Schulen im Grenzland

„Es fehlt eine konkrete Minderheitenpädagogik“

„Es fehlt eine konkrete Minderheitenpädagogik“

„Es fehlt eine konkrete Minderheitenpädagogik“

Apenrade/Aabenraa
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Schüler
Schüler in Nordschleswig (Archivfoto). Foto: Karin Riggelsen

Camilla Franziska Hansen hat den Unterricht an Schulen in Nord- und Südschleswig unter die wissenschaftliche Lupe genommen. Die Minorität könnte mehr gestärkt werden, so ihre Bilanz.

Camilla Franziska Hansen hat kürzlich an der Süddänischen Universität ihre Doktorarbeit erfolgreich verteidigt.  Sie hat sich im Rahmen ihrer Forschung angeschaut, wie Lehrer an den Schulen in Nord- und Südschleswig Minderheit (u. a. Sprache, Kultur, Grenzland) vermitteln und vor welchen Herausforderungen sie durch die Zweisprachigkeit der Schüler stehen. 

Ihr Fazit: Vieles funktioniert an den Minderheitenschulen – doch es kann noch besser sein. So empfiehlt die Forscherin die Weiterbildung von Lehrern, sodass sie in höherem Maße minderheitenpädagogische Aspekte in den Unterricht einbeziehen. Den Schulvereinen, Deutscher Schul- und Sprachverein und Dansk Skoleforening for Sydslesvig, rät sie, die pädagogischen und sprachlichen Richtlinien weiterzuentwickeln, nach denen die Lehrer arbeiten, denn der Großteil der Schüler spricht nur in der Schule die Minderheitensprache.

Du hast die Arbeit von Lehrern an deutschen Schulen in Nordschleswig und dänischen Schulen in Südschleswig beobachtet. Welche Herausforderungen hast du festgestellt?

Es fehlt eine allgemein gültige Minderheitenpädagogik.

Was bedeutet das?

An den Schulen des Deutschen Schul- und Sprachvereins (DSSV) und des Skoleforeningen wird in einer Minderheitensprache unterrichtet. Die Zweisprachigkeit wird dabei zu wenig berücksichtigt, wobei sie zur Kultur der Minderheit dazugehört. Meine Forschung hat gezeigt, dass es Lehrer gibt, die – ohne es eigentlich zu wissen – Methoden anwenden, die beide Sprachen fördern – und damit auch die Kultur.  Sie haben eine Minderheitenpädagogik entwickelt. Meist sind das Lehrer, die schon länger an einer Minderheitenschule unterrichten. Zum Beispiel hat eine Lehrerin mit 20 Jahren Erfahrung an einer deutschen Schule in Nordschleswig im Deutschunterricht dänische Begriffe verwendet und so die beiden Sprachen miteinander verglichen und verknüpft. Das nennt sich kontrastiver Unterricht und ist in der Minderheitenpädagogik ein wichtiger Bestandteil, denn dadurch werden beide Sprachen aktiv in den Unterricht einbezogen.

Das war ein Beispiel für funktionierende Minderheitenpädagogik. Welche Beispiele hast du beobachtet, die von Nachteil sind?

Eine Lehrerin hat bei meinem Unterrichtsbesuch zum großen Teil vor der Klasse gestanden und ausschließlich Frontalunterricht praktiziert, bei dem sie den meisten Teil der Zeit gesprochen hat. Die Schüler, weil zweisprachig, sollen gerne selbst und so oft wie möglich Spracherfahrungen sammeln. Lehrer müssen ab und zu etwas erklären – nur eben nicht eine ganze Schulstunde. Sprachen müssen in den Unterricht einbezogen werden. Ebenfalls nachteilig ist es, sprachliche Fehler des Schülers beispielweise im Biologieunterricht zu verbessern. Es geht um das Fach und nicht um die Sprache. Passiert das ständig, traut sich der Schüler letztlich nicht, sich am Unterricht zu beteiligen. So war es die Vorgabe, dass an den Schulen in der Minderheitensprache unterrichtet wird. Davon sind wir inzwischen abgegangen. Es ist wichtig, dass das ganze sprachliche Repertoire der Schüler ausgenutzt wird, und das besteht in Nord- und Südschleswig aus zwei Sprachen – Dänisch und Deutsch. 

Welche Möglichkeiten bietest du an, um solche Probleme in den Griff zu bekommen?

Meine Forschung hat einige Herausforderungen an den Tag gebracht. Wir sind nun dabei, Unterrichtsmaterial für die Grundschule (Unterstufe) zu erstellen, das sich speziell an zweisprachige Schüler richtet und das sich auf beide Sprachen bezieht. Somit wird das ganze sprachliche Repertoire der Schüler anerkannt und respektiert. Außerdem ist es schon sinnvoll, wenn Deutsch- und Dänischlehrer sich absprechen und ihren Unterricht aufeinander abstimmen. So kann zum Beispiel   in beiden Fächern derselbe Buchstabe eingeführt werden. Das hilft den Kindern zu erkennen, dass beide Sprachen zusammenhängen und -gehören.  Dazu gehört aber, dass die Lehrer darin geschult sind, also die Minderheitenpädagogik kennen. Außerdem sollten neue Lehrer von dem Wissen erfahrener Kollegen profitieren. Das geht zum Beispiel durch Unterrichtsbesuche.

Eine spezielle Minderheitenpädagogik wird allerdings bisher nicht praktiziert.  Das stellst du in deiner Arbeit fest.  Welche Lösungen schlägst du nach der Untersuchung vor?

Viele Lehrer sehen sich nicht als Minderheitenpädagogen. Das geht aus meiner Befragung hervor. Der Idealfall wäre natürlich, der Lehrer kommt aus der Minderheit. So wird die Kultur und damit auch die Sprache am einfachsten weitervermittelt. Das lässt sich jedoch kaum erreichen, denn das Personal der Schulen hat die unterschiedlichsten Voraussetzungen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Lehrer an den Minderheitenschulen weiterbilden. Am UC Syd gibt es beispielsweise das Modul Minderheitenpädagogik. Ein Anfang wären schon kurze Fortbildungseinheiten, die zum Beispiel im Rahmen der pädagogischen Tage durchgeführt werden könnten. Es müsste jedoch dafür gesorgt werden, dass die neuen Kenntnisse umgesetzt werden. Wir planen, sogenannte Best-Practice-Beispiele zu sammeln, die bald zugänglich sein sollen. Darin werden Unterrichtsbeispiele und Unterrichtsverläufe zur Verfügung gestellt. Außerdem müssen die Schulvereine überlegen, wo sie hinwollen. Das heißt also, klare Vorgaben an die Lehrer machen, welche Erwartungen an sie gestellt sind, wenn sie an den Schulen von DSSV und Skoleforeningen arbeiten. Ihnen müssen Richtlinien gegeben werden, nach denen sie arbeiten – sprachlich und kulturell. Werte müssen entwickelt werden. Ein großer Vorteil ist beispielsweise, wenn der Lehrer beide Sprachen beherrscht. Dabei ist es gar nicht mal so wichtig, dass das auf muttersprachlichem Niveau passiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass theoretisches und wissenschaftliches Wissen mit Praxiserfahrungen kombiniert werden sollte, um daraus  passformgerechte  Fortbildungen zu schneidern.

Mit welchen Ergebnissen rechnest du, wenn deine Vorschläge umgesetzt werden?

In erster Linie führt es bei den Schülern zu mehr Spaß an den Sprachen. Vorher war es das Muss, die zweite Sprache zu sprechen.  Das wird zu einem „Ich kann und will“. Ich kann mich dran erinnern, dass wir an den dänischen Schulen in Südschleswig nur Dänisch sprechen sollten. Dabei wird jedoch ein Teil der Identität der Schüler ignoriert, und das ist kontraproduktiv und kann dazu führen, dass die Schüler sich gegen die Minderheitensprache wenden. Das muss geändert werden.  Durch neue pädagogische Konzepte, die beide Sprachen und beide Kulturen einbeziehen, würden sich die Schüler wahrscheinlich in höherem Maße mit der Minderheit identifizieren. Außerdem wird die Arbeit der Lehrer erleichtert, wenn sie Materialien und Methoden im Werkzeugkasten haben. So können sie besser mit den verschiedenen Herausforderungen, die die Zweisprachigkeit der Schüler mit sich bringt, umgehen. Das Unterrichten wird dadurch einfacher und für beide Seiten motivierender.

Camilla Franziska Hansen
Camilla Hansen bei der Verteidigung ihrer Dorktorarbeit an der SDU in Odense. Foto: Georg Buhl, FLA

Camilla Franziska Hansen wuchs  in der dänischen Minderheit in Deutschland auf. An der Kopenhagener Universität machte sie ihren Master im Fach Soziologie. Das Thema lautete: Minderheitenpädagogik in der Praxis. Kürzlich verteidigte sie an der Süddänischen Universität in Odense erfolgreich ihre Doktorarbeit, in der sie die Minderheitenpädagogik in Nord- und Südschleswig untersuchte. In der Arbeit gibt sie konkrete Empfehlungen an die Institutionen, Organisationen und Vereine der deutschen und dänischen Minderheiten im Grenzland. Ihre wissenschaftlichen Begleiter waren Lektor Jørgen Gleerup und Alexander von Oettingen. Zum Prüfungsausschuss gehörten die Vorsitzende Lektorin Tina Høgh (Institut für Kulturwissenschaften), Professorin Anne Holemen (Kopenhagener Universität) sowie  Professorin Kerstin von Brömssen (Högskolan Väst, Trollhättan, Schweden).  Als direkte Folge aus ihrer Forschung hat das Center für Minderheitenpädagogik am UC Syd  Mittel aus dem Interreg-Topf von Kurskultur erhalten, um Unterrichtsmaterial für die Minderheitenschulen herzustellen. Außerdem wird dort nun ein Modul „Minderheitenpädagogik“ angeboten. Camilla Hansen  überlegt nun, ein praxisorientiertes Buch   über Minderheitenpädagigk zu verfassen.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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