Die Woche am Alsensund

Was willst du mal werden?

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Was willst du mal werden?

Sonderburg/Sønderborg
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Eine neue Woche am Alsensund mit Kolumnistin Sara Eskildsen Foto: Karin Riggelsen

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Wer von den rund 49.000 Menschen auf der Insel Alsen geht seinen Lebensweg gerne? Diese Frage stellte sich Kolumnistin Sara Eskildsen in dieser Woche am Alsensund, als sie auf der Großbaustelle des Nordborg Resorts einen Blick in die Zukunft warf.

In dieser Woche am Alsensund machte ich etwas, was mir sonst nur selten gelingt: in die Zukunft schauen. Anlass war eine Reportage über die neue Ferienanlage im Norden der Insel Alsen. Hier soll im November 2024 ein Center Park eröffnen, und seit Juni 2022 wird hier gebuddelt und gebaut, was die dänischen Bagger hergeben.

Wer dort ein Schlammbad nehmen will, muss derzeit übrigens nicht auf die Eröffnung des Spa-Bads warten. Einfach in die Knie gehen und sich in die überdimensionalen Pfützen sinken lassen, die von Baggern und anderen Baumaschinen aufgeschäumt hinterlassen werden.

Angesichts der 2 Grad Celsius und des Nieselregens entschied ich mich jedoch gegen eine feuchte Anwendung und für das Gespräch mit dem Direktor, der mit mir über die Schlammberge fuhr und mir das Projekt vor Augen führte.

Rund 160.000 Gäste sollen ab 2025 jährlich dort Urlaub machen - Prognose steigend. Doch bevor die ersten Urlauber anreisen, wird 2023 gebaut, gebaut, und gebaut.

Auf der Baustelle des Nordborg Resorts. Hier entsteht auf der grünen Wiese eine Ferienanlage. Foto: Karin Riggelsen

Hunderte von Handwerkern und Bauarbeitern verlegen aktuell im eiskalten Winterwetter Stromkabel und Fernwärmerohre in einem Gelände, auf dem sich bislang lediglich Wiesen und Wäldchen befinden.

Sie bauen im bisherigen Nirgendwo Hunderte Ferienhäuser, Restaurants und Cafés, eine neue Strandpromenade und Spazierwege hinab zur Ostsee. Und nicht zuletzt entsteht auf einer Kuhwiese ein Wasserpark mit transparentem Foliendach, in dem ab November 2024 gerutscht und geschwitzt werden kann.

Gut, dass die Menschen so verschieden sind

Was für eine Vision. Gäbe man mir 190 Hektar – so groß ist das Gelände des Nordborg Resorts – ich würde eine Herde Pferde daraufstellen und Ruhe und Aussicht genießen.

Gut, dass die Menschen so verschieden sind. Ich kann unter anderem aufmerksam zuhören, Gespräche führen und komplexe Sachinhalte beschreiben. Interessiere mich für Menschen und deren Lebenswege, und ich bin in der Lage, ein Huhn zu fangen und zu schlachten.

Im Gegenzug bin ich so visionär wie ein Ziegelstein, muss selbst für Grundrechenarten den Taschenrechner meines Mobiltelefons nutzen und ich verstehe die Funktion der bunten Schnüre in einem Stromkabel bis heute nicht.

Was willst du mal werden? Diese Frage begegnete einem erstmals als Kind, mit zunehmendem Maße gegen Ende der Schullaufbahn. Tja, was will man denn werden? Was kann man gut, und was will man sein?

Sara Eskildsen, Kolumnistin

Ich bin nach jedem Besuch auf einer Baustelle oder in einem Klassenzimmer unendlich erleichtert, dass das nicht mein Arbeitsplatz ist und ich weder mit lärmenden Maschinen noch mit lärmenden Kindern arbeiten muss.

Als Journalistin ist es immer wieder spannend, in andere Berufe und Lebenswege hineinschauen zu dürfen. Festzustellen, wie verschieden wir sind und wie faszinierend es ist, dass es so viele Talente und Fähigkeiten gibt. Wie sehr wir uns alle brauchen.

Ich könnte mir jedenfalls keine Straße bauen, um nach Sonderburg zur Arbeit zu fahren! Ich könnte noch nicht mal genau sagen, wie man Asphalt herstellt, geschweige denn, wie man ihn ausgießt.

Manche bauen Straßen, andere finden Wege

Was willst du mal werden? Diese Frage begegnete einem erstmals als Kind und mit zunehmendem Maße gegen Ende der Schullaufbahn. Tja, was will man denn werden? Was kann man gut? Was will man sein?

Auf der Insel Alsen leben aktuell rund 49.000 Menschen. Jeder Einzelne hat den Wunsch, etwas zu werden. Jemand zu sein. Jemand, der man gerne ist.

In Interviews mit Sozialpolitikerinnen und -politikern wird aber immer wieder deutlich, dass nicht alle Menschen am Alsensund ihren Weg gerne gehen. Jene, die gar nicht mehr die Kraft oder die Geistesgegenwart haben, sich zu fragen, was man sein möchte. Die nicht nur keine Visionen haben, sondern auch keine Vorstellungen mehr davon, wie ihr Leben aussehen könnte. Menschen, die aufgegeben haben, weil sie in den Augen der Gesellschaft anscheinend nichts geworden sind. Oder schlimmer noch: die in ihren eigenen Augen nichts geworden sind.

Wer in den sozialen Berufen mit Menschen arbeitet, baut keine Häuser auf, sondern Hoffnung. In diesem Berufsfeld werden keine Straßen gebaut, sondern Wege gefunden, auf denen Menschen gehen können. Da werden keine fancy Wasserrutschen konstruiert. Sondern dort wird jenen geholfen, die ins Rutschen gekommen sind – und zwar nicht im Spaßbad.

Weitergehen, ausrutschen, die Aussicht genießen

Wie viele verschiedene Aufgaben es doch gibt.

Meine werden mich in den kommenden Jahren ganz sicher das ein oder andere Mal ins Nordborg Resort führen. Nach diversen Vorberichten („Ministerium genehmigt Ferienresort auf Nordalsen“), Spatenstich und Baustellen-Besuch folgen Eröffnung und erste Bilanzen.

Und natürlich werde ich mich für eine Exklusiv-Reportage opfern, als Gast einchecken, die Rutschen im Wasserland testen und mit Blick auf den Kleinen Belt ein warmes Schlammbad nehmen.

Nicht nur der Norden der Insel Alsen wird sich in den kommenden Jahren verändern. Bis zur Eröffnung des Ferienparks werden wir alle auf unseren individuellen Lebenswegen weitergehen, ausrutschen und vielleicht auch mal im Dreck landen. Bestenfalls im Schlammbad.

Manches Mal werden wir stehen bleiben und die Aussicht genießen. Und vielleicht streift uns hier und da der Gedanke, was man denn mal werden will.

Faszinierend, wie zeitlos diese Frage ist. Man kann sie sich im Grunde von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer wieder neu stellen.

 

 

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