Identität

Jugendliche der Minderheit: „Da sind wir typisch deutsch“

Jugendliche der Minderheit: „Da sind wir typisch deutsch“

Jugendliche der Minderheit: „Da sind wir typisch deutsch“

Sonderburg/Sønderborg
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Jeremias Thomsen und Marco Hymøller sind im Grenzland zuhause – hier in der Sonderburger Innenstadt. Foto: Sara Wasmund

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Was bedeutet es für einen Jugendlichen im Jahr 2020, Teil der deutschen Minderheit zu sein? Zwei 17-Jährige erzählen von ihrem Alltag zwischen zwei Kulturen und Sprachen.

Der eine ist als Kind von Deutschland nach Nordschleswig gezogen und Teil der deutschen Minderheit geworden. Der andere kommt aus einem dänischen Elternhaus und ist über die deutsche Schule Teil der deutschen Gemeinschaft geworden. Marco Hymøller und Jeremias Thomsen haben zwei verschiedene Zugänge zur Minderheit. Im Interview erzählen sie von ihrem Alltag zwischen Deutsch und Dänisch und verschiedenen Traditionen.

Ihr lebt in zwei Kulturen. Woran merkt ihr das im Alltag?
Marco: Ich würde sagen: an den Traditionen. Wir feiern beispielsweise am 6. Dezember Nikolaus, das hat meine Schwester damals eingefordert und egal wie alt man ist, am Nikolaustag will man etwas im Schuh haben.
Jeremias: Und das Laternelaufen haben wir als deutsches Kulturgut übernommen. Nicht, dass wir das jetzt gerade noch machen, aber generell. Und in der Weihnachtszeit wird bei uns auch nicht um den Baum getanzt, da sind wir typisch deutsch.
Marco: Ich würde aber sagen, die Jugendkulturen sind sich ziemlich gleich. Im Grunde sind wir ganz normale dänische Abiturienten, wenn auch mit einem anderen Hintergrund.

 

Jeremias Thomsen ist als Kind mit seinen Eltern aus Flensburg nach Nordschleswig gezogen. Foto: Sara Wasmund

 

Ihr sprecht beide Sprachen fließend. Wann nutzt ihr in eurem Alltag Deutsch und wann Dänisch?
Marco: Ich spreche mit einigen Freunden Deutsch. Mit Jeremias spreche ich beispielsweise häufig Deutsch, aber wir wechseln auch oft zwischen beiden Sprachen. Deutsch ist ja eine sehr effektive Sprache, mit vielen spezifischen Ausdrücken. Irgendwie hat man da mehr Wörter zur Verfügung.
Jeremias: Wenn ich im Alltag Deutsch spreche, kann es schon mal vorkommen, dass ich kurz komisch angeguckt werde. Aber dann erzähle ich, dass ich auf die deutsche Schule gegangen bin, und dann wird das eigentlich immer als interessant aufgefasst. Manchmal werde ich auch nach meinem Dialekt gefragt, und woher ich komme. Dann erkläre ich, dass ich eigentlich von Föhr komme und mit meiner Familie über Flensburg nach Sonderburg gezogen bin.

Du hast Deutsch also als Muttersprache gelernt, Jeremias. Wie hast du Deutsch gelernt, Marco?
Marco: Ich komme aus einer dänischen Familie, aber ich bin in den deutschen Kindergarten Arnkiel gegangen. Und danach bis zur 9. Klasse in die deutsche Schule Sonderburg. Meine Schwester war auch an der deutschen Schule, und das war so eine gute Erfahrung, dass meine Eltern auch mich dort eingeschult haben. Ich erlebe es als riesigen Vorteil, Deutsch im Alltag sprechen zu können!

 

Marco Hymøller ist in einer dänischen Familie aufgewachsen und über deutschen Kindergarten und deutsche Schule in Sonderburg Teil der deutschen Minderheit geworden. Foto: Sara Wasmund

Abgesehen von der Sprache – worin besteht für euch der Unterschied, Teil einer Minderheit zu sein?
Marco: Ich denke, dass wir uns besser in andere Menschen hineinversetzen können, die aus anderen Ländern und Kulturen kommen. Wir sind damit aufgewachsen, dass man sich respektiert und akzeptiert, egal zu welcher Nationalität man sich bekennt.
Jeremias: Ja, wir haben schon wirklich viel Empathie für andere gelernt. Kein Schüler verlässt die Deutsche Schule Sonderburg, ohne Empathie gelernt zu haben, das steht da wirklich auf dem Stundenplan.

Welche kulturellen Unterschiede könnt ihr zwischen „deutsch“ und „dänisch“ ausmachen?
Jeremias: In den deutschen Schulen geht es wohl etwas formeller zu. Ich habe die Förde-Schule besucht, und da sagte man „Herr Thomsen“ oder „Frau Poppe“. Da gibt es generell mehr Respekt vor älteren Personen, aber es ist dennoch herzlich. Diesen Respekt zu erlernen, finde ich gut – und das ist für mich typisch Deutsch.

 

Als Mitglied der deutschen Minderheit darf man weiterhin nicht die deutsche Flagge hissen, während die dänische Minderheit in Deutschland ihren Dannebrog hissen darf, wann und wo man will. Da wäre es schön, wenn man damit einen entspannteren Umgang in Dänemark findet.

Marco Hymøller, Abiturient

 

Nennt je eine Sache, die ihr aus der deutschen und der dänischen Kultur mitgenommen habt und die ihr nicht missen wollt.
Marco: Das ist auf jeden Fall die Ordnungsliebe auf deutscher Seite. Als typisch dänisch schätze ich es, dass man ein bißchen relaxter mit allem ist und sich „hyggen“ kann.
Jeremias: Ich schätze die Offenheit der Dänen. Typisch deutsch ist für mich Respekt und Empathie, beides will ich nicht verlernen.

Wo gibt es noch Entwicklungspotenzial im deutsch-dänischen Verhältnis?
Marco: Als Mitglied der deutschen Minderheit darf man weiterhin nicht die deutsche Flagge hissen, während die dänische Minderheit in Deutschland ihren Dannebrog hissen darf, wann und wo man will. Da wäre es schön, wenn man damit einen entspannteren Umgang in Dänemark findet.
Jeremias: Oder die Diskussion um zweisprachige Ortsschilder: Marco ist in seiner Klasse der einzige, der dafür ist. Alle anderen in der Klasse sagen, die Minderheit ist ja auch die vergangenen 100 Jahre ohne deutsche Ortsnamen ausgekommen oder dass es Verschwendung von Ressourcen ist.

 

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