

Inzwischen hat Deon bei Kohberg Arbeit gefunden, während Nelda auf Arbeitssuche ist. Als gelernte Bäckerin könnte sie sich gut vorstellen, wieder in ihren alten Beruf einzusteigen. Bis es so weit ist, lernt sie fleißig Dänisch und überlegt, ob sie – Plan B – den Gabelstapler-Führerschein erwerben soll. Schaden kann es ja nicht.

Alles wieder gut? Ja, so weit schon, bestätigt das sympathische Paar. Der Lebensrhythmus läuft wieder normal, und das ist keine Selbstverständlichkeit. Das wissen beide nur zu gut.

Ich habe gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und das Leben im Hier und Jetzt zu genießen in dem Bewusstsein, dass es nicht ewig währt.

Deon Deane

Es gibt aber neue Pläne. In ein paar Jahren, wenn ihr Haus abbezahlt ist, möchten sie es verkaufen, ein Segelboot erwerben und damit auf unbestimmte Zeit in See stechen, neue Länder und Menschen kennenlernen, da Hilfe leisten, wo sie gebraucht wird, z. B. in Afrika.

„Damals, auf meinem Treck durch Afrika, und auch später, als ich den Herzinfarkt erlitt, habe ich erfahren, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Man sollte seine Lebensträume ab einem gewissen Alter nicht auf die lange Bank schieben. Ich habe gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und das Leben im Hier und Jetzt zu genießen in dem Bewusstsein, dass es nicht ewig währt“, sagt Deon, der seine Frau schnell von der Idee einer Segel-Odyssee überzeugen konnte.

„Wir wissen, was es heißt, das Vertraute loszulassen und sich auf neue Wege zu begeben. Für viele Menschen ist so etwas mit Angst verbunden, für uns nicht. Wir haben beide ein gesundes Gottvertrauen, das uns schon oft geholfen hat, schwierige Situationen zu meistern. Wir freuen uns einfach auf neue Abenteuer und Lebenserfahrungen“, so Nelda mit einem zuversichtlichen Lächeln, bevor sie sich bei Deon einhakt und beide bei strömendem Regen über den Bootssteg am Apenrader Yachthafen laufen. 

Man merkt: Sie sind in Gedanken schon auf den sieben Weltmeeren unterwegs. Jetzt muss nur noch das richtige Boot gefunden werden.

Foto: Karin Riggelsen
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