Serie Teil 6

Wie international ist Sønderjyllands Symfoniorkester, Nikolaj Andersen?

Wie international ist Sønderjyllands Symfoniorkester, Nikolaj Andersen?

Wie international ist das Symfoniorkester, Nikolaj Andersen?

Sonderburg/Sønderborg
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Nikolaj Andersen hat als Musikchef von Sønderjyllands Symfoniorkester vielfältige Arbeitsaufgaben zu bewältigen. Foto: Nils Baum

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Vielfalt ist kennzeichnend für Sønderjyllands Symfoniorkester. Als Musikchef hat Nikolaj Andersen die Aufgabe, neue Orchestermusikerinnen und -musiker einzustellen. Im Interview erzählt er, wie sich die Art des Auswahlverfahrens auf die Zusammensetzung des Orchesters und den täglichen Musikbetrieb auswirkt. Und er verrät, was er gern in seiner Freizeit macht.

Neue Musikerinnen und Musiker auswählen, Gastdirigenten und -dirigentinnen anwerben: Als „Musikchef“ steuert Nikolaj Andersen die Geschicke von Sønderjyllands Symfoniorkester. Eine Aufgabe, die weit über die Grenzen Nordschleswigs hinausreicht, wie er im Gespräch in seinem Büro im Alsion berichtet. Nach mehr als acht Jahren als Musikchef wird Nikolaj Andersen seinen Posten im Sommer aus persönlichen Gründen verlassen.

Teil 5 erzählt von den Aufgaben, um die sich Nikolaj Andersen in seiner Funktion als Musikchef sonst noch kümmert. Außerdem verrät er, was ihm an Nordschleswig besonders gefällt.

Artikelserie über Sønderjyllands Symfoniorkester

„Der Nordschleswiger“ stellt Sønderjyllands Symfoniorkester in einer Artikelserie näher vor und gibt Einblicke in einen der größten Kulturbetriebe Nordschleswigs.

In den ersten 4 Teilen geht es um Elias Heigold, der als erster Solotrompeter den Ton unter den Blechbläsern vorgibt, und den Dirigenten Shao-Chia Lü. Er hat das Solokonzert, in dem Elias Heigold sein musikalisches Talent in vollem Umfang einem breiten Publikum darbieten konnte, dirigiert.

In den Teilen 5, 6 und 7 der Serie stellt sich Musikchef Nikolaj Andersen Fragen zur Arbeitsroutine eines Sinfonieorchesters, dem internationalen Flair, das Sønderjyllands Symfoniorkester prägt, und das Verhältnis Nordschleswigs zu klassischer Musik. Außerdem geht es um die Frage, wie sich solch ein großes Orchester finanziert. In Teil 8 wirft „Der Nordschleswiger“ einen Blick hinter die Kulissen des Alsions.

Wie gelingt es Sønderjyllands Symfoniorkester, Musikerinnen und Musiker aus anderen Ländern anzuziehen? Und wie prägt das Internationale die tägliche Arbeit des Orchesters?

„Das letzte Mal, als ich nachgezählt habe, hatten wir 14 verschiedene Nationalitäten bei seinerzeit insgesamt 57 vollzeitbeschäftigten Musikerinnen und Musikern. Das ist durchaus ein recht hoher Anteil. Sie kommen aus allen möglichen Ländern. USA, Frankreich, Litauen, Island – also, sie kommen von überall her. Und das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie man in einem Orchester Musikerinnen und Musiker rekrutiert. Das passiert anhand eines Wettbewerbes, der online auf dafür bekannten Seiten angekündigt wird, sodass alle potenzielle Bewerberinnen und Bewerber diese Ankündigungen lesen können, egal wo in der Welt sie sich befinden. So machen das alle Orchester, egal ob es sich um die New York Phil, Islands oder Sønderjyllands Symfoniorkester handelt. Sie alle annoncieren ihre freien Stellen auf denselben Online-Portalen. Und dann gewinnt sozusagen die oder der beste Musiker den Wettbewerb und bekommt eine Anstellung angeboten.“

Für manche ist das etwas völlig Ungewöhnliches, die haben noch nie zuvor gehört, dass man einfach so beim Chef reinschauen kann.

Nikolaj Andersen, Musikchef

Wie wirkt es sich auf die tägliche Arbeit aus, dass das Orchester so international ist?

„Wir haben trotz der zahlreichen Nationalitäten immer gesagt, dass wir ein dänisches Orchester sind. Und wir halten daran fest, dass Dänisch unsere Arbeitssprache ist, allerdings mit der Ausnahme, dass Dirigenten oftmals aus dem Ausland kommen. Deshalb ist Englisch oftmals die Arbeitssprache während der Proben. Einige kommen und fragen, ob sie auch Deutsch sprechen können, und da wir hier im Grenzland sind, sind die meisten in der Lage, eine Probe auch auf Deutsch durchzuführen. Aber grundsätzlich spreche ich gegenüber dem Orchester immer Dänisch, wohl wissend, dass wir immer wieder neue Mitglieder haben, die eine andere Sprache sprechen und kein Dänisch können. In diesen Fällen übersetzen wir natürlich. Ich habe auch unsere aus dem Ausland stammenden Musikerinnen und Musiker gefragt, ob es ein Problem ist, wenn ich alle unsere Nachrichten auf Dänisch verfasse. Aber der Auffassung sind sie nicht, sie nutzen einfach Google Translate, schließlich sind es auch keine inhaltlich komplizierten Nachrichten. Auf diese Weise unterstützen wir, dass neue Mitglieder ein Gespür für das Dänische bekommen und es auch schneller lernen.“

Nikolaj Andersen

Geboren 1965, russische Mutter und dänischer Vater. Aufgewachsen in Kopenhagen und Silkeborg. Musikunterricht in Aarhus, anschließend Musikstudium am Konservatorium in Paris (Bratsche), Abschluss 1991. Umzug nach Kopenhagen, danach bis 1995 Freelance-Musiker und Lehrer an verschiedenen Musikschulen, nachfolgend administrative Führungspositionen. Umzug nach Sonderburg 2014, seit Frühjahr 2015 Musikchef für Sønderjyllands Symfoniorkester.

Verheiratet mit einer japanischen Pianistin, mit der er zwei Kinder im Alter von 20 und 21 Jahren hat. In seiner Freizeit beschäftigt er sich bevorzugt mit Dingen, die nichts mit Musik zu tun haben; eine Ausnahme allerdings gibt es: Beim Autofahren hört Nikolaj Andersen klassische Musik. 

Nikolaj Andersen legt Wert darauf, dass Sønderjyllands Symfoniorkester trotz des internationalen Flairs ein dänisches Orchester ist. Foto: Nils Baum

Aber funktioniert das tatsächlich in einem Orchester, wenn es aus so vielen internationalen Mitgliedern besteht?

„Selbstverständlich. Es ist klar, dass es Unterschiede gibt. Es macht einen großen Unterschied, ob du aus Deutschland oder aus Litauen kommst, um hier zu arbeiten, da gibt es große Unterschiede in der Kultur und in der Tradition, auch im Verhältnis dazu, wie man in einem Orchester arbeitet. Früher ist es noch öfter passiert, inzwischen eher selten, dass jemand aus dem Orchester kommt und an der Rezeption fragt, ob er einen Termin bei mir bekommen könne, weil sie nicht wissen, dass sie einfach zu mir ins Büro kommen können, wenn die Tür offen steht. Für manche ist das etwas völlig Ungewöhnliches, die haben noch nie zuvor gehört, dass man einfach so beim Chef reinschauen kann. Auch dass wir in Dänemark ja eine relativ flache hierarchische Struktur haben, aber deswegen gibt es ja trotzdem eine Hierarchie, und man muss diese Balance zwischen keiner Hierarchie und einer flachen hierarchischen Struktur verstehen lernen. Für manche kann das anfangs ganz schön herausfordernd sein, aber in der Regel gewöhnen sich alle recht schnell daran.“

Wie wirken sich die verschiedenen Nationalitäten in musikalischer Hinsicht aus?

„Positiv, schließlich kommen alle mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen zu uns. Auf diese Weise werden wir alle klüger.“

Wie lange ist eine Orchestermusikerin oder ein Orchestermusiker bei euch durchschnittlich angestellt?

„Wir haben sehr, sehr viele, die ihr 20- und 25-jähriges Jubiläum bei uns gefeiert haben. Wir haben auch schon einige, die ihr 50-jähriges Jubiläum als Musikerin oder Musiker gefeiert haben. In diesen Fällen muss man seine Karriere frühzeitig begonnen haben, und davon haben wir einige Mitglieder. Unser Flötist Thomas Jensen ist über 70 Jahre alt und spielt noch immer erste Flöte, er feiert sein 50-jähriges Jubiläum, aber er fing auch in sehr jungen Jahren bei uns an. Ich glaube, er war erst 19 Jahre alt, weshalb er sich beurlauben lassen musste, um seine Wehrpflicht zu absolvieren, und danach kam er zu uns zurück. Aber 20, 25 oder 30 Jahre Mitgliedschaft ist nichts Ungewöhnliches für eine Musikerin oder einen Musiker.“

Das heißt, dass es nicht viele gibt, die beispielsweise erst seit drei Jahren hier sind?

„Das ist eher selten der Fall. Natürlich gibt es auch das, klar. Insbesondere wollen junge, ambitionierte Musikerinnen und Musiker, die bei uns anfangen, ihre Kräfte gerne auch anderswo probieren, das ist ja ganz normal als junger Mensch. Dann ist man nur über einen kürzeren Zeitraum bei uns angestellt, aber in den allermeisten Fällen bleiben die Mitglieder ziemlich lange bei uns, wenn sie erst mal angestellt sind.“

In einem Orchester herrscht fast schon eine altbackene Form der Hierarchie.

Nikolaj Andersen, Musikchef

Was für eine Aufgabe hat eigentlich die Konzertmeisterin oder der Konzertmeister?

„Die Konzertmeisterin oder der Konzertmeister repräsentiert sozusagen das Orchester. Das Publikum sieht ja stets, wie die Dirigentin oder der Dirigent den Konzertsaal betreten und der Konzertmeisterin oder dem Konzertmeister die Hand geben. Das ist ja eine Geste dem gesamten Orchester gegenüber. Auf diese Weise braucht die Dirigentin oder der Dirigent nicht durch das ganze Orchester zu gehen und allen die Hand zu schütteln. Stattdessen begnügt man sich mit der Vorsitzenden oder dem Vorsitzenden. Manchmal kann man auch beobachten, dass die Dirigentin oder der Dirigent allen in der ersten Reihe die Hand gibt, weil sie am dichtesten dransitzen und somit der demokratische Aspekt unterstrichen wird. Aber in den meisten Fällen wird die Konzertmeisterin oder der Konzertmeister als Repräsentantin oder Repräsentant für die erste Geigengruppe angesehen, und im Prinzip auch für den Rest des Orchesters.“

Und weshalb ist es stets eine Geigerin oder ein Geiger?

„Wenn man während einer Sinfonie die einzelnen Mitglieder des Orchesters beobachtet, wird man feststellen, dass sehr oft die Flöten, Schlaginstrumente oder Bläser nicht während des gesamten Werkes mitspielen. Sie haben immer wieder längere Pausen. Aber die erste Geige spielt alles mit. Für sie ist eine Pause sehr ungewöhnlich. Das heißt, die erste Geige kann das Orchester inspirieren und animieren, egal wer gerade Pause hat und wer spielt, weil sie die ganze Zeit dabei ist und alles mitspielt.“

Nikolaj Andersen vor seinem Büro im Alsion, von wo aus er einen direkten Blick auf den Alsensund genießt. Foto: Nils Baum

Ich war überrascht, als ich hörte, dass jede Woche eine neue Dirigentin oder ein neuer Dirigent kommt. Hat die Konzertmeisterin oder der Konzertmeister eine besondere Rolle, was die Beziehung zum Orchester und zur Dirigentin oder zum Dirigenten angeht?

„Man kann durchaus sagen, dass es hier eine sehr klare Hierarchie gibt. Wir haben zuvor darüber gesprochen, dass die dänische Arbeitswelt in der Regel eine sehr flache Hierarchie hat, aber in einem Orchester ist es genau umgekehrt, hier herrscht fast schon eine altbackene Form der Hierarchie. Man hat die Dirigentin oder den Dirigenten, die oder der im Grunde genommen alles bestimmt. Sie oder er ist sozusagen eine Art Königin oder König in ihrem oder seinem eigenen Königreich. Und dann gibt es einige Adlige, das ist die erste Geige, die Leiterin oder der Leiter der zweiten Geigengruppe, der Bratschengruppe und so weiter. Deren Aufgabe ist es, die Wünsche und Vorgaben der Dirigentin oder des Dirigenten an die übrigen Musikerinnen und Musiker ihrer beziehungsweise seiner Gruppe weiterzuvermitteln. Es wäre auch sehr ungewöhnlich, dass zum Beispiel die letzte Geigerin oder der letzte Geiger in der ersten Geigengruppe die Hand hebt und sich direkt an die Dirigentin oder den Dirigenten wendet. Sie oder er würde stattdessen die Frage an die Vorsitzende oder den Vorsitzenden innerhalb der Instrumentengruppe weiterleiten, die oder der sie wiederum an die Dirigentin oder den Dirigenten weitergibt. Daran wird deutlich, dass die Struktur in einem Orchester sehr hierarchisch ist und jede Instrumentengruppe ihre eigene Gruppenleiterin oder ihren eigenen Gruppenleiter hat. Und die Konzertmeisterin oder der Konzertmeister steuert sozusagen die übrigen Gruppenleiterinnen und -leiter und ihre beziehungsweise seine erste Geigengruppe.“

Wie schwierig ist es, eine Gastdirigentin oder einen Gastdirigenten zu gewinnen?

„Das ist verhältnismäßig leicht für uns. Wie bereits gesagt, erhalten wir oftmals Anfragen, die wir gar nicht alle honorieren können. Oftmals müssen wir dann sagen, dass wir die Anfrage speichern, aber hier und jetzt können wir keine passende Produktion finden.“

Musik entsteht zwar im Augenblick, aber du kannst sie mit dir mitnehmen. Wenn das Konzert zu Ende ist, dann lebt die Musik in dir weiter.

Nikolaj Andersen, Musikchef

Und was macht Nikolaj Andersen, wenn er sich nicht um Sønderjyllands Symfoniorkester kümmert?

„Dann versuche ich, mich so weit wie möglich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Und das können ganz gewöhnliche, altmodische Dinge sein, wie zum Beispiel ein Baguette zu backen, den Kamin zu entzünden oder meinem ältesten Sohn beim Umzug zu helfen. Ich mache dann Dinge, die nach Möglichkeit nichts mit Musik zu tun haben. Die Flammen im Kamin lodern zu sehen, das gibt mir Lebensfreude und gibt mir Raum, meinen Gedanken hinterherzuhängen. Oder ich gehe spazieren, obwohl ich das eigentlich gar nicht müsste, schließlich brauche ich nicht abzunehmen. Aber es macht Spaß zu beobachten, welche Felder gerade gepflügt wurden oder wo Blumen hervorsprießen, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Und fast hätte ich es vergessen, ich bin leidenschaftlicher Imker, und das seit vielen Jahren. Einen Großteil meiner Freizeit verwende ich deswegen darauf, Honig zu produzieren und mich um die Bienen zu kümmern. So war das natürlich nicht immer. Es ist schließlich ein großer Unterschied, ob du 25 oder 55 Jahre alt bist. Und es ist doch logisch, das ist eine Entwicklung, die langsam mit dem Alter kommt, dieses Gefühl, dass man nicht länger etwas erreichen muss, weil das, was da ist, eigentlich gut genug ist. Und du musst auch nichts mehr beweisen, schließlich habe ich doch grundsätzlich eine tolle Karriere hinter mir. Es gibt nicht so viele Dinge, die ich noch erreichen muss. In so einer Situation ruht man mehr in sich selbst und ist zufrieden damit, wie es ist. Und was die Zukunft angeht, tja, du weißt ja gar nicht, ob du die Zukunft überhaupt erlebst. Und an der Vergangenheit kannst du ohnehin nichts mehr ändern. Also, warum nicht das Hier und Jetzt, den Augenblick genießen.“

Zu guter Letzt: Gibt es etwas, das dir ganz besonders am Herzen liegt?

„Ja, das ist tatsächlich Musik, denn Musik entsteht zwar im Augenblick, aber du kannst sie mit dir mitnehmen. Wenn das Konzert zu Ende ist, dann lebt die Musik in dir weiter, und wenn du vielleicht in fünf oder zehn Jahren einige derselben Werke wiederhörst, dann ist es fast so, als würdest du zurücktransportiert werden an den Ort, wo du sie zuerst gehört hast. Und dann denkst du: ‚Mein Gott, daran kann ich mich gut erinnern, das habe ich in dem Kino gehört, oder das war der Film mit dieser Musik, die gespielt wurde.‘ Soll heißen, obwohl Musik im Augenblick entsteht und nur als etwas Flüchtiges im Hier und Jetzt zugegen ist, so lebt sie doch in uns weiter.“

Nikolaj Andersen konnte in der Vergangenheit auch immer wieder internationale Solistinnen und Solisten nach Sonderburg holen. Foto: Nils Baum
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