Leitartikel

„Weshalb wir mit dem Auto zur Arbeit fahren? Weil wir es können“

Weshalb wir mit dem Auto zur Arbeit fahren? Weil wir es können

Weshalb wir mit dem Auto fahren? Weil wir es können

Apenrade/Aabenraa
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Fahrrad auf Landstraße
Auf der Landstraße ist die Radfahrt oft idyllisch – gerade bei widrigem Wetter und schlechter Sicht jedoch auch gefährlich (Symbolfoto). Foto: Christine Humes/Unsplash

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In Dänemark wird weniger Fahrrad gefahren als früher. Kein Wunder, meint Cornelius von Tiedemann. Wir haben es ja auch nicht mehr nötig. Den Trend wieder umzukehren wird schwer, meint er – und hat eine Lösung parat, die ihm selbst ein wenig Angst macht.

Die Menschen in Dänemark fahren weniger Fahrrad als noch vor 20 Jahren. Daran ändert auch die Begeisterung rund um den Tourstart nichts.

 

Wie kann das sein? Sicher ist: Die zahllosen Fahrräder, die allerorten entlang der Tour-Strecke in Dänemark gelb angemalt in der Gegend stehen, anstatt gefahren zu werden – sie sind nicht Schuld daran. Ein Fahrradmangel herrscht dennoch nicht.

 

Auch wurde die Fahrrad-Infrastruktur ausgebaut, zumindest Kopenhagen rühmt sich damit, neben Amsterdam die Radfahr-Metropole schlechthin zu sein und kein Fortbewegungsmittel passt besser in die grüne Welle als das Zweirad. Es gibt weniger Unfälle mit Fahrrädern und die Aussicht, dass die Fahrrad-Wege in den kommenden Jahren noch einmal deutlich ausgebaut werden.

Zugleich aber hat sich in Dänemark eine Auto-Kultur durchgesetzt, die es in diesem Ausmaß früher nicht gegeben hat.

Einerseits fahren mehr Menschen Auto, weil Autos, wenngleich im internationalen Vergleich noch immer aberwitzig teuer, in Dänemark inzwischen auch für jüngere Menschen erschwinglich sind – zum Beispiel über „attraktive“ Kredite.

Andererseits, weil sie als Statussymbol funktionieren. Der klobige SUV hat, nach der Delle der Krisenjahre, längst nach Dänemark zurückgefunden. Kinder, die früher zur Schule geradelt wären, werden heute, wie im amerikanischen Netflix-Film, mit dem Familienpanzer vorgefahren.

Wer Klimabewusstsein und finanziellen Spielraum zugleich zur Schau tragen will, rollt im neuesten Elektroauto an, das aller unbestreitbaren Vorzüge zum Trotze noch immer schlechter für die Umwelt ist als gar kein Auto.   

Und nur weil keine Abgase hinten herauskommen, ist es auch nicht sonderlich gesund, im Auto sitzend durch die Weltgeschichte zu gleiten.

Das Perfide: Selbst das Fahrrad an sich ist inzwischen zum Statussymbol geworden. Radgefahren wird weniger im Alltag als vielmehr in der Freizeit. Am besten mit Elasthan-Anzug und ultraleichtem Profi-Rennrad. Seht her, ich fahre Fahrrad!

Was also tun, um die Entwicklung umzukehren?

Den Wohlstand abzuschaffen und die Menschen so wieder aufs Fahrrad zu zwingen, ist eben sowenig eine Option, wie den Einfluss der noch heftiger als die deutsche vom Autowahn befallenen amerikanischen Kultur künstlich eindämmen zu wollen.

Die Regierung will in den Kindergärten ansetzen und die Kleinsten vom Zweirad überzeugen.

Hoffentlich wird dabei auch daran gedacht, die Eltern gleich mitzuüberzeugen.

Für uns in Nordschleswig wäre es wichtig, dass anders als bisher massiv in den Ausbau sicherer Radwege quer durchs (Niemands-) Land investiert wird. Denn hier fährt kaum jemand über Land mit dem Rad zur Arbeit.

Vielleicht ist es nicht gefährlicher geworden. Aber das Bedürfnis nach Sicherheit ist ganz bestimmt viel größer geworden als früher – sonst würden wir uns doch nicht in viel zu großen Autos verschanzen.

Letztlich hilft aber vor allem der persönliche Einsatz jener, die etwas verändern wollen. Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, könnte eine Kollegin herausfordern: Komm, wir fahren zusammen, wenigstens einmal die Woche!

Wenn der Funke überspringt, ändern sich Verhaltensmuster und Gewohnheiten. Nicht nur bei der Kollegin, sondern vielleicht ja auch in deren Familie.

Als Verfasser dieser Zeilen wiege ich mich mangels radelnder Kolleginnen und Kollegen entlang meines Arbeitsweges noch in Sicherheit vor einer solchen Aufforderung – und steige wohl vorerst weiter allmorgendlich in mein fahrendes Sofa.

Denn neben Status und Sicherheit gibt es da ja auch noch das mächtigste aller Argumente für das Auto: Die Bequemlichkeit.

 

 

 

 

 

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