Die Woche am Alsensund

„Kein Mensch ist eine Kücheninsel“

Kein Mensch ist eine Kücheninsel

Kein Mensch ist eine Kücheninsel

Sonderburg/Sønderborg
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Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

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Zeig mir deine Küche und ich sage dir, wer du gerne wärst – diese Erkenntnis traf Kolumnistin Sara Eskildsen in dieser Woche bei der Reportage über einen Küchenbauer. Warum sich ein Blick hinter die menschliche Fassade lohnt, schreibt sie in dieser Woche am Alsensund.

In dieser Woche am Alsensund nahm das neue Jahr seinen Lauf. Während Presseabteilungen in Kommune und Unternehmen vor sich hin schlummerten und sich die neugewählten Stadtratsvertreter unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf ihre ersten Sitzungen vorbereiteten, während Kino- und Konzertsäle am Alsensund im Dunkeln lagen und in Broacker als einziger gesellschaftlicher Höhepunkt der Woche ein neues Coronatestcenter eröffnete, beschäftigte ich mich mit der Frage, was eigentlich eine gute Küche ausmacht.

Nicht, weil ich mir selbst eine neue kaufen möchte. Sondern zwecks Reportage über einen Sonderburger Küchenhersteller. Beim Rundgang durch den Ausstellungsraum wurde mir schnell klar, was ich bislang alles nicht über Küchen wusste.

Küchen repräsentieren den eigenen Lebensstil

Dass die Augen eines Menschen als Tor zur Seele gelten, war mir bekannt. Aber eine Küche? Seit dieser Woche am Alsensund weiß ich: Küchen repräsentieren den eigenen Lebensstil. Zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist. Zeig mir deine Küche und ich sage dir, wer du gerne wärst.

Gemütlich und elegant, geordnet, schick, schlicht oder minimalistisch, mit Hang zur Technik, mit Ecken und Kanten, einzigartig, schillernd, kühl oder einladend.

Dass einem in der Regel genau dann das salzige Nudelwasser überkocht, wenn man den qualmenden Backofen öffnet, dafür ist in der Küchenwunschvorstellung eher selten Platz.

Sara Eskildsen, Journalistin

Ein Trend habe sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt, verriet der Küchenunternehmer beim Rundgang: die offene Wohnküche. Tatsächlich kenne ich kaum eine Familie, die bei der Neugestaltung eines Hauses nicht eine offene Version wählt.

Nicht zuletzt seit Corona gilt: Wenn schon nicht verreisen, dann wenigstens eine neue Kücheninsel. Wenn schon nicht auf einer Insel erhitzt ins kühle Salzwasser steigen, dann wenigstens an einer Insel das kühle Salzwasser erhitzen.

Schöner Wohnen an der Kücheninsel

Offen und gesellig wie unsere Küchen – so geben wir uns nach außen hin gerne. Je größer und offener die Küche, desto mehr Platz für mögliche Freunde und Familie. Freunde, die an einem Aperol Spritz nippen und von ihrer Woche erzählen, während man selbst den Fasan mit frischen Trüffeln aus Umbrien stopft, sich die Finger kurz an der neuen Schürze in Lederoptik abwischt, bevor man zum zarten Glas greift, um entspannt lächelnd mit den Liebsten auf das Leben anzustoßen.

So weit die Wunschvorstellung. Dass einem in der Regel genau dann das salzige Nudelwasser überkocht, wenn man den qualmenden Backofen öffnet, um den außerordentlich trockenen Fasan zu retten, dafür ist in der Küchenwunschvorstellung eher selten Platz.

Und wer deckt am Ende gestresst den Tisch, während die Liebsten gut gemeinte Tipps zum Verfeinern der Rotweinsoße abgeben und permanent im Weg herumstehen? Die Frau mit Soßenspritzern auf dem Kleid und Fasanenfett im Haar.

Im Gegensatz zu Küchenzeilen funktionieren wir Menschen nicht auf Knopfdruck. Foto: Karin Riggelsen

Um die Zubereitung von Mahlzeiten ging es im erweiterten Sinne auch bei meinem Besuch der Schlachterei in Blans. 63.000 arme Schweine werden dort pro Woche geschlachtet, zerlegt und zu Lebensmitteln verarbeitet. Heute ein Schwein, morgen ein Schinkenstreifen.

1.400 Personen fahren täglich zur Arbeit nach Blans, um sich in der Schweineindustrie ihre Mett-Brötchen zu verdienen. Das Geld für neue Küchen muss schließlich von irgendwoher kommen.

Vom Veganuary ist in Blans jedenfalls nicht viel zu merken. Dass sich einzelne Nordeuropäer dazu entschieden haben, im Januar auf tierische Produkte zu verzichten, rettet keiner Sau in Blans das Leben. Zu groß ist der Export in eine fleischhungrige Welt, als dass ein Ernährungs-Trend wohlgenährter Europäer die dänische Schweineindustrie beeinflussen könnte.

Satte 95 Prozent werden ins Ausland verfrachtet und landen unter anderem als Speck made in Danmark in den Bratpfannen dieser Welt sowie in der ein oder anderen Mausefalle.

Mit der Außendarstellung ist das so eine Sache. Gezeigt wird meist nur das, was uns gut aussehen lässt. Der servierte Fasan. Die neue mauslose Küche. Die atemberaubende Sicht des Spaziergangs am Wasser.

Sara Eskildsen, Journalistin

Mit Speck fängt man Mäuse – diese Aussage hat sich in meiner Küche nicht bewahrheitet. Nach tagelangen Versuchen, die Küchenmaus in eine Lebendfalle zu locken, stellte ich nach einem exklusiven Tipp aus der Nachbarschaft auf Nutella um. Und wer saß am nächsten Morgen mit Schokolade an den Tasthaaren und eingeklemmtem Schwanz in der Falle? Meine Küchenmaus.

Mit der Außendarstellung ist das so eine Sache. Gezeigt wird meist nur das, was uns gut aussehen lässt. Der servierte Fasan. Die neue mauslose Küche. Die atemberaubende Sicht des Spaziergangs am Wasser.

Und in echt? War der Fasan trocken, die Küchenplanungen Anlass für diverse Streitigkeiten und beim Gang durch die Landschaft fällt uns auf, dass die neuen Schuhe undicht sind und scheuern.

Diese Wahrheiten kommen größtenteils nicht mit, wenn wir ein Bild von uns machen, damit sich andere ein Bild von uns machen.

Wer Fehlerlosigkeit erwartet, sollte ins Küchenstudio gehen

Perfektion und Makellosigkeit gelten zwar ebenso wie Fleischkonsum als unmodern. Aber ein bißchen Einzigartigkeit sollte doch wohl drin sein, oder? Diesen Erwartungsdruck erzeugen selten die anderen. Meistens sind es wir selbst. Ich finde: Wer Fehlerlosigkeit erwartet, sollte ins Küchenstudio gehen.

Und ob als Lokaljournalistin oder Mitmensch, ein Blick hinter die Fassade – oder in diesem Fall hinter die Küchenzeile – ist immer interessant. Und manchmal entdeckt man dabei sogar eine Nutella-verschmierte Maus. So hat meine Küche zwar keine Insel, aber ich kann ohne zu übertreiben behaupten, dass sie voller Leben ist.

 

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