Die Woche am Alsensund

„Grüner wird’s nicht“

Grüner wird’s nicht

Grüner wird’s nicht

Sonderburg/Sønderborg
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Eine neue Woche am Alsensund mit Kolumnistin Sara Eskildsen Foto: Karin Riggelsen

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Warum will der Mensch eigentlich so gerne der Schnellste und der Beste sein? Mit Blick auf die Tour-de-France-Etappe in Sonderburg schreibt Sara Eskildsen in ihrer neuen Kolumne über den Drang der Optimierung.

Da war er in dieser Woche am Alsensund, der längste Tag des Jahres. Jener Abend, an dem es um kurz vor 11 Uhr noch hell ist und die Vögel einen in den Schlaf zwitschern.

Die Pflanzen und Bäume um uns herum wissen gar nicht, wohin mit all dem Licht. Sie schießen in die Höhe, bilden neue Äste und graben ihre Wurzeln tiefer ins Erdreich, um im Herbststurm noch fester zu stehen. Sie feiern das Licht mit Wachstum. Zeugen in sattem Grün von der sie umgebenden Helligkeit.

Die Helligkeit feiern oder die Dunkelheit fürchten

An den Küsten Nordschleswigs wurden in dieser Woche überall Johannisfeuer entzündet, um die Sonnenwende zu feiern. Ich stehe Jahr für Jahr vollgeräuchert wie eine Makrele vor der Entscheidung, ob ich mich nun über den längsten Tag des Jahres freue – oder traurig bin, weil die Dunkelheit abends nun wieder zunimmt.

Da in gut einer Woche die Tour de France 2022 durch Nordschleswig rollt und in Sonderburg ins Etappenzielziel fährt, habe ich derzeit jedoch kaum Zeit, um mir darüber ausgiebig Gedanken zu machen.

Sonderburg von oben betrachtet: Schöner wird es nicht. Foto: Sara Eskildsen

Zu meinem Erstaunen gibt es noch Menschen, die nicht davon gehört haben, dass der Auslandsstart der Tour de France in diesem Jahr in Dänemark stattfindet, und die dritte Tagesetappe in Sonderburg endet.

„Die Tour de France, HIER?“, lautete die völlig überraschte Frage meiner Freundin Sarah mit h, die am Wochenende am Alsensund zu Besuch war. „Ich hab mich schon gewundert, warum hier so viele gelbe Fahrräder rumstehen.“ Der Tourstart in Dänemark ist in Lüneburg jedenfalls kein Thema, so viel steht fest.

Die Costa del Sonderburg summte und brummte

Mit einem perfekten Sonnentag zeigte sich die Stadt für Sarahs Besuch ansonsten von ihrer besten Seite. Die Costa del Sonderburg summte und brummte vor Urlaubsflair und die Boote am Kaj schwappten gemächlich mit den Quallen im Hafenwasser. Abgesehen von den alten Drahteseln, die überall herumstanden oder an Balkonen hingen, war es wirklich hübsch am Alsensund.

Fahrräder, wohin man blickt. Woher die eigentlich kommen, also ursprünglich, das erklärt das Deutsche Museum Nordschleswig in einer wirklich sehenswerten Sonderausstellung. Man sieht Museumsleiter Hauke Grella nicht oft auf einem Hochrad sitzen – in der neuen Ausstellung aber ist das möglich.

Was zunächst mit einem Rahmen aus Holz und eisernen Rädern begann, hat sich 200 Jahre später zu einer Hochleistungsmaschine aus Carbon entwickelt. „Und als das Fahrrad durch optimiert war, begann man mit dem Fahrer“, so die nüchterne Feststellung des Museumsleiters mit Blick auf die federleichten Rahmen und die Dopingfälle im Radsport.

Der Schnellste und Stärkste sein. Die Erste und Beste sein. Dinge optimieren und effektivieren – die Geschichte des Fahrrads spiegelt auf faszinierende Weise den inneren Drang des Menschen wider, Dinge optimieren zu wollen.

Am Ende der Tour-Etappe in Sonderburg werden alle Teilnehmenden von Sonderburg mit Flugzeugen nach Frankreich geflogen, wo das Rennen dann fortgesetzt wird. Was für ein Aufwand. Nur um herauszufinden, wer in diesem Jahr der Schnellste ist!

Sara Eskildsen, Kolumnistin

Kaum hatte man ein Rad, auf dem man sitzen konnte, wollte man der Schnellste sein. Statt das Radfahren ausschließlich zu genießen, wurden Wettrennen organisiert. Aus Ehrgeiz heraus entstanden Neuerungen, Verbesserungen, Erfindungen.

Wenn am 3. Juli die Fahrer der Tour de France am Deutschen Museum vorbeizischen, ist das der rollende Beweis dafür, dass der Mensch tendenziell immer alles besser machen will.

Pragmatisch betrachtet ist es ja völliger Quatsch, an 21 Tagen 3.328 Kilometer auf dem Rad durch Dänemark und Frankreich zu fahren, nur um am Ende herauszufinden, wer dabei am schnellsten ist. Am Ende der Tour-Etappe in Sonderburg werden alle Teilnehmenden von Sonderburg mit Flugzeugen nach Frankreich geflogen, wo das Rennen dann fortgesetzt wird. Was für ein Aufwand. Nur um herauszufinden, wer in diesem Jahr der Schnellste ist!

Wachstum und helle Zeiten kommen in Etappen

In unserer lokalen Berichterstattung werden wir vom Nordschleswiger übrigens weniger darüber schreiben, wer in Sonderburg als erster durchs Ziel fährt. Stattdessen wollen wir die Geschichten am Wegesrand erzählen. Das Deutschen Museum beispielsweise hat geöffnet und lädt zum Tour-de-France-Fest ein, von der Dachterrasse hat man vermutlich eine der besten Aussichten auf das Fahrerfeld.

Und wer will, kann sich mit Blick auf die Rennstrecke aufs Holzrad von 1817 setzen und darüber sinnieren, warum wir Menschen immer besser und schneller werden wollen und ob der Sankt Hans Abend nun zum Feiern oder zum Heulen ist.

Von den Pflanzen und Bäumen können wir jedenfalls eins lernen: Wachstum und helle Zeiten kommen in Etappen. In diesem Sinne: Raus aus dem Haus und rein in die Natur. Heute in einem halben Jahr sieht es um uns herum schon wieder ganz anders aus. Dann ist das einzige Grün, das uns umgibt der Tannenbaum vor uns …

 

 

 

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