Gesundheit

Wenn Häkeln zur Therapie wird

Wenn Häkeln zur Therapie wird

Wenn Häkeln zur Therapie wird

Schelde/Skelde
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Tine Sommer Hansen
Tine Sommer Hansen. Foto: DN

Tine Sommer Hansen aus Schelde hat ADHD und das Asperger-Syndrom. Für die dreifache Mutter ist das Häkeln die „Tine-Zeit“.

Tine Sommer Hansen aus Schelde hat ADHD und das Asperger-Syndrom. Für die dreifache Mutter ist das Häkeln die „Tine-Zeit“.

Für Tine Sommer Hansen verlief der Neujahrsabend feierlich. Aber auch ein wenig anders. Das Konfetti ließ die 30-Jährige nämlich liegen. Die kleinen Papierfetzen durften die Neujahrsnacht  auf dem Teppich liegen bleiben.
Hört sich doch überhaupt nicht alarmierend an, werden viele denken. Aber für Tine Sommer Hansen war dies bislang völlig undenkbar.  
Die  Mutter dreier Söhne leidet an dem Asperger-Syndrom und ADHD, eine Variante des Autismusspektrums und ein Aufmerksamkeitsdefizit.
Für sie gehörte das Aufräumen einfach dazu. Ihr Zuhause musste immer perfekt und sauber sein. Buntes Konfetti war da einfach nur störend und inakzeptabel.

„Ich brauchte Struktur in meinem Leben. In krankhaftem Maße. Ich hatte Merkzettel überall. Alles musste perfekt zusammen passen. Die Kinder wurden in bestimmten Kombinationen gekleidet. Wenn sie einen Flecken auf der Bluse hatten, habe ich sie völlig neu eingekleidet. Anders ging es  nicht“, erklärt die 30-Jährige. Auch das Spielzeug der Jungen war  in verschiedene Kästen verstaut: Klötze, Autos und Plastikfiguren.

Therapie gefunden

Sie konnte nicht mit ihrem Mann oder den Kindern im Sofa sitzen und eine Sendung im Fernseher verfolgen. Aber das kann sie heute.
Tine Sommer Hansen hat  nämlich eine Therapie gefunden: sie ist eine begeisterte Häklerin geworden. Das Häkeln gibt ihrem Gehirn Ruhe.

„Wenn ich häkle, bin ich ganz entspannt“, erklärt die junge Frau. Und wer in den Nebenraum der modern und geschmackvoll eingerichteten hellen Stube schaut, sieht es sofort. Hier lebt eine Häkel-Enthusiastin. Dort zeigt Tine, was sie alles mit der Häkelnadel schaffen kann – von dekorativen Topflappen bis hin zu Bären, Puppen und ganz tollen Taschen.
„Wenn ich häkle, habe ich keine To-Do-Listen und Pflichten. Dann habe ich nur die Tine-Zeit“, erklärt die 30-Jährige und lächelt. Wenn sie häkelt, konzentriert sie sich auf die Muster und die Maschen. Mit der Häkelnadel kleine Projekte fertig machen, das gibt ihr ein sehr gutes Gefühl.

Und die drei Jungs wissen, dass sie ab und an eine Pause braucht. Dann legt sich Tine zehn Minuten lang aufs Bett und entspannt. Sie muss nicht mehr aufräumen. Aber in ihrem Leben muss alles immer noch sehr geregelt vor sich gehen.

Ein Serviettenring

Ihre Häkel-Mission begann mit einem  rot-weißen Serviettenring, der eigentlich nur den  den Weihnachtsabend etwas festlicher gestalten sollte. Aber bei dem kleinen Serviettenring stellte Tine Sommer Hansen fest, dass das Asperger-Syndrom auch eine gute Seite hat. Wer ein Projekt hat, der gibt nicht auf, sondern bleibt bei. Sie fand heraus: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.  
Eine Häkelanleitung hatte sie nicht – Tine Sommer Hansen schaute sich ein Strickvideo auf YouTube an – und damit begann das, was für sie die reine Therapie werden sollte.

Topflappen der Renner

Im vergangenen Jahr beteiligte sich Tine Sommer Hansen an der landesweiten Krebskampagne Knæk Cancer. Von Januar bis Woche 43 hat sie anfangs nur Häkelmuster verkauft. Dann kamen die Topflappen dazu.
„Ich hatte Topflappen mit dem Knæk-Cancer-Logo gehäkelt. Das wurde der ganz große Renner“, lacht sie. Sie und zwei weitere freiwillige Häklerinnen haben massenhaft Topflappen produziert, um die große Nachfrage meistern zu können. Letztendlich konnte Tine Sommer Hansen den stolzen Betrag von 95.000 Kronen an Knæk Cancer überweisen.

Über Erfolge freut sie sich. Aber so auf sich selbst aufmerksam machen, das war eigentlich überhaupt nicht Tines Ding. Aber sie hat gelernt.
„Ich war unter anderem auch bei einer Fernsehsendung über Knæk Cancer in Hadersleben dabei“, erzählt die Häklerin ganz stolz. Eine gute Mission würde sie gern erneut unterstützen. Aber nächstes Mal sollte das Projekt nicht über so viele Monate laufen.

Anderen helfen

Sie hat auch einen weiteren Schritt gewagt, der früher völlig undenkbar gewesen wäre. Sie hat im Häkeln unterrichtet.
Sie hat sich überwunden und diese Erfahrung wird bei ihr vielleicht zu einem Flexjob führen. Denn sie will sehr gerne anderen helfen. Andere sollen spüren, wie ein gutes Hobby einem weiterhelfen kann. Sie hat sich deshalb für ein Praktikum in Sonderburg beworben, wo autistischen  jungen Mädchen geholfen wird. Das ist ein Projekt, das die Mutter aus Schelde gern unterstützen will. Denn ein Lob und etwas Zuspruch können Berge versetzen.

„Man lernt so viel, wenn man an sich selber glaubt. Wenn einer der anderen sagt: Wie ist das schön. Das ist eine so wertvolle Anerkennung“, erklärt die 30-Jährige.
Und Tine Sommer Hansens Mann Allan steht immer hinter ihr.
„Er ist stolz auf mich. Und heute bin ich ja auch nicht mehr so kontrollfixiert. Früher musste alles sortiert und aufgeräumt werden. Auch abends um 23 Uhr. Heute habe ich die Ruhe – durch das Häkeln. Und die Kinder sind auch stolz auf mich“, so Tine Sommer Hansen. Sie trainiert das Loslassen.
„Und man muss ja nicht die ganze Welt retten, bevor man entspannen darf“, kommt es von der Asperger-Patientin.

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