Grenzland

Mehr Gehalt, dänisches Arbeitsklima: Warum Pfleger Chrissi Becker von Langballig nach Ekensund pendelt

Warum Pfleger Chrissi Becker von Langballig nach Ekensund pendelt

Warum ein Pfleger von Langballig nach Ekensund pendelt

Mira Nagar/shz.de
Langballig/Egernsund
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Grenzübergang Krusau: Grenzpendler Chrissi Becker fährt fast täglich von Langballig nach Egernsund. Foto: Michael Staudt/shz.de

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„Nach dem ersten Lohn habe ich fast geweint“, sagt Pfleger Chrissi Becker. In Dänemark verdient man bekanntermaßen mehr. Doch es gibt noch weitere Vorteile für Grenzpendler.

Der Tag hat für die meisten noch nicht richtig angefangen. Es ist dunkel und nass, die Classic-Tankstelle in Langballig hat um kurz vor 6 Uhr eigentlich noch nicht geöffnet. Aber wenn sie da sind, um die Brötchen für die frühen Pendler zu schmieren, dann ist bei Ute Schröder und Tanja Wendorf auch meist schon Betrieb. Chrissi Becker zum Beispiel kommt morgens oft zum Tanken und manchmal noch für einen Kaffee. „Die sind hier alle ganz herzlich und lieb“, sagt er. „Oft reden wir noch ein bisschen.“ Der 47-Jährige sucht sich in seinem Alltag die Orte und Menschen aus, die freundlich und herzlich sind.

Der Pfleger aus Langballig ist Grenzpendler und eine gute Dreiviertel Stunde pro Strecke unterwegs. „Auf der Nordstraße ist es schon manchmal turbulent: Sehr viele Rehe, Blitzeis, manchmal kommt jemand entgegen“, sagt Becker. Einmal um die Flensburger Förde herum und über die Grenze. Sein Ziel: Ekensund (Egernsund) in Dänemark. Dort ist er im Reha-Team von Distrikt Fjord angestellt, hilft Menschen dabei, ihre Krankheiten und Verletzungen zu überwinden.

Das doppelte Gehalt – und das bessere Arbeitsklima

Warum Chrissi Becker fast täglich um die Flensburger Förde pendelt, lässt sich schnell erklären. An der deutsch-dänischen Grenze entlang verlaufen gleich zweierlei Gefälle. Das Gehalt – in Dänemark bekanntlich höher – ist nur eines davon. Das andere ist das Arbeitsklima. Spricht man mit Menschen, die beide Seiten kennen, sagen sie oft: In Deutschland würden sie nicht nochmal arbeiten wollen.

Vor allem in der Pflege stehen die deutschen Arbeitsbedingungen schon lange in der Kritik. Herausfordernde Arbeit unter Zeitdruck – in Deutschland wird zuweilen versucht, aus den Arbeitnehmern extra viel herauszupressen. Ausgerechnet in der Pflege allzu oft auch noch zu einem unangemessenen Gehalt.

Mutter unterstützte Umschulung zum Pfleger

„Ich hatte brutto 1,6 oder 1,4 und damals hatte ich ja auch eine 40 Stunden-Woche“, erinnert sich Becker an die Jahre im deutschen Gesundheitswesen. Vor allem in der Ausbildung war das Geld knapp. Mit kleiner Wohnung und kleinem Lupo konnte sich der ehemalige Straßenbauer die Umschulung zum Pfleger aber dennoch leisten – auch weil seine Mutter „das Nesthäkchen unter den zwölf Geschwistern“ unterstützte.

In Dänemark hingegen arbeite man 37 Stunden pro Woche. Mit Aufschlägen für Sonntagsdienste komme man dabei zu einem wesentlich höheren Einkommen, in etwa doppelt so hoch wie in Deutschland, schätzt Becker. „Moms und Skat sind ja auch recht hoch sind in Dänemark.“ Damit sind Mehrwertsteuern und Steuern gemeint.

Doch auch in Dänemark werden Pfleger gesucht. „Die brauchten dringend Pflegekräfte – wir waren 65, die eingeladen wurden“, erinnert sich Becker an den Anwerbungsversuch aus dem Königreich. Und da ein Teil seiner Familie Dänisch ist, probierte er es einfach und entschied sich für eine Schulung in Vejle.

Mit mehr Berufsjahren komme man als Pfleger in Dänemark zu einem soliden Gehalt. „Letztes Jahr zu Weihnachten, als sie mich viel brauchten, habe ich dann auch mal 30.000 Kronen verdient“, sagt Becker. „Das sind etwa 4000 Euro.“

Zeit und Geld auf der Straße lassen

Ein Teil davon landet – wie bei vielen Pendlern – im Tank. Doch auch ein Teil der Freizeit geht für die Pendelei drauf. Fast zwei Stunden pro Tag verbringt Chrissi Becker auf den Straßen um die Förde. Für den leidenschaftlichen Sänger ist das eine Zeit, in der er Songs hört, meist läuft Radio Bob, oder an seinen eigenen Liedern arbeitet. So entsteht auch sein neues Album zum Teil „on the road“. Ein Lied darauf wird auch „Straße der Träume“ sein.

Die Straßen sind dunkel, leer und nicht wirklich traumhaft an diesem Morgen, kurz vor Dänemark. Chrissi Becker stoppt kurz an der Grenze bei Krusau. Scheinwerfer beleuchten die Geschwindigkeits-Hubbel. Die Kontrollhäuschen, die einst mit dem Schengener Abkommen überflüssig wurden, sind seit 2016 wieder besetzt und Dänemark kontrolliert wieder. Die Politik dahinter ist umstritten, doch Chrissi Becker sieht mehr die Menschen dahinter und grüßt freundlich auf Dänisch, zeigt seine Dokumente und fragt, was es Neues gibt. Es ist nur ein Moment, ein paar Sätze, aber für Becker sind sie wichtig, diese Freundlichkeiten am Rande.

Mehr Hygge, mehr Rücksicht

Und so ist auch bei der Arbeit Geld nicht alles. Becker ist auch vom dänischen Arbeitsklima überzeugt. „Der Unterschied ist wie Tag und Nacht, schon von der Menschlichkeit her“, sagt Becker. „Erstmal hast du das Du mit den Mitarbeitern und den Bewohnern. So dass die auch ihren Namen immer wieder hören. Bei Dementen brichst du damit einfach besser durch, wenn sie ihren Vornamen hören und nicht den Nachnamen.“

Doch es gebe noch weitere kulturelle Unterschiede: „In Deutschland haben wir eine Leitung die sagt, was abgearbeitet werden muss, das macht man und dann geht man nach Hause.“ Er habe in Dänemark die Erfahrung gemacht, dass über alles gesprochen werde – und Rücksicht genommen werde, wenn es einem nicht gut gehe. Deutschland sei distanzierter, „so dass man an die Menschen nicht wirklich herankommt.“ In Dänemark werde man menschlich angenommen. „So wie man ist und das, was man gibt. Es ist mehr Hygge und dieses Gemütliche.“

Um 7 Uhr, wenn andere zur Arbeit aufbrechen, startet Chrissi Becker dann in seinen eigentlichen Arbeitstag. Etwa 20 Patienten besucht er und hilft ihnen beim Alltag, von Stützstrümpfen anziehen bis Smørrebrød herrichten. Und mit Zeit für Herzlichkeit.

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