Die Woche am Alsensund

„Niemand ist eine Insel – aber jeder will eine“

Niemand ist eine Insel – aber jeder will eine

Niemand ist eine Insel – aber jeder will eine

Sonderburg/Sønderborg
Zuletzt aktualisiert um:
Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Kolumnistin Sara Wasmund hat sich bei einer Fahrt auf die Ahorninsel gefragt, warum Inseln eigentlich so eine enorme Anziehungskraft haben.

Kein Mensch ist eine Insel, fast jeder aber ist gerne auf einer. Ich bin da keine Ausnahme, und so habe ich in dieser Sommerwoche am Alsensund einige besonders schöne Arbeitsstunden verbracht. Möglich machte dies das allseits bekannte und meinerseits geschätzte Sommerloch. Endlich ist Zeit für all die Reportagen, Themen und Berichte, die im oft hektischen Alltag unter den Schreibtisch fallen.

Ganz Dänemark befindet sich im kollektiven Sommerurlaub

Fakt ist: Ganz Dänemark befindet sich im kollektiven Sommerurlaub. Die Lokalpolitik ruht, Unternehmen haben geschlossen, und als ich am Montagmorgen mit Sonderburgs Bürgermeister telefonierte, befand sich dieser in einem Hotel in Paris.

Die Pressesprecher der Nation braten irgendwo auf Ibiza oder streichen ihr Sommerhaus auf Nordseeland. Wer ein Wohnmobil ergattern konnte, haust an Frankreichs Südküste mit Tausenden anderen Dänen auf überfüllten Campingplätzen und vermisst schmerzlich Einbauküche, Waschmaschine, den guten alten Lattenrost und nicht zuletzt die eigene Privatsphäre, die im Gemeinschaftsduschraum zwischen verschimmelten Fliesen und ein paar Fußpilzen baden geht.

Lediglich ein paar Informationen hinsichtlich meines Bankkontos, und die Millionen gehören mir – fast wäre mir vor Überraschung der Eisbecher in die Tastatur gefallen.

Sara Wasmund, Kolumnistin

Meine Mailpostfächer schweigen. Das melodische „Pling“ einer eintreffenden Mail ist selten geworden. Ich habe begonnen, mir selbst Mails mit dem Betreff „Test“ zu schreiben, um sicherzugehen, dass mein Outlook noch funktioniert.

Vorgestern kam die einzige Mail des Tages von einem Herrn namens James Morgan. Ein Anwalt, der mir ein Erbe von über 10 Millionen Dollar in Aussicht stellte. Lediglich ein paar Informationen hinsichtlich meines Bankkontos, und die Millionen gehören mir – fast wäre mir vor Überraschung der Eisbecher in die Tastatur gefallen.

„Wo ist denn das Lenkrad?“

Aber es gab Wichtigeres zu tun, als Spam-Mails zu beantworten. Eine Fahrt zur Ahorninsel Ærø beispielsweise. Ich ging in Fünenshaff an Bord, und bei einem erstaunlich guten Kaffee in der Kantine quatschte ich mich über die Angestellten per Fähr-Telefon hoch auf die Kapitänsbrücke, wo ich vor lauter digitalen Anzeigen nicht wusste, wo auf der Fähre hinten und wo vorne ist.

Gut, dass ich so ein Teil nicht lenken muss. Es gab noch nicht mal ein ordentliches Lenkrad, stattdessen lauter Knöpfe, Regler und leuchtende Displays. Ich würde spätestens bei der Hafenausfahrt die Kaimauer rammen. Gut, dass es für sowas einen Kapitän gibt. Auch wenn ich diesen mit meinen Fragen („wo ist denn das Lenkrad?“) mächtig vom Arbeiten abgehalten habe. Der ungeduldige Blick des Steuermanns („warum leuchtet das da lila?“) ist mir nicht entgangen.

Die Ahorninsel in der Ferne Foto: Sara Wasmund

Wie die meisten Menschen auf dieser Welt kann ich mir kein eigenes Eiland kaufen. Aber sich kleine Inseln im Alltag schaffen, das ist kostenlos.

Sara Wasmund, Kolumnistin

Aber schön war es auf der Ahorninsel. Und zurück auf dem Festland habe ich eine Reportage darüber geschrieben, wie Radfahrer und Touristen in diesem Sommer kostenlos auf die Insel schippern können. In Kanada gilt ein Eiland übrigens dann erst als Insel, wenn auf dem Stück mindestens ein Baum wächst. Da hat die Ahorninsel per Definition alles richtig gemacht.

„Ich bin reif für die Insel“ ist ein bekannter Ausspruch. Doch was ist es eigentlich, was wir uns von einer einsamen Insel erhoffen? Ruhe, vermutlich. Zeit zum Nachdenken. Ein Umfeld, reduziert auf das Wesentliche. Die Unüberschaubarkeit der großen weiten Welt und ihrer umfangreichen Problem-Universen verschwimmt unscharf an den Inselrändern in der Ferne, und unsere Probleme gehen gemeinsam mit uns baden. Ganz nach dem Motto: Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts als meiner seligen Insel.

Doch das Tückische am Insel-Traum ist: Man nimmt sich selbst stets mit. Und nach dem Baden tauchen die Probleme ganz schnell wieder auf …

Von Zeit zu Zeit braucht es Inseln, um in sich ganz zu sein

„Niemand ist eine Insel, in sich ganz“, hat der englische Schriftsteller John Donne geschrieben. Doch von Zeit zu Zeit braucht es Inseln, um in sich wieder ganz zu sein.

Wie die meisten Menschen auf dieser Welt kann ich mir kein eigenes Eiland kaufen. Aber sich kleine Inseln im Alltag schaffen, das ist kostenlos. Durch Natur, Pausen und Momente, durch Träume und Taten. Und ab und an hilft auch ein Eisbecher an einem Mittwoch. Oder eine Fährfahrt auf die Ahorninsel mitten im Sommerloch.

Mehr lesen