Dänemark

Grenzkontrollen: Sicherheits-Experte fordert sofortiges Aus

Grenzkontrollen: Sicherheits-Experte fordert sofortiges Aus

Grenzkontrollen: Sicherheits-Experte fordert sofortiges Aus

Frank Jung/shz.de
Flensburg/Odense
Zuletzt aktualisiert um:
„Symbol nationaler Selbstbestimmung“: Mit seinen Grenzkontrollen erzeugt Dänemark auf schleswig-holsteinischem Gebiet oft kilometerlange Staus - und Ärger. Foto: Karin Riggelsen

Diesen Artikel vorlesen lassen.

In Schleswig-Holstein sind die 2016 begonnenen dänischen Grenzkontrollen umstritten – es regt sich auch in Dänemark von einem ausgewiesenen Experten für innere Sicherheit massive Kritik. Adam Diderichsen, Polizeiforscher an der Süddänischen Universität in Odense, erklärt im Interview, warum er die Kontrollen für rechtswidrig und nutzlos hält.

Bringen die Grenzkontrollen Dänemark mehr Sicherheit?

Diderichsen: In Situationen, wo es einen Strom unerlaubter Einreisen gibt, wie während der Flüchtlingskrise 2015/16, können Grenzkontrollen solche verhindern. Aber als ein generelles Mittel für mehr Sicherheit in Dänemark sind sie teuer und ineffektiv.  Sie können organisierte Kriminalität nicht außer Landes halten. Und es gibt auch aktuell nicht in größerem Umfang Versuche illegaler Einreisen aus anderen Schengen-Staaten. Es ist höchste Zeit, dass Politikerinnen und Politiker, die ein Verantwortungsgefühl für die Verwendung von Steuergeldern haben, zur Besinnung kommen und sich von den Grenzkontrollen verabschieden.

Welchen Preis zahlt Dänemark dafür, dass so viele Ressourcen der Polizei an der Grenze gebunden sind?

Eine Zeit lang hat das Militär einen größeren Teil der Grenzkontrollen erledigt. Aber seit Russlands Überfall auf die Ukraine müssen sich die dänischen Soldatinnen und Soldaten auf andere Aufgaben konzentrieren. Stattdessen muss die Polizei wieder viele Kräfte für die Grenzkontrollen aufbieten. In Stellen umgerechnet, entspricht der Aufwand für die Grenzkontrollen 250 Personen, die sich mit nichts anderem beschäftigen – egal, welcher Anteil der Arbeit von der Polizei oder vom Militär getragen wird.

Adam Diderichsen Foto: SDU

Wozu könnte Dänemark die Polizistinnen und Polizisten denn besser gebrauchen als an der Grenze?

Das ist eine Frage der politischen Prioritäten. Zum Beispiel, um den Kampf gegen die organisierte Kriminalität auszubauen, die mit illegaler Einreise nur wenig zu tun hat. Dafür sind zielgerichtetere Ermittlungen wesentlich Erfolg versprechender als Grenzkontrollen. Oder man könnte die Polizistinnen und Polizisten für eine schnellere Aufklärung von Einbrüchen und Ladendiebstählen nutzen – kriminalistisch vielleicht eher nachrangige Dinge, aber für die Betroffenen haben sie trotzdem eine große Bedeutung. Generell gibt es innerhalb der dänischen Polizei Klagen, dass sie personell zu schmal aufgestellt ist, um ihre Aufgaben ordentlich zu erledigen.

Warum hält der allergrößte Teil der dänischen Politik trotzdem an den Grenzkontrollen fest?

Eine gute Frage. Ich glaube, die offiziell geäußerte Begründung hat nichts mit der wahren Begründung zu tun. Es fällt mir schwer, gute Gründe zu erkennen. Alle offiziell von der Regierung angegebenen Rechtfertigungen halte ich für unglaubwürdig und für schlechte Entschuldigungen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, dass noch jemand mit der Klimakrise als Begründung kommt, weil Autofahrer durch die Kontrollen kurz langsamer fahren müssen. Es wirkt so, als ob die Politiker den Eindruck haben, dass Grenzkontrollen bei bestimmten Wählergruppen populär sind und dass man sie deshalb aufrechterhält. Aber laut sagt das keiner. Grenzkontrollen sind eine Symbolhandlung geworden für nationale Selbstbestimmung und einen festen Griff um die Einwanderungs-Thematik, aber auf eine ziemlich diffuse Weise.

Welche Wählerinnen- und Wählergruppen, bei denen das populär ist, haben sie vor Augen?

Das weiß ich nicht mit Sicherheit. Aber da sowohl die allermeisten Parteien aus dem rechten und bürgerlichen Spektrum als auch die Sozialdemokratie für Grenzkontrollen eintreten, müssen es offenbar viele Wählergruppen sein. 

Wann hätten die Grenzkontrollen denn Ihrer Ansicht nach spätestens aufgehoben werden müssen?

Als die Flüchtlingskrise, die zu ihrer Einführung geführt hat, überstanden war, spätestens 2017.

Was halten Sie von der aktuellen Begründung für die abermalige Verlängerung – den Ukraine-Krieg?

Die kommt mir noch stärker als frühere an den Haaren herbeigezogen vor. Es wirkt so, als gingen den Beamtinnen und Beamten im Ministerium die Argumente aus. Grenzkontrollen haben nun wirklich überhaupt keinen Bezug zur Ukraine-Krise. Ukrainische Flüchtlinge dürfen ja sowieso nach Dänemark einreisen. Und wenn man damit russische Emigranten aufhalten möchte – dann können sie ja nur über Deutschland kommen, und wenn sie das tun, sind sie ja schon legal im Schengen-Gebiet und haben dann auch das Recht, nach Dänemark weiterzufahren.

Die EU-Kommissionspräsidentin hat im Sommer zumindest vorsichtige Zweifel daran erkennen lassen, ob die ständig verlängerten dänischen Grenzkontrollen noch in Übereinstimmung mit den Schengen-Regeln sind und eine genauere Prüfung angekündigt. Stehen sie Ihrer Einschätzung nach noch in Übereinstimmung mit den Schengen-Regeln?

Das sehe ich nicht. Demzufolge dürfen Kontrollen ja nur befristet sein. Bei jetzt sechs, sieben Jahren kann man das nicht mehr als befristet bezeichnen. Es wundert mich, dass man seitens der EU-Kommission nicht kräftiger auf die Bremse tritt.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Offenbar scheut man einen politischen Konflikt. Die Begründungen der dänischen Regierung sind so schlecht, dass das auch die EU-Kommission erkennen müsste.

Im gerade abgeschlossenen dänischen Wahlkampf ist Ex-Staatsminister Lars Løkke Rasmussen auf vorsichtige Distanz zu den Grenzkontrollen gegangen. Dabei hat eine von ihm geführte Regierung sie eingeführt. Was sagt Ihnen das?

Das zeigt, dass es im politischen Dänemark einen Aufbruch geben könnte. Man beginnt dort, die Sinnlosigkeit zu erkennen und sucht nach einem Ausweg – ohne ausdrücklich sagen zu müssen, dass man die Kontrollen aufhebt.

Welche Entwicklung sehen sie denn, die die Grenzkontrollen verschwinden lassen könnte?

Die dänischen Politikerinnen und Politiker haben sich ja selbst in eine schwierige Lage gebracht. Sie haben kein Erfolgskriterium definiert, als sie die Grenzkontrollen eingeführt haben. Das lässt dann auch eine klare Messlatte für eine Aufhebung entfallen. Eine Möglichkeit, um weiterzukommen, könnte sein, dass man zu einer sogenannten elektronischen Grenzkontrolle übergeht. Dieser Begriff taucht zumindest plötzlich in der politischen Debatte auf. Zum Beispiel die konservative Partei hat ihn in Umlauf gebracht.

Was soll der Begriff denn bedeuten?

Das wissen wahrscheinlich auch diejenigen, die ihn verwenden, nicht so genau. Was auch immer das sein mag, gemeint wäre damit ja eine Art und Weise, die Grenze einfacher überqueren zu können. Physische Kontrollen würden dann heruntergestuft. Es kann sein, dass das als ein anderer Begriff für automatische Kennzeichen-Scanner zu verstehen wäre.

Aber die gibt es doch schon an allen großen Grenzübergängen.

Genau. Aber die könnten ja künftig elektronische Grenzkontrolle genannt werden. Aber das rate ich jetzt nur.

Schleswig-holsteinische Politiker ergehen sich gern in Protesten gegen die dänischen Grenzkontrollen. Bringt das in der dänischen Debatte etwas?

Es kann nicht schaden. Aber viel hört man in dänischen Medien nicht darüber, zumindest nicht landesweit.

Weiterlesen: Zwei dänische Sicherheitsexperten sind anderer Meinung als Adam Diderichsen und erklären im Interview, warum die Grenzkontrollen durchaus einen Zweck erfüllen:

Mehr lesen

VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
„Sudan am Rande einer Hungersnot“

Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“

Mobilität

Dänemark sichert Millionen Kronen für grenzüberschreitenden Bahnverkehr zu

Apenrade/Aabenraa Dänemark und die schleswig-holsteinische Nahverkehrsgesellschaft Nah.SH arbeiten an der Umsetzung des künftigen Regionalverkehrs im Grenzland. Wie aus einem zuvor vertraulichen Papier des Transportministeriums hervorgeht, wird Dänemark Neuanschaffungen und Umrüstungen von deutschen Zügen mitfinanzieren, die ab 2027 bis nach Tingleff rollen sollen. Nicht alle sind glücklich über diese Lösung.

Deutsche Regionalbahnen sollen ab 2027 bis nach Tingleff fahren.